Aus dem Büro brachte mir Fräulein Krömeier weitere Post. Auch sie war mehrfach angerufen worden, es handelte sich im Wesentlichen um andere Personen derselben Parteien und Gruppen, neu waren die Meldungen diverser Kommunistenverbände, die Begründung dafür ist mir zwischenzeitlich entfallen, sie wird wohl letztlich nicht zu weit entfernt gewesen sein von jener Stalins für seinen Pakt mit uns 1939. Allen diesen Anrufern und Skribenten war gemein, dass sie mich zur Mitgliedschaft in ihrem Verbunde zu überreden gedachten. Tatsächlich gab es nur zwei Parteien, die sich nicht meldeten. Naivlinge hätten dahinter vermutlich Desinteresse gewittert, aber ich wusste es besser. Weshalb ich nach einem weiteren halben Tage, als eine mir unbekannte Berliner Nummer auf dem Telefon aufleuchtete, aufs Geratewohl hineinrief:
»Hallo? Ist da die SPD?«
»Äh, ja – spreche ich mit Herrn Hitler?«, sagte eine Stimme am anderen Ende.
»Aber ja«, rief ich, »ich habe schon auf Sie gewartet!«
»Auf mich?«
»Nicht speziell. Aber auf jemanden von der SPD. Wer spricht denn?«
»Gabriel, Sigmar Gabriel. Das ist ja wunderbar, dass Sie schon wieder so gut telefonieren können, ich habe die schlimmsten Dinge gehört und gelesen. Das klingt ja schon wieder richtig gut.«
»Das liegt nur an Ihrem Anruf.«
»Oh! Weil er Sie so freut?«
»Nein, weil er so spät kommt. In der Zeit, die vergeht, bis der deutschen Sozialdemokratie mal eine Idee kommt, könnte man auch zwei schwere Tuberkulosen ausheilen.«
»Haha«, machte Gabriel, und es klang erstaunlich natürlich. »Da haben Sie manchmal nicht unrecht. Sehen Sie, und gerade deshalb rufe ich an…«
»Ich weiß. Weil meine Partei gerade im Ruhezustand ist.«
»Welche Partei?«
»Sie enttäuschen mich, Gabriel! Wie heißt meine Partei?«
»Äh…«
»Na!«
»Sie müssen entschuldigen, ich glaube, ich stehe gerade etwas auf der Leitung…«
»N.S.D.A.…?«
»P?«
»P. Genau. Die ruht gerade. Und Sie wollen wissen, ob ich zufällig derzeit eine neue Heimat suche. In Ihrer Partei!«
»In der Tat hatte ich so etwas…«
»Schicken Sie Ihre Papiere ruhig in mein Büro«, plauderte ich.
»Sagen Sie, haben Sie gerade Schmerzmittel genommen? Oder einige Schlaftabletten zu viel?«
»Nein«, sagte ich und war schon drauf und dran hinzuzufügen, es habe aber gerade eine angerufen. Dann fiel mir ein, dass Gabriel möglicherweise recht hatte. Man weiß ja nie, was die Mediziner über diese Schlauchbeutel so alles verabreichen. Und mir fiel ein, dass diese SPD in ihrer gegenwärtigen Form nun wirklich keine Partei mehr war, die man hätte in ein Konzentrationslager sperren müssen. In ihrer Tranigkeit mochte sie gar noch zu mancherlei brauchbar sein. Also verwies ich sofort auf eine gewisse Medikamenteneinnahme und verabschiedete mich dann letztlich doch recht freundlich.
Ich lehnte mich in mein Kissen zurück und überlegte, wer wohl als Nächstes anrufen würde. Es fehlte eigentlich nur noch das Telefonat mit dem Kanzlerinnenwahlverein. Wer kam dafür wohl infrage? Die klumpige Matrone selbst schied natürlich aus. Aber diese Arbeitsministerin hätte mich gefreut. Ich hätte gerne gewusst, wieso sie die Fortpflanzung eingestellt hatte, nur ein Kind vom Mutterkreuz in Gold entfernt. Jener Guttenberg wäre auch interessant gewesen, ein Mann, der – obwohl dem jahrhundertetiefen Sumpfe adligen Inzests entstiegen – in großen Zusammenhängen zu denken vermochte, ohne sich dauernd mit kleinlich-professoralen Einwänden aufzuhalten. Aber dessen Blütezeit in der Politik schien mir überschritten. Wer blieb? Das ökologische Brillenbürschlein? Die Null von Fraktionschef? Der bemüht biedere Finanzschwabe im Rollstuhl?
Tatsächlich galoppierten nun schon wieder die Walküren. Die Nummer war mir unbekannt, die Vorwahl stammte jedoch aus Berlin. Ich entschied mich für den Windbeutel.
»Guten Tag, Herr Pofalla«, sagte ich.
»Wie bitte?« Das war unbestreitbar die Stimme einer Dame. Ich schätzte sie älter ein, vielleicht Mitte fünfzig.
»Verzeihung – wer spricht?«
»Golz ist mein Name, Beate Golz«, und sie nannte den Namen eines recht bekannten deutschstämmigen Verlags. »Und mit wem spreche ich?«
»Hitler«, sagte ich und räusperte mich, »entschuldigen Sie, ich hatte jemand anderes erwartet.«
»Rufe ich ungelegen an? Ihr Büro sagte mir, ich könnte nachmittags problemlos…«
»Nein, nein«, wehrte ich ab, »das ist schon in Ordnung. Bitte nur keine Fragen mehr nach meinem Wohlbefinden.«
»Geht’s Ihnen noch so schlecht?«
»Nein, aber dennoch – man kommt sich schon vor wie die reinste Schellackplatte.«
»Herr Hitler… ich rufe an, weil ich Sie fragen möchte, ob Sie nicht ein Buch schreiben wollen?«
»Das habe ich schon«, sagte ich, »sogar zwei.«
»Ich weiß. Über zehn Millionen Exemplare. Wir sind sehr beeindruckt. Aber jemand mit diesem Potenzial darf doch nicht achtzig Jahre Pause machen.«
»Ja, sehen Sie, das lag nicht so ganz in meiner Hand…«
»Sie haben natürlich recht, ich verstehe schon, dass man nicht so gut zum Schreiben kommt, wenn einem der Russe über den Bunker rollt…«
»In der Tat«, sagte ich. Ich selbst hätte es kaum anders ausdrücken können. Ich war angenehm überrascht vom offenkundigen Einfühlungsvermögen jener Frau Golz.
»Aber jetzt ist der Russe ja wieder weg. Und sosehr wir alle Ihre wöchentliche Bilanz im Fernsehen genießen – ich denke, es ist an der Zeit, dass der Führer wieder einmal ein umfassendes Zeugnis seiner Weltsicht darlegt. Oder – bevor ich mich hier völlig zum Idioten mache – haben Sie längst anderweitige Verpflichtungen?«
»Nun, ich veröffentliche üblicherweise im Franz-Eher-Verlag«, sagte ich, aber dann fiel mir ein, dass der sich wohl momentan ebenfalls im Ruhezustand befand.
»Ich nehme an, Sie haben schon länger von Ihrem Verlag nichts mehr gehört, oder?«
»Das stimmt eigentlich«, sinnierte ich, »ich frage mich, wer in diesem Moment meine Tantiemen kassiert.«
»Das Land Bayern, wenn ich richtig informiert bin«, sagte Frau Golz.
»Frechheit!«
»Sie können natürlich klagen, aber Sie wissen ja, wie das bei Gerichten ist…«
»Wem sagen Sie das!«
»Ich würde mich allerdings freuen, wenn Sie stattdessen den etwas einfacheren Weg gehen würden.«
»Und der sähe wie aus?«
»Sie schreiben ein neues Buch. In einer neuen Welt. Wir würden es gerne verlegen. Und weil wir hier unter Profis reden, kann ich Ihnen Folgendes anbieten.« Dann nannte sie neben diversen Werbemaßnahmen größeren Umfanges auch eine Vorschusszahlung in einer Höhe, die mir sogar in diesem fragwürdigen Eurogeld eine beträchtliche Anerkennung entlockte – was ich aber selbstverständlich vorerst für mich behielt. Zudem dürfte ich mir die Mitarbeiter frei aussuchen, auch deren Honorare würde der Verlag übernehmen.
»Unsere einzige Bedingung: Es muss die Wahrheit drinstehen.«
Ich rollte mit den Augen. »Sie wollen wohl auch wissen, wie ich heiße.«
»Nein, nein, Sie heißen selbstverständlich Adolf Hitler. Welchen Namen sollen wir denn sonst auf so ein Buch drucken? Moische Halbgewachs?«
Ich lachte. »Oder Schmul Rosenzweig. Sie gefallen mir.«