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Das Licht wurde etwas gedämpft. Einige Mitarbeiter aus der Maske kamen und erneuerten unsere Gesichter. Künast deckte mit der Hand ihr Mikrofon ab.

»Das ist ganz schön an der Grenze, was Sie hier veranstalten!«, sagte sie gedämpft.

»Ich kenne natürlich die Befindlichkeiten Ihrer Partei«, sagte ich, »aber Sie müssen zugeben – ich habe nicht mit den Juden angefangen.«

Sie überlegte kurz. Dann ging das Licht wieder an. Ich wartete den Applaus ab, dann fragte ich: »Begleiten Sie mich bitte zum Kartentisch?«

Wir hatten im Studio rechts außen den alten Kartentisch aus der Wolfsschanze nachgebaut. Ich hatte eine schöne große Reliefkarte der Welt bestellt. »Warum«, fragte ich beim Hinüberschlendern, »verzichtet Ihre Partei in letzter Zeit eigentlich auf die Erfahrung, auf das Wissen eines Mannes wie des früheren Kriegsministers Fischer?«

»Joschka Fischer war nie Verteidigungsminister«, entgegnete Künast brüsk.

»Da haben Sie recht«, pflichtete ich ihr bei, »ich habe ihn auch nie als Verteidigungsminister gesehen. Verteidigen kann man nur Reichsgebiete, und da gehört das Kosovo ja nun nicht unmittelbar dazu. Eine Annexion hätte angesichts der Entfernung auch keinen Sinn gemacht – oder sehen Sie das anders?«

»Eine Annexion des Kosovo stand doch nie zur Debatte! Es ging um die ethnischen Säuberungen… also, ich erkläre Ihnen doch jetzt nicht die Sache mit der Intervention im Kosovo. Da konnte man einfach nicht wegsehen!«

»Niemand hat dafür mehr Verständnis als ich«, sagte ich ernst. »Sie haben völlig recht, es gab da gar keine Alternative, ich kenne das noch von 1941. Was macht denn dieser Fischer eigentlich jetzt so?«

Ihre Augen pendelten zwischen den aktuellen Befindlichkeiten des Herrn Fischer und einer vergleichenden Betrachtung der Balkanpolitik der letzten siebzig Jahre. Sie entschied sich für Ersteres.

»Wichtig ist, dass die Grünen sich um Talente in den eigenen Reihen keine Sorgen machen müssen. Joschka Fischer war und ist eine wichtige Person in der Geschichte der grünen Bewegung, doch jetzt sind andere an der Reihe.«

»Wie zum Beispiel Sie?«

»Wie – unter vielen anderen – auch ich.«

Wir waren inzwischen beim Kartentisch angekommen. Ich hatte die Einsatzorte der »Bundeswehr« mit Fähnchen markieren lassen.

»Darf ich Sie fragen, wie die Grünen den Einsatz in Afghanistan siegreich beenden möchten?«

»Was heißt siegreich beenden – der Militäreinsatz muss dort möglichst rasch beendet werden. Das führt nur zu weiterer Gewalt…«

»In Afghanistan gibt es für uns nichts zu gewinnen, das sehe ich ähnlich. Was sollen wir dort?«

»Moment«, sagte sie, »aber…«

»Jetzt sagen Sie bitte nicht, Sie haben wieder Bedenken wegen meiner Motive«, sagte ich. »Sagen Sie bitte nicht, dass nur Sie sich aus Afghanistan zurückziehen dürfen, und ich müsste drinbleiben!«

»Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt noch was sage«, meinte sie und irrte mit den Augen durchs Studio. Ihr Blick blieb unter dem Kartentisch hängen.

»Da steht noch eine Aktentasche«, sagte Künast süffisant, »gehört das so?«

»Die hat wohl jemand vergessen«, sagte ich abwesend, »wo ist eigentlich Stauffenberg?«

Die Sache mit der Aktentasche unter dem Kartentisch war wiederum meine Idee gewesen. Tatsächlich ist mir der ganze Vorfall beim Besuch der Wolfsschanze wieder so recht eingefallen. Ich habe dann auch vorgeschlagen, man könnte das als festes Element in die Sendung nehmen. Neben dem Gang zum Kartentisch. Die Aktentasche, fand ich, sollte man bei jeder Sendung für jeden Gast neu verstecken.

»Nachdem wir uns auf den Abzug aus Afghanistan geeinigt haben«, sagte ich über den Tisch gebeugt, »verraten Sie uns zum Schluss bitte noch: Wenn die Grünen die Regierungsgewalt in diesem Lande bekommen – welches Land werden Sie als Erstes annektieren?«

»Die Tasche tickt«, sagte Künast entgeistert.

Das war Sensenbrinks Idee gewesen. Er hatte sie ganz kurz vor mir.

»Seien Sie nicht albern«, mahnte ich. »Eine Tasche tickt nicht. Eine Tasche ist kein Wecker. Welches Land, sagten Sie?«

»Kommt da jetzt Konfetti raus? Oder Mehl? Ruß? Farbe?«

»Mein Gott, dann sehen Sie doch nach!«

»Das würde Ihnen so passen. Ich bin ja nicht verrückt!«

»Dann werden Sie es wohl nie erfahren«, sagte ich. »Wir hingegen haben einiges Interessante über Ihre sehr sympathische Partei erfahren. Vielen Dank, dass Sie bei uns waren – Frau Renate Künast!«

Ich blickte unter dem Applaus hinter die Kulissen. Dort standen Sensenbrink und die Dame Bellini. Sie klatschten abwechselnd und streckten mir dazwischen ihre Fäuste mit aufgerichteten Daumen entgegen.

Es war ein gutes Gefühl.

xxxi.

Das Wichtigste, was ich in meiner Laufbahn als Politiker gelernt habe, ist die richtige Einschätzung repräsentativer Pflichten. Ich habe es im Grunde immer verachtet, dieses Angewiesensein auf Gönner, und dennoch muss der Politiker um der Zukunft des Landes willen in dieser Hinsicht häufiger über seinen Schatten springen. Es mag sein, dass öffentliches Händeschütteln, die Hochachtung der Spitzen der Gesellschaft für jene Kaste der Politikdarsteller einen Anreiz darstellt, für Menschen, die das Leben in der Öffentlichkeit verwechseln mit einem Leben für die Öffentlichkeit, für die Nation, für den kleinen Mann, der sich das Brot und die Kleidung vom Munde abspart. Und wer im Fernsehapparat sich auch nur fünfzehn Minuten den Nachrichten widmet, der wird mit tödlicher Sicherheit mindestens ein halbes Dutzend von jenen Mensch gewordenen Bücklingen sehen, die vor irgendwelchen wichtigen Personen kriechen. Ich habe derlei immer mit Ekel verfolgt und habe diverse Höflichkeitsbesuche nur um der Sache willen gequält auf mich genommen, um der Partei willen, etwa für das deutsche Volk, für die Erhaltung der Rasse oder einen neuen Mercedeswagen.

Gut, und für die Vierhundert-Quadratmeter-Wohnung am Prinzregentenplatz.

Und von mir aus letzten Endes auch für den Obersalzberg.

Es waren all dies aber Anschaffungen, die letztlich mit der Attraktivität des Führers auch die der Partei und damit der Bewegung steigerten. Wenn ich allein an die Besucherströme am Berghof denke, da kann keiner behaupten, das hätte irgendetwas mit Erholung zu tun gehabt! Oder der Besuch von Mussolini, grauenhaft! Es darf sich eben ein Führer nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen, oder nur zeitweise, sagen wir. Wenn seine Reichshauptstadt in Trümmern liegt, dann kann er schon einmal für eine geraume Zeit in einen Führerbunker gehen. Sonst aber gehört der Führer zu seinem Volke. Weshalb ich mich auch sehr über die Einladung aus München freute.

Es hatte mir bereits im späten August eine namhafte Gesellschafts-Zeitschrift geschrieben, die Schriftleiterin bat mich, ihrem Magazin anlässlich des wieder zu »Oktoberfest« zurückgetauften ehemaligen Großdeutschen Volksfests einen Besuch abzustatten. Bei Flashlight riet mir jeder zum Besuche dieser Veranstaltung, ich war zunächst zögerlich. Ich bin im ersten Abschnitt meiner Laufbahn niemals dort gewesen, allerdings hatten sich die Zeiten geändert und damit auch die Bedeutung dieser knapp zweiwöchigen Traditionsveranstaltung. Wie mir mehrfach bestätigt wurde, war aus dem Oktoberfest inzwischen ein Volksfest geworden, das ohne allzu große Beteiligung der Bevölkerung auskam. Wer in einem jener Festzelte sitzen und etwas zu sich nehmen wollte, musste Monate, manchmal Jahre vorher dafür einen Platz reservieren oder aber den Besuch auf Tageszeiten verschieben, zu denen ein anständiger Deutscher niemals dorthin gehen würde.

Nun würde selbstverständlich kein geistig gesunder Mensch eine Harmlosigkeit wie einen Volksfestbesuch Monate oder Jahre vorher planen. Die Folge war, so erfuhr ich, dass sich dort vormittags und des frühen Nachmittags vor allem unanständige Deutsche und von der Aura des berühmten Fests angezogene Ausländer und Touristen herumtrieben, die erbittert versuchten, schon zur Mittagszeit den Tag zum Abend zu machen. Zu dieser Zeit, so riet mir die Dame Bellini genauso wie Herr Sensenbrink, empfehle es sich, dort nicht zu erscheinen, weil das Erscheinen zu solchen Zeiten auf eine unbedeutende, ja entbehrliche Persönlichkeit schließen ließ. Die Abende hingegen gehörten ebenfalls nicht der örtlichen Bevölkerung, sondern den Konzernen jedweden Industriezweigs. Praktisch jede halbwegs namhafte Firma fühlte sich verpflichtet, für ihre Kunden oder die Presse sogenannte Wiesnbesuche zu arrangieren, manche Presseorgane waren jedoch aus Unzufriedenheit mit den Firmenereignissen oder den dort vorhandenen Gästen dazu übergegangen, sich selbst gleich einen passenden Wiesnbesuch zurechtzuschnitzen, ein, wie ich fand, sehr kluges, eigentlich regelrecht goebbelshaftes Vorgehen. Manche dieser Treffen, so versicherte man mir, konnten zwischenzeitlich an Bedeutung durchaus mit einem Opernballe mithalten. Und zu jenen qualitativ hochwertigen Treffen gehörte jenes des Magazins. Meine Zusage entpuppte sich obendrein als propagandistisch besonders wirksam, weil aufgrund meines vorherigen Fernbleibens von dem Feste gleich mehrere Boulevardzeitungen auf ihre Titelseiten schrieben: »Hitler zum ersten Mal auf der Wiesn«. Angesichts dieser Reibungslosigkeit, so dachte ich nicht unzufrieden, rückte die Organisation eines neuen »Völkischen Beobachters« zunehmend und immer weiter in den Hintergrund.