Выбрать главу

»Sehen Sie, gnädige Frau«, sagte ich, um Zeit zu gewinnen, »ich freue mich ja so, wieder hier zu sein, hier im schönen München, in meiner Hauptstadt der Bewegung – wussten Sie das?«

»Nein, wie interessant«, quietschte sie ratlos und hob bereits ihre Arme, um mir durch die Frisur zu fahren. Es ist für solche Frauenzimmer weniges leichter, als Autoritäten herabzuwürdigen, indem man deren Äußeres beschädigt. Ich fand, wenn die Vorsehung ein Wunder in ihrer Planung bereithielt, war es jetzt an der Zeit.

Plötzlich hielt mir jemand aus der Reihe der Fotografen einen dicken schwarzen Stift unter die Nase.

»Signieren Sie doch das Dirndl«, sagte er.

»Das Dirndl?«

»Aber klar!«

»Ja! Super!« Letzteres kam aus den Reihen seiner Kollegen.

Die niedersten Instinkte des Menschen sind die zuverlässigsten Verbündeten, vor allem wenn man sonst keine hat. Selbstverständlich hatte die fragwürdige Frau kein Interesse an einem signierten Kleid. Die Fotografen jedoch drängten darauf, weil sie eine Variante des üblichen anzüglichen Ausschnittfotos witterten. Und gegen deren Begehr konnte sie nur begrenzt ankämpfen. Wer durch das Schwert lebt, wird durch das Schwert fallen, selbst wenn das Schwert nur ein Fotoapparat ist. Sie nickte daraufhin mit einem quietschenden »Super!«. Ich dachte, es wäre auf jeden Fall eine Möglichkeit, den Feind hinzuhalten, vielleicht gar neue Truppen heranzuführen.

»Sie gestatten, gnädige Frau?«

»Aber nur auf den Stoff«, quietschte sie zögerlich. »Und nicht so groß.«

»Gewiss«, sagte ich und machte mich ans Werk. Jede Sekunde Zeitgewinn zählte doppelt, also ergänzte ich meine Unterschrift noch durch einige Schmuckelemente. Ich kam mir schon selbst blöd vor, ich musste schließlich aufhören, sonst hätte es ausgesehen wie bei kleinen Mädeln, die sich Bildlein ins Poesiealbum malen.

»Fertig«, sagte ich bedauernd und setzte mich auf.

Irgendein Fotograf sagte »Uiuiui«. Die Dame folgte seinem Blick.

Ich sah überrascht, wie sie entsetzt die Augen aufriss.

»Verzeihen Sie«, sagte ich, »die Winkel sind wohl etwas unsauber geworden. Auf einem herkömmlichen Zeichenblock wäre das natürlich nicht passiert. Wussten Sie, dass ich einmal Maler werden…«

»Sind Sie wahnsinnig?«, kreischte sie und sprang von meinem Schoße auf. Ich konnte es kaum glauben. Das Wunder der Theresienwiese.

»Entschuldigung, gnädige Frau«, sagte ich, »ich verstehe nicht recht?«

»Ich kann doch nicht mit einem Hakenkreuz auf der Brust über die Wiesn rennen!«

»Aber selbstverständlich können Sie das«, sagte ich beschwichtigend, »wir haben ja nicht mehr 1924. In diesem Lande gibt es vielleicht keine vernünftige Regierung, aber auf die Meinungsfreiheit lassen diese parlamentarischen Schwätzer ja nichts kommen und…«

Sie hörte schon überhaupt nicht mehr zu und rieb zeternd derart heftig an ihrem Ausschnitt herum, dass es beinahe frivol wirkte. Und auch wenn mir die Verzweiflung nicht ganz nachvollziehbar war, schien doch die Lage gerettet. Auf den Fotos war sie diejenige, die nicht gut aussah. Die Fernsehbeiträge waren genau genommen noch besser, man konnte gut verfolgen, wie sie hochschnellte und mit einem unschön verzerrten Gesicht und einer Flut von Beschimpfungen nicht im Mindesten mehr heiter wirkte. Die meisten Beiträge endeten im Übrigen damit, wie sie wenige Minuten später entrüstet in einer Droschke abfuhr, erstaunliche Kraftausdrücke verschleudernd.

Insgesamt hätte ich freilich einen etwas würdevolleren Auftritt bevorzugt. Allerdings war das Resultat unter den gegebenen Umständen mehr als akzeptabel, die eigenen Verluste schienen mir in jedem Falle geringer als die des Gegners. Das Volk liebt stets noch den wehrhaften Sieger, der sich zu verteidigen weiß, der eine solche Person mit nicht mehr Aufwand vertreibt als eine lästige Fliege.

Ich wollte mir gerade ein weiteres Mineralwasser bestellen, als schon eines auf den Tisch gestellt wurde. »Mit einem schönen Gruß von dem Herrn dort«, sagte die Kellnerin und wies in eine Richtung. Ich blickte durch das Durcheinander von Menschen und sah etliche Tische entfernt eine blonde Gestalt mit der Gesichtsfarbe eines Wiesnhendls. Die Falten im Gesicht verliehen der Gestalt das Aussehen eines sehr alten Luis Trenker und ergaben zusammen genommen so etwas wie ein bizarres Grinsen. Als er meinen Blick aufnahm, hob jener Herr seinen Arm zu einer Winkbewegung, die in einer Faust mit aufgerichtetem Daumen endete, dazu versuchte er so verzweifelt wie vergeblich, das ledrige Grinsen noch zu verbreitern.

Ich rieb mir die Augen und beschloss, so bald als möglich aufzubrechen. Es war denkbar, dass die Getränke hier verunreinigt waren. Denn direkt neben jenem Herrn saß eine exakte Kopie jener Frau, die doch soeben mit dem Hakenkreuz auf der Brust das Zelt verlassen hatte.

xxxii.

Es ist erstaunlich, welche Wege die Vorsehung findet, um an ihr Ziel zu gelangen. Sie sorgt dafür, dass der eine im Schützengraben fällt, der andere hingegen überlebt. Sie lenkt die Schritte eines einfachen Gefreiten zur Tagung einer kleinen Splitterpartei, auf dass er sie später zu Millionen Mitgliedern führen kann. Sie sorgt dafür, dass mancher zu Höherem Bestimmte inmitten seiner Arbeit zu, sagen wir, einem Jahr Festungshaft verurteilt wird, damit er dort endlich die Muße findet, ein großes Buch zu schreiben. Sie sorgt auch dafür, dass ein unentbehrlicher Führer in der Sendung eines Türkenkobolds landet, um diesen anschließend derart zu überragen, dass man ihm eine eigene Sendung förmlich aufdrängt. Und daher bin ich sicher, dass auch die Vorsehung es so eingerichtet hat, dass das Fräulein Krömeier nichts von Rasierklingen versteht.

Denn wieder einmal galt es innezuhalten. Zwar hatte ich stets an die Sinnhaftigkeit meiner Wiederkehr geglaubt, doch war unter dem Ansturm der aktuellen Ereignisse die Ermittlung jenes eigentlichen Sinnes vorübergehend in den Hintergrund getreten. Und eine größere Dringlichkeit zeichnete sich zunächst nicht ab, schien doch das Volk gröberer Nöte und Demütigungen fürs Erste enthoben. Doch nun beschloss das Schicksal wie einst in Wien, mir ein zweites Mal die Augen zu öffnen.

Ich war bislang mit dem alltäglichen Leben recht wenig in Berührung gekommen, die kleinen Erledigungen hatte mir Fräulein Krömeier abgenommen. Erst nach und nach stellte sich heraus, wie sehr sich doch mancherlei gewandelt hatte, als ich beschloss, auch selbst einige Besorgungen zu machen. Ich hatte gerade in der letzten Zeit meinen guten alten Rasierapparat besonders vermisst. Bislang musste ich notdürftig mit einem jener Kunststoffapparate zurande kommen, deren Vorzug darin bestand, mehrere ungenügende Klingen zu kombinieren, um die Haut gleich mehrfach unangenehm abzuraspeln. Wie ich der Packung entnehmen konnte, hielt man dergleichen für einen gewaltigen Fortschritt, vor allem im Vergleich zur alten Version, die eine Klinge weniger beinhaltete. Ich jedoch konnte noch immer keinen Vorteil erkennen gegenüber einer vernünftigen guten alten einzelnen Klinge. Ich hatte vergeblich versucht, dem Fräulein Krömeier zu beschreiben, wie eine solche wohl aussah und zu funktionieren hätte. Insofern machte ich mich notgedrungen selbst auf den Weg.

Das letzte Mal richtig eingekauft hatte ich so etwa 1924 oder 1925. Damals ging man zu einem Kurzwarenhändler oder zu einem Seifengeschäft. Heute musste man dazu in die Drogerie, zu der mir das Fräulein Krömeier den Weg beschrieben hatte. Dort angekommen, musste ich feststellen, dass sich das Erscheinungsbild der Drogerie doch sehr gewandelt hatte. Früher gab es eine Theke, und dahinter waren die Waren. Heute gab es eine Theke, aber sie war nahe an den Ausgangsbereich gerückt. Dahinter befand sich überhaupt nichts außer der Innenseite des Schaufensters. Die eigentlichen Waren standen für jedermann zugänglich in endlosen Reihen von Regalen. Zuerst nahm ich an, es gäbe hier Dutzende Verkäufer, die alle in zwangloser Kleidung erschienen waren. Es stellte sich heraus, dass dies die Kunden waren. Der Kunde holte sich alles selbst und rannte dann damit zur Theke. Es war überaus befremdlich. Selten zuvor hatte ich mich derart unhöflich behandelt gefühlt. Es war, als hätte mir jemand gleich am Eingang zu verstehen gegeben, dass ich mir meine paar lumpigen Rasierklingen gefälligst selbst zusammensuchen sollte, die Herrschaften Drogisten hätten nun einmal Besseres zu tun.