Im Mai bezogen wir den Sommerpalast. Gegen Ende desselben Monats gab mir die Kaiserin Madame Tschoglokoff, eine ihrer Ehrendamen und Verwandten, als Oberhofmeisterin. Dies traf mich wie ein wahrer Donnerschlag, denn jene Dame war dem Grafen Bestuscheff sehr ergeben, äußerst einfach, dazu boshaft, launenhaft und selbstsüchtig. Ihr Gatte, Kammerherr der Kaiserin, war damals mit irgendwelchem Auftrag nach Wien geschickt worden. Als sie ihren Dienst bei mir antrat, weinte ich den ganzen Tag so heftig, daß mir am folgenden Tag zur Ader gelassen werden mußte. Am Morgen kam die Kaiserin in mein Zimmer und sagte, als sie meine rotgeweinten Augen sah, nur diejenigen jungen Frauen, welche ihre Männer nicht lieben, pflegten zu weinen. Meine Mutter jedoch habe ihr versichert, ich empfinde keinen Widerwillen, den Großfürsten zu heiraten, sonst würde sie mich nicht dazu gedrängt haben; da ich aber einmal verheiratet sei, solle ich aufhören zu weinen. Glücklicherweise erinnerte ich mich der Vorschriften, die mir Madame Kruse gegeben, und erwiderte: Winowatj Matjuschka, worauf die Kaiserin sich zufrieden gab. Inzwischen kam der Großfürst, den sie diesmal sehr freundlich empfing, dann entfernte sie sich. Man ließ mir zur Ader, was ich augenblicklich sehr bedurfte, legte mich in mein Bett, und dann weinte ich den ganzen Tag. Am andern Tag nahm der Großfürst mich beiseite, und ich bemerkte an seinen Aeußerungen, daß man ihm zu verstehen gegeben hatte, Madame Tschoglokoff sei mir beigegeben worden, weil ich ihn nicht liebe. Aber ich begreife nicht, wie man glauben konnte, meine Zärtlichkeit für ihn werde sich erhöhen, wenn man mir jene Frau beiordnete. Das sagte ich ihm auch ganz offen. Als Argus über mich zu wachen, war eine andere Sache. Dazu hätte man indes nicht eine so dumme Person wählen müssen, und sicherlich genügte es auch für ein solches Amt nicht, schlecht und böswillig zu sein. Man hielt Madame Tschoglokoff nämlich für äußerst tugendhaft, weil sie ihren Mann damals bis zur Anbetung liebte. Sie hatte ihn aus Liebe geheiratet, und mit diesem schönen Beispiel, das man mir vor Augen führte, dachte man mich vielleicht zu bewegen, dasselbe zu tun. Wir werden sehen, mit welchem Erfolg. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies der einzige Grund, der diese Aenderung in meiner Umgebung beschleunigte; ich sage beschleunigte, denn ich glaube, daß Graf Bestuscheff von Anfang an beabsichtigte, uns mit seinen Kreaturen zu umgeben. Er hätte gern mit der Umgebung der Kaiserin dasselbe getan, aber dies war nicht so leicht.
Bei meiner Ankunft in Moskau hatte der Großfürst in seinen Gemächern drei Bediente mit Namen Czernitscheff, alle drei Söhne von Grenadieren aus der Leibgarde der Kaiserin. Diese besaßen Leutnantsrang zur Belohnung dafür, daß sie der Kaiserin auf den Thron verholfen hatten. Der ältere war ein Vetter der beiden jüngeren Brüder Czernitscheff, und der Großfürst liebte sie alle drei sehr. Sie waren äußerst vertraut mit ihm und zu jedem Dienst gern bereit. Alle drei waren groß und wohlgebaut, besonders der älteste. Dieses jungen Mannes bediente sich der Großfürst zu allen seinen Aufträgen und schickte ihn täglich mehrere Male zu mir. Ihm vertraute er sich auch an, wenn er keine Lust hatte, zu mir zu kommen, um sein Herz auszuschütten.
Czernitscheff war ein sehr intimer Freund meines Kammerdieners Nevreinoff, und durch diesen erfuhr ich denn oft manches, was mir sonst unbekannt geblieben wäre. Dazu waren mir beide von ganzem Herzen ergeben, so daß ich über viele Dinge Aufklärung von ihnen gewann, die ich auf andere Weise mir nicht ohne Mühe hätte verschaffen können. Ich weiß nicht, in welcher Beziehung der ältere Czernitscheff dem Großfürsten eines Tages gesagt hatte:» Wasch Schenich, sie ist nicht meine Verlobte, sondern die Ihre. «Dieser Einfall machte dem Großfürsten viel Spaß; er erzählte ihn mir, und seitdem gefiel es Seiner kaiserlichen Hoheit, mich jewo newiesta, seine Verlobte, und Andreas Czernitscheff, wenn er mit mir von ihm sprach, Wasch Schenich, Ihren Verlobten zu nennen. Um aber endlich mit diesem Scherz ein Ende zu machen, schlug Andreas Czernitscheff Seiner kaiserlichen Hoheit vor, mich nach unserer Verheiratung Matjuschka, seine Mutter, zu nennen, und ich nannte ihn Sünock moi, meinen Sohn. Von dieser Zeit an war zwischen dem Großfürsten und mir fortwährend die Rede von diesem Sohn, den er wie seinen Augapfel liebte, und dem auch ich sehr zugetan war.
Doch mit der Zeit wurden meine Leute mißtrauisch; die einen aus Eifersucht, die andern aus Furcht vor den Folgen, welche für sie und uns daraus entstehen konnten. Eines Tages, als bei Hofe ein Maskenball stattfand, kehrte ich in mein Zimmer zurück, um meine Kleider zu wechseln. Plötzlich trat mein Kammerdiener Nevreinoff zu mir heran und flüsterte mir zu, er sowohl als alle meine Untergebenen seien in großer Angst vor der Gefahr, in welche sie mich über kurz oder lang stürzen sähen. Und als ich ihn fragte, was für eine Gefahr er meine, erwiderte er:»Sie sprechen von nichts und beschäftigen sich mit nichts, als mit Andreas Czernitscheff.«»Nun, «sagte ich in der Unschuld meines Herzens,»was ist denn Schlimmes dabei? Er ist mein Sohn; der Großfürst liebt ihn ebenso sehr als ich, und er ist uns ergeben und treu.«—»Ja, «antwortete er,»das ist wahr, der Großfürst kann tun, was ihm gefällt, aber Sie haben nicht dasselbe Recht. Was Sie Güte und Zuneigung nennen, weil dieser Mensch Ihnen treu dient, das nennen Ihre Leute Liebe. «Als er das Wort ausgesprochen, was mir nie in den Sinn gekommen war, trafen mich sowohl das verwegene Urteil als die Lage, in der ich mich, ohne es zu ahnen, befand, wie der Blitz. Nevreinoff sagte mir dann noch, daß er seinem Freunde Andreas Czernitscheff geraten habe, sich für krank auszugeben, um diesem Geschwätz ein Ende zu machen. Jener folgte dem Rate Nevreinoffs, und seine angebliche Krankheit zog sich bis zum April hinaus. Der Großfürst beschäftigte sich mit dieser Krankheit sehr viel und sprach oft mit mir darüber, ohne von dem Vorgefallenen das geringste zu ahnen. Erst als wir den Sommerpalast bezogen hatten, erschien Czernitscheff wieder, und ich konnte ihn nicht ohne Verwirrung ansehen. Inzwischen hatte es die Kaiserin für gut befunden, eine neue Anordnung mit den Hofbeamten zu treffen. Sie hatten jetzt alle abwechselnd Dienst in den inneren Gemächern, folglich auch Andreas Czernitscheff. Nachmittags gab der Großfürst oft Konzerte, wobei er selbst die Violine spielte. Während eines dieser Konzerte, in dem ich mich schrecklich langweilte, zog ich mich in mein Zimmer zurück, das nach dem großen Saal des Sommerpalastes führte, dessen Decke damals gemalt wurde, und der infolgedessen ganz voll Geräte stand. Die Kaiserin war abwesend, Madame Kruse war zu ihrer Tochter, Madame Sievers, gegangen, und so fand ich keine Menschenseele in meinem Zimmer. Aus Langeweile öffnete ich die Tür des Saales und erblickte am andern Ende Andreas Czernitscheff. Ich gab ihm ein Zeichen, sich mir zu nähern, worauf er mit großer Besorgnis bis zur Tür kam. Als ich ihn fragte, ob die Kaiserin bald zurückkehren werde, erwiderte er:»Ich kann nicht mit Ihnen reden, man macht im Saale zu viel Lärm, lassen Sie mich in Ihr Zimmer eintreten. «Allein ich antwortete ihm:»Das werde ich nicht tun. «So stand er außerhalb und ich innerhalb der Tür, die ich halbgeöffnet hielt, während ich mit ihm sprach. Unwillkürlich sah ich nach der entgegengesetzten Seite und erblickte hinter mir an der andern Tür meines Toilettezimmers den Kammerherrn Grafen Devierre, der mir sagte:»Der Großfürst schickt nach Ihnen, Madame. «Ich schloß die Tür und kehrte mit dem Grafen Devierre in das Zimmer zurück, wo der Großfürst sein Konzert gab. Später indes erfuhr ich, daß Graf Devierre, sowie noch viele andere Personen unserer Umgebung eine Art von beauftragten Berichterstattern spielten. Am folgenden Tage, es war Sonntags, nach der Messe erfuhren der Großfürst und ich, daß die drei Czernitscheffs als Leutnants in die bei Orenburg liegenden Regimenter versetzt seien, und am Nachmittag desselben Tages wurde mir Madame Tschoglokoff beigegeben.