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Endlich am Sonnabend Abend um sieben Uhr, also am fünften Tage meiner Krankheit, kam die Kaiserin aus dem Kloster Troitza zurück. Sowie sie ihren Wagen verlassen hatte, begab sie sich in mein Zimmer, wo sie mich ohne Besinnung fand. Mit ihr kamen der Graf Lestocq und ein Wundarzt, und nachdem sie den Rat der Aerzte gehört, setzte sie sich selbst auf den Rand meines Bettes und befahl, mir sofort zur Ader zu lassen. In dem Augenblick, wo dies geschah, kam ich wieder zu mir und sah mich, als ich die Augen öffnete, in den Armen der Kaiserin, welche mich stützte. Siebenundzwanzig Tage schwebte ich zwischen Leben und Tod, während man mir sechzehnmal zur Ader ließ, und bisweilen viermal an einem Tage. Meine Mutter durfte kaum noch mein Zimmer betreten. Sie widersetzte sich fortwährend gegen diese häufigen Aderlässe und behauptete öffentlich, man wolle mich umbringen. Schließlich aber begann sie sich doch zu überzeugen, daß ich die Pocken nicht bekommen würde. Die Kaiserin hatte die Gräfin Rumianzoff und mehrere andere Damen zu mir geschickt, und es schien, als ob man dem Urteile meiner Mutter mißtraue. Endlich öffnete sich der innerliche Abszeß an meiner rechten Seite durch die Bemühungen des portugiesischen Arztes Sanches. Ich brach ihn aus, und von diesem Augenblick an kehrte mein Bewußtsein vollkommen zurück. Sofort aber bemerkte ich, daß das Benehmen meiner Mutter während meiner Krankheit ihr die Mißbilligung aller zugezogen hatte. Als sie mich sehr krank sah, wollte sie einen lutherischen Pastor zu mir rufen lassen, und man sagte mir später, daß man einen Augenblick, wo ich bei Bewußtsein war, benutzte, mir diesen Vorschlag zu machen, daß ich jedoch antwortete:»Wozu? schickt lieber nach Simon Theodorski; mit diesem will ich gerne sprechen. «Man holte ihn, und er sprach mit mir in Gegenwart der Anwesenden auf eine Weise, die jedermann befriedigte. Dies machte einen sehr guten Eindruck auf die Kaiserin und den ganzen Hof.

Aber noch ein anderer kleinerer Umstand schadete meiner Mutter sehr. Um Ostern ließ sie mir eines Morgens durch eine Kammerfrau sagen, ich möchte ihr einen blauen, silberdurchwirkten Stoff abtreten, den mir mein Onkel bei meiner Abreise nach Rußland geschenkt hatte, weil ich großen Gefallen daran fand. Ich ließ ihr erwidern, es stehe ganz bei ihr, ihn zu nehmen, obgleich ich ihn sehr liebe, weil ihn mir mein Onkel, als er gesehen, daß er mir gefalle, geschenkt habe. Da nun die Personen meiner Umgebung merkten, daß ich meinen Stoff nur ungern hergab, und bedachten, wie lange ich zwischen Leben und Tod geschwebt, und seit wie wenigen Tagen ich mich erst etwas besser fühlte, besprachen sie unter einander die Unklugheit meiner Mutter, einem sterbenden Kinde das geringste Vergnügen zu mißgönnen, während sie, statt diesen Stoff an sich zu reißen, ihn lieber gar nicht hätte erwähnen sollen. Man erzählte den Vorgang der Kaiserin, die mir auf der Stelle mehrere reiche und prächtige Stoffe schickte, unter andern auch einen blauen silberdurchwirkten. Meiner Mutter jedoch schadete dies bei ihr ungemein, und man beschuldigte sie, weder Zärtlichkeit noch Schonung für mich zu empfinden, während meiner Krankheit hatte ich mich daran gewöhnt, die Augen geschlossen zu halten, so daß man glaubte, ich schliefe; dann sprachen die Gräfin Rumianzoff und die andern Damen unter sich, was sie auf dem Herzen hatten, wodurch ich viele Dinge erfuhr.

Als es mir ein wenig besser ging, brachte der Großfürst den Abend im Zimmer meiner Mutter zu, welches auch das meinige war. Er und alle andern schienen das größte Interesse an meinem Zustande zu nehmen, und die Kaiserin hatte sogar oft Tränen in den Augen. Endlich, am 21. April 1744, meinem fünfzehnten Geburtstage, war ich imstande, zum ersten Male nach dieser schrecklichen Krankheit in Gesellschaft zu erscheinen.

Ich glaube, man war über meinen Anblick nicht sehr erbaut. Ich war mager wie ein Skelett geworden, war gewachsen, aber mein Gesicht und meine Züge hatten sich verlängert, die Haare fielen mir aus und ich war totenbleich. Ich selbst fand mich zum Erschrecken häßlich und konnte meine Züge kaum wiedererkennen. Die Kaiserin schickte mir auch deshalb einen Schminktopf und befahl mir, etwas Rot aufzulegen.

Mit dem Beginne des Frühlings und des schönen Wetters hörte die uns vom Großfürsten bewiesene Teilnahme auf. Er zog es vor, spazieren zu gehen oder in der Umgebung von Moskau zu schießen. Zuweilen jedoch aß er mit uns zu Mittag oder zu Abend und setzte dann seine kindischen Geständnisse gegen mich fort, während seine Umgebung sich mit meiner Mutter unterhielt. Diese empfing sehr viel Besuch und es fanden bei ihr häufig Unterredungen statt, welche den nicht daran Beteiligten äußerst mißfielen. Besonders war dies bei dem Grafen Bestuscheff der Fall, dessen Feinde sich bei uns versammelten, unter andern auch der Marquis de La Chétardie, der damals zwar noch keine offizielle Stellung im Staate einnahm, aber schon seine Beglaubigungsschreiben als Gesandter des französischen Hofes in der Tasche hatte.

Im Mai begab sich die Kaiserin wieder ins Kloster Troitza, wohin der Großfürst, ich und meine Mutter ihr folgten. Schon seit einiger Zeit begann die Kaiserin meine Mutter mit großer Kälte zu behandeln, und die Ursache davon sollten wir bald im Kloster Troitza erfahren. Eines Nachmittags, als der Großfürst in unserem Zimmer war, trat die Kaiserin plötzlich ein und forderte meine Mutter auf, ihr in das anstoßende Gemach zu folgen. Graf Lestocq begleitete sie beide, während der Großfürst und ich uns unterdessen ans Fenster setzten. Die Unterredung dauerte sehr lange. Endlich sahen wir den Grafen Lestocq heraustreten, der im Vorübergehen sich dem Großfürsten und mir näherte, und als er uns lachen sah, sagte:»Diese große Heiterkeit wird bald ein Ende haben. «Und dann, gegen mich gewandt, fuhr er fort:»Sie haben weiter nichts zu tun, als Ihr Gepäck in Ordnung zu bringen, denn Sie werden sofort nach Hause zurückkehren. «Als der Großfürst wissen wollte, weshalb, antwortete Lestocq:»Das werden Sie später erfahren. «Dann ging er hinaus, um seinen mir unbekannten Auftrag auszurichten, uns, den Großfürsten und mich, unsern Gedanken über das eben Gehörte überlassend. Die Bemerkungen des Großfürsten waren in Worten, die meinigen in Gedanken. Er sagte:»Aber wenn Ihre Mutter Fehler begangen hat, so haben Sie doch nicht auch welche begangen, «worauf ich ihm erwiderte:»Meine Pflicht ist, meiner Mutter zu folgen und zu tun, was sie mir befiehlt. «Uebrigens sah ich deutlich, daß er mich ohne großes Bedauern verlassen haben würde, was mich betraf, so war er mir bei seiner Sinnesart ziemlich gleichgültig, aber die Krone von Rußland war es mir nicht. — Endlich öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und die Kaiserin trat mit hochrotem Gesicht und erzürnter Miene heraus. Meine Mutter folgte ihr mit geröteten und tränenerfüllten Augen. Als wir uns beeilten, von der ziemlich hohen Fensterbank, auf die wir uns gesetzt hatten, hinabzuspringen, mußte die Kaiserin lächeln, küßte uns beide und ging. Nachdem sie sich entfernt hatte, erfuhren wir allmählich, um was es sich handelte.

Der Marquis de La Chétardie, der früher — oder besser gesagt, bei seiner ersten Gesandtschaftsreise nach Rußland — die Gunst und das Vertrauen der Kaiserin in hohem Maße besessen hatte, sah sich bei seiner zweiten Reise in seinen Hoffnungen getäuscht. In seinen Reden zwar mäßigte er sich, seine Briefe aber waren voll der bittersten Galle. Man hatte sie geöffnet und entziffert, in ihnen die Einzelheiten seiner Unterhaltungen mit meiner Mutter und vielen andern Personen über die Zeitverhältnisse und zwar in einem der Kaiserin ungünstigen Sinne entdeckt, und es war der Befehl erteilt worden, den Marquis de La Chétardie, der so wenig Diplomatie gezeigt, des Landes zu verweisen. Man nahm ihm den St. Andreasorden und das Porträt der Kaiserin, ließ ihm indes alle sonstigen Kostbarkeiten, die er einst von ihr zum Geschenk erhalten. Ich weiß indes nicht, ob es meiner Mutter gelang, sich vor der Kaiserin zu rechtfertigen, aber aus unserer Abreise wurde nichts. Meine Mutter jedoch wurde stets mit großer Zurückhaltung und Kälte behandelt. Es ist mir unbekannt, was zwischen ihr und de La Chétardie vorgefallen war, aber ich erinnere mich, daß er sich eines Tages an mich wandte und mich beglückwünschte, mein Haar mit Bändern geschmückt zu haben. Darauf erwiderte ich ihm:»Um der Kaiserin zu gefallen, würde ich mich auf jede mögliche Art frisieren, die sie liebt. «Als er dies hörte, wandte er sich ab, entfernte sich nach einer andern Seite und sprach nicht wieder mit mir.