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Während der Fastenzeit erlebte auch meine Mutter einen wahrhaften Schmerz. In einem Augenblick, wo sie es am wenigsten erwartete, erhielt sie die Nachricht, daß meine jüngste Schwester Elisabeth im Alter von ungefähr vier Jahren plötzlich gestorben sei. Darüber war sie sehr traurig, und auch ich beweinte sie.

Einige Tage darauf sah ich eines schönen Morgens die Kaiserin in mein Zimmer treten. Sie ließ meine Mutter rufen und ging mit ihr in mein Ankleidezimmer, wo sie eine lange Unterredung miteinander hatten. Dann kehrten sie in mein Schlafzimmer zurück, meine Mutter mit geröteten, tränenerfüllten Augen. Aus der Fortsetzung des Gesprächs vernahm ich, daß es sich um den Tod Kaiser Karls XII. aus dem Hause Bayern handelte, den man der Kaiserin soeben mitgeteilt hatte. Elisabeth war damals noch ohne Allianz und schwankte zwischen der des Königs von Preußen und der des österreichischen Hauses — jede von beiden hatte ihre Parteigänger. Die Kaiserin hatte dieselben Beschwerden gegen Oesterreich wie gegen Frankreich geführt. Mit letzterem war der König von Preußen verbunden, und Marquis Botta, der Gesandte des Wiener Hofes, mußte wegen übler Nachrede über die Kaiserin Rußland verlassen, was man seinerzeit als eine Verschwörung darzustellen suchte. Aus ähnlichen Ursachen war auch der Marquis de La Chétardie fortgeschickt worden. Ich kenne den Zweck dieser Unterredung zwar nicht, aber meine Mutter schien große Hoffnungen daraus zu schöpfen, denn sie sah sehr befriedigt darauf zurück. Sie neigte sich damals durchaus nicht auf die Seite Oesterreichs. Was mich betrifft, so war ich bei all diesen Dingen ein sehr passiver, sehr diskreter und fast gleichgültiger Zuschauer.

Nach Ostern, als der Frühling eingekehrt war, erklärte ich der Gräfin Rumianzoff mein Verlangen, reiten zu lernen, und sie verschaffte mir von der Kaiserin die Erlaubnis dazu. Beim Wechsel der Jahreszeit aber begann ich wieder Brustschmerzen zu fühlen; überhaupt war ich nach der Brustfellentzündung sehr matt geblieben. Die Aerzte rieten mir daher, jeden Morgen heiße Milch und Selterwasser zu trinken. Im Hause der Rumianzoff, in der Kaserne des Regiments Ismailofski, nahm ich meine erste Reitstunde. Ich hatte zwar schon öfters in Moskau auf einem Pferde gesessen, aber sehr schlecht.

Im Mai bezog die Kaiserin mit dem Großfürsten den Sommerpalast. Meiner Mutter und mir wies man ein steinernes Gebäude an, welches damals an der Fontanka lag, nahe beim Hause Peters I. Meine Mutter bewohnte darin den einen Flügel und ich den andern. Hier hörten alle Aufmerksamkeiten des Großfürsten für mich auf. Er ließ mir ganz einfach durch seinen Bedienten sagen, daß er zu weit von mir entfernt wohne, um mich oft besuchen zu können, und nur zu gut fühlte ich, wie wenig ihm daran lag, aber auch wie wenig Zuneigung ich selbst für ihn empfand. Meine Eigenliebe und Eitelkeit seufzten wohl im stillen, doch ich war zu stolz, um mich zu beklagen, denn ich würde es als eine Erniedrigung betrachtet haben, wenn man mir Freundschaft bewiesen, die ich hätte für Mitleid nehmen müssen. Wenn ich aber allein war, vergoß ich viele Tränen, trocknete sie dann ganz heimlich und begann mit meinen Damen zu scherzen. Auch meine Mutter behandelte mich sehr kalt und förmlich, obgleich ich nie unterließ, mehrere Male am Tage zu ihr zu gehen. Im Grunde fühlte ich eine große Einsamkeit in mir, aber ich hütete mich, davon zu sprechen. Eines Tages indes bemerkte Fräulein Jukoff meine Tränen und fragte mich nach der Ursache. Ohne ihr die wahren Gründe mitzuteilen, gab ich ihr eine ausweichende Antwort. Mehr als je bemühte ich mich, die Zuneigung aller zu gewinnen; groß und klein, niemand wurde von mir vernachlässigt. Ich machte es mir zur Pflicht, zu denken, daß ich Aller einmal bedürfen könnte, und wollte daher alles tun, mir Wohlwollen zu erwerben, was mir in der Tat auch gelang. Nach einem Aufenthalt von wenigen Tagen im Sommerpalast, wo man von den Vorbereitungen zu meiner Hochzeit zu sprechen anfing, siedelte der Hof nach Peterhof über. Hier wohnten wir näher beisammen, als in der Stadt.

Die Kaiserin und der Großfürst bewohnten den oberen Teil des Hauses, welches Peter I. gebaut hatte, meine Mutter und ich hatten die unteren Gemächer des Großfürsten inne. Wir dinierten jeden Tag mit ihm unter einem Zelte auf der offenen, an seine Wohnung stoßenden Galerie, des Abends aber speiste er bei uns. Die Kaiserin war sehr oft abwesend, indem sie bald dieses, bald jenes ihrer Landhäuser besuchte. Wir gingen viel spazieren, unternahmen fleißig Spazierritte und Wagenfahrten. Damals wurde es mir erst recht klar, daß die ganze Umgebung des Großfürsten, und besonders seine Lehrer, alle Achtung und Autorität bei ihm verloren hatten. Die militärischen Spiele, die er früher nur heimlich ausübte, führte er jetzt gewissermaßen in ihrem Beisein aus. Graf Brummer und sein erster Lehrer sahen ihn fast nur noch bei öffentlichen Gelegenheiten. Die ganze übrige Zeit brachte er buchstäblich in der Gesellschaft von Kammerdienern zu, mit für sein Alter unerhörten Kindereien, denn er spielte mit Puppen.

Meine Mutter benutzte die häufige Abwesenheit der Kaiserin dazu, in den umliegenden Landhäusern, besonders aber beim Prinzen und der Prinzessin von Hessen-Homburg, zu soupieren. Eines Abends, als sie eben dorthin geritten war, reizte mich das schöne Wetter, mein Zimmer, welches mit dem Garten in gleicher Höhe lag, und aus dem eine Tür hinausführte, zu verlassen. Ich schlug meinen Kammerfrauen und meinen drei Ehrendamen vor, einen Spaziergang im Garten zu machen. Und es kostete keine Mühe, sie zu überreden. Wir waren unserer acht, mein Kammerdiener der neunte, außerdem folgten uns zwei Bediente. Auf die unschuldigste Weise von der Welt spazierten wir bis Mitternacht umher. Nach der Rückkehr meiner Mutter jedoch hatte Fräulein Schenk, die uns nicht hatte begleiten wollen und über unsern Spaziergang brummte, nichts eiligeres zu tun, als derselben zu melden, daß ich trotz ihrer Vorstellungen hinausgegangen sei. Meine Mutter ging zu Bett, und als ich mit meiner Begleitung zurückkam, sagte mir Fräulein Schenk mit triumphierender Miene, meine Mutter habe zweimal fragen lassen, ob ich wieder da sei, weil sie mit mir sprechen wolle, da es aber so spät sei und sie müde geworden, mich zu erwarten, sei sie zu Bett gegangen. Ich eilte sofort zu ihr, fand indes die Tür verschlossen. Ich sagte darauf Fräulein Schenk, daß sie mich doch hätte rufen lassen können, sie aber behauptete, nicht gewußt zu haben, wo wir uns befanden. Dies alles hatte weiter keinen andern Zweck, als mich in Zänkereien zu verwickeln und mich auszuschelten. Das merkte ich nur zu gut und ging aufgeregt schlafen. Am folgenden Morgen, gleich nachdem ich aufgestanden war, ging ich zu meiner Mutter, die noch im Bett lag. Ich näherte mich ihr, um ihr die Hand zu küssen, doch zürnend zog sie dieselbe zurück und schalt mich schrecklich aus, daß ich gewagt, am Abend ohne ihre Erlaubnis spazieren zu gehen. Als ich erwiderte, sie sei nicht zu Hause gewesen, erklärte sie, es sei überhaupt eine unpassende Zeit, und tausend andere Dinge, scheinbar um mir die Lust zu nächtlichen Spaziergängen zu nehmen. Sicherlich war unser Spaziergang eine Unvorsichtigkeit gewesen, doch die unschuldigste Sache von der Welt. Was mich am meisten betrübte, war die Beschuldigung, wir seien in den Gemächern des Großfürsten gewesen. Ich erklärte dies für eine abscheuliche Verleumdung, worüber sie vor Zorn fast außer sich geriet. Es half mir nichts, daß ich auf die Knie fiel, ihren Unwillen zu beschwichtigen, denn das alles, sagte sie, sei nur Komödie, und jagte mich aus dem Zimmer.