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Erst allmählich erschloss sich mir der Zusammenhang: In wirtschaftlicher Hinsicht hatte dies mehrere Vorteile. Der Drogist konnte zunächst große Teile seines Verkaufslagers zugänglich machen und hatte damit mehr Verkaufsfläche. Des Weiteren konnten sich hundert Kunden selbst natürlich schneller bedienen, als zehn oder gar zwanzig Verkäufer es gekonnt hätten. Und zu guter Letzt sparte man sich auch diese Verkäufer. Der Vorteil lag auf der Hand: Bei einer flächendeckenden Einführung dieses Prinzips, so schätzte ich überschlägig, konnten in der Heimat sofort rund 100–200000 Einsatzkräfte für den Fronteinsatz freigemacht werden. Das war derart beeindruckend, dass ich auf Anhieb sofort dem genialen Drogisten gratulieren wollte. Ich stürzte zu einer der Theken und fragte nach dem Herrn Rossmann.

»Welcher Herr Rossmann?«

»Na der, dem diese Drogerie gehört!«

»Der is nich da.«

Das war schade. Andererseits erübrigte sich die Gratulation, weil ich rasch herausfand, dass der kluge Herr Rossmann leider meine Rasierklingen nicht verkaufte. Ich wurde zu einem anderen Geschäft geschickt, dem eines Herrn Müller.

Um mich kurz zu fassen: Auch Herr Müller hatte die geniale Idee des Herrn Rossmann schon umgesetzt. Meine Rasierklingen hatte er jedoch ebenso wenig, was auch für den Herrn Schlecker galt, dessen reichlich verwahrlost wirkendes Geschäft nach einem noch weitergehenden Prinzip geführt wurde: Dort war nicht einmal die Kasse besetzt. Was nur konsequent war, weil es ja auch hier meine Rasierklingen nicht gab. Letzten Endes ließ sich diese Erfahrung dahingehend zusammenfassen, dass in Deutschland immer weniger Verkäufer keine Rasierklingen verkauften. Das war nicht erfreulich, aber wenigstens effizient.

Ratlos schlenderte ich weiterhin durch die Einkaufspassagen. Es erwies sich wieder einmal als richtig, den schlichten Straßenanzug gewählt zu haben, so bekam ich erneut unverfälscht die wahre Situation der Bevölkerung, ihre Ängste, Sorgen und Rasierklingennöte aus der nächsten Nähe mit. Und einmal darauf aufmerksam geworden, stellte sich heraus, dass nicht nur die Drogisten nach jenem wunderlichen Arbeitsprinzip organisiert waren, sondern die ganze Gesellschaft. Jedes Bekleidungsgeschäft, jede Buchhandlung, jedes Schuhgeschäft, jedes Kaufhaus, auch und gerade Lebensmittelhandlungen, sogar Restaurants, alles war praktisch ohne Personal. Geld, so stellte sich heraus, gab es nicht mehr bei der Bank, sondern an Automaten. Genauso verhielt es sich mit Fahrkarten, mit Briefmarken, hier war man bereits dazu übergegangen, die Postfilialen samt und sonders zu beseitigen. Auch Pakete wurden in einen Automaten geschoben, an dem sie sich der Empfänger dann gefälligst selbst zu holen hatte. Angesichts dessen hätte die neue Wehrmacht über ein Millionenheer verfügen müssen. Tatsächlich aber hatte die Wehrmacht mit Ach und Krach gerade die doppelte Mannschaftsstärke des Versailler Schandvertrages. Es war rätselhaft.

Wo waren all diese Menschen?

Zunächst war ich davon ausgegangen, dass sie wohl Autobahnen bauten, Sümpfe trockenlegten und dergleichen mehr. Dem war allerdings nicht so. Sümpfe galten neuerdings als seltene Rarität und wurden eher nachgegossen als ausgetrocknet. Und Autobahnen bauten nach wie vor polnische, weißrussische, ukrainische und andere Fremdarbeiter, zu Löhnen, die für das Reich rentabler gewesen wären als jeder Krieg. Hätte ich damals gewusst, wie billig der Pole zu haben ist, ich hätte das Land genauso gut überspringen können.

Man lernt eben nie aus.

Kurz kam mir die Möglichkeit in den Sinn, das deutsche Volk könnte zwischenzeitlich einfach derart geschrumpft sein, dass all diese eingesparten Menschen ganz natürlich nicht mehr vorhanden waren. Die Statistik sagte hingegen, dass es noch immer 81 Millionen Deutsche gab. Man wundert sich hier auch vermutlich, weshalb mir der Gedanke mit den Arbeitslosen nicht früher gekommen ist. Der Grund ist, dass mir das Bild des Arbeitslosen anders in Erinnerung geblieben war.

Der Arbeitslose, den ich von früher kannte, hängte sich Schilder um den Hals mit der Aufschrift »Suche Arbeit jeder Art«, und damit ging er dann auf die Straße. Wenn er lange genug erfolglos mit diesem Schild herumgelaufen war, legte er das Schild ab, nahm eine rote Fahne in die Hand, die ihm ein herumlungernder Bolschewik in die Hand drückte, und dann ging er mit dieser Fahne auf die Straße. Ein Millionenheer zorniger Erwerbsloser war die ideale Voraussetzung für jede radikale Partei, und die radikalste von allen hatte glücklicherweise ich. Aber in den Straßen der neuen Gegenwart sah ich keinen Arbeitslosen. Hier protestierte niemand. Und auch die naheliegende Vermutung, man hätte die Menschen in einem Arbeitsdienste oder einer Form von Arbeitslager konzentriert, bewahrheitete sich nicht. Stattdessen hatte man, wie ich herausfand, die eigenwillige Lösung eines Herrn Hartz gewählt.

Dieser Herr hatte herausgefunden, dass man sich die Arbeiterschaft nicht nur durch höhere Löhne oder dergleichen gewogen machen kann, sondern auch dadurch, dass man ihren Vertretern Geld und brasilianische Geliebte zukommen lässt. Diese Erkenntnis war nun mit mehreren Gesetzen auf die Erwerbslosen übertragen worden, freilich auf einem erheblich niedrigeren Niveau. Statt mehrerer Millionen gab es einen geringeren Betrag, statt richtiger Brasilianerinnen gab es ungarische oder rumänische Liebesdienerinnen per Bild aus dem Internetz, was nur voraussetzte, dass jeder Erwerbslose einen oder mehrere Computer besaß. So konnten sich die Herren Rossmann und Müller weiterhin in ihrem verkäufer- und rasierklingenlosen Gewerbe die Taschen füllen, ohne dass sie fürchten mussten, ein Erwerbsloser würde ihnen die Fensterscheiben einwerfen. Bezahlt wurde das Ganze dann von den Steuern des kleinen Mannes aus der Schrapnellfabrik. Und selbstverständlich deutete für den erfahrenen Nationalsozialisten hier alles auf eine Verschwörung des Kapitals, des Finanzjudentums hin: Mit dem Geld der Armen wurden die noch Ärmeren zum Wohle der Reichen derart beschwichtigt, dass sie in aller Ruhe ihre Krisengewinnlergeschäfte durchführen konnten. Darauf hinzuweisen wurden im Übrigen sogar linke Politiker nicht müde, wenn auch natürlich unter Fortlassung der jüdischen Komponente. Doch tatsächlich griff diese Erklärung zu kurz. Hier musste fraglos nicht nur das Finanzjudentum, sondern auch das Weltjudentum bemüht werden – nur dann enthüllte sich die wahre Abgefeimtheit des ganzen Komplotts. Und das war, so wurde mir schlagartig klar, die Aufgabe, die mir die Vorsehung stellte. Schließlich konnte allein ich in dieser so liberalbürgerlich verblendeten Scheinwelt die Wahrheit erkennen und aufdecken.

Denn oberflächlich hätte man dem Herrn Hartz und seinen sozialdemokratischen Erfüllungsgehilfen ja durchaus eine Verwirklichung ihrer vorgeblichen Ziele bescheinigen können. Waren denn nicht ein Computer und eine weißrussische Bildröhrenfrau, waren denn nicht eine warme, trockene Wohnung und ausreichend Nahrung, war denn nicht all das eine Umverteilung im sozialistischen Sinne?

Nein, die Wirklichkeit erkannte nur, wer den Juden kannte, wer wusste, dass es hier kein Links und kein Rechts gibt, dass beide Seiten ewiglich und immerwährend Hand in Hand arbeiten, verschleiert zwar, doch unabänderlich. Und nur der klarsichtige, alle Schleier durchschauende Geist konnte erkennen, dass sich nichts geändert hatte am Ziel, die arische Rasse zu beseitigen. Der Endkampf um die knappen Ressourcen der Erde würde kommen, deutlich später als ich ihn prophezeit hatte, aber er würde kommen. Und das Ziel war so deutlich zu sehen, dass nur ein Narr es hätte leugnen können: Die jüdischen Horden planten mit ihren hässlichen Massen nach wie vor das Reich zu überschwemmen. Sie hatten nur aus dem letzten Kriege gelernt. Weil sie um ihre Unterlegenheit gegenüber dem deutschen Landser wussten, beschlossen sie, die Wehrfähigkeit des Volkes auszuhöhlen, zu mindern, zu vernichten. Sodass am Tage der Entscheidung den asiatischen Millionen nur verweichlichte Hartzmenschen gegenüberträten, die hilflos ihre Mausgeräte und ihre Fernsehspielapparate schwenkten.