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Es war Sonntag und ich ging zur Messe. Dann dinierten wir. Als wir eben wieder abfahren wollten, kamen der Kammerherr Fürst Galitzin und der Kammerkavalier Zacharias Czernitscheff von Moskau an, die im Begriff waren, nach Petersburg zu reisen. Meine Mutter war gegen den Fürsten Galitzin sehr erzürnt, daß er mit dem Grafen Czernitscheff reiste, weil dieser ich weiß nicht welche Lüge gesagt haben sollte. Sie behauptete, man müsse ihn fliehen wie einen gefährlichen Menschen, der nach Belieben Geschichten erdichte. Sie schmollte also mit beiden. Da man sich indes bei diesem Schmollen zum Sterben langweilte, und man außerdem nicht viel Auswahl hatte, da sie ferner viel unterrichteter waren und angenehmer plauderten als die andern, so stimmte ich nicht mit meiner Mutter überein, was mir ihrerseits mehrere bittere Bemerkungen zuzog.

Endlich kamen wir in Petersburg an und wurden in einem der zum Hofe gehörenden Häuser einquartiert. Da aber das Schloß, worin die Kaiserin wohnte, nicht geräumig genug war, um auch den Großfürsten darin unterzubringen, bewohnte er ein zwischen dem Palaste und dem unsrigen liegendes Haus. Meine Zimmer befanden sich im linken, die meiner Mutter im rechten Flügel des Schlosses. Sowie meine Mutter diese Anordnung bemerkte, ärgerte sie sich darüber, erstens, weil es ihr schien, als seien meine Zimmer besser gelegen als die ihren, zweitens, weil die ihrigen von den meinigen durch einen gemeinsamen Saal getrennt waren. In Wahrheit hatte jede von uns vier Zimmer, zwei nach vorn und zwei nach dem Hofe. Sie waren ganz gleich und ohne Unterschied mit blauen und roten Möbeln ausgestattet. Was aber am meisten dazu beitrug, meine Mutter aufzubringen, war, daß mir die Gräfin Rumianzoff in Moskau den Plan des Hauses auf Befehl der Kaiserin gezeigt, mir verboten, davon zu sprechen und mich zu Rate gezogen hatte, wie man uns einlogieren sollte. Da die Zimmer aber ganz gleich waren, konnte von einer Wahl nicht die Rede sein. Ich sagte dies der Gräfin, die mir bemerkte, daß es der Kaiserin angenehmer sei, wenn ich für mich wohnte, statt, wie in Moskau, mit meiner Mutter die Wohnung zu teilen. Diese Einrichtung gefiel auch mir bei weitem besser, weil ich mich in den Zimmern meiner Mutter sehr unbehaglich fühlte und ihre Gesellschaft buchstäblich niemand zusagte. Meine Mutter mußte wohl ahnen, daß man mir jenen Plan vorgelegt, und sprach davon, worauf ich ihr ganz einfach erzählte, was vorgefallen. Sie schalt mich, daß ich ihr die Sache verheimlicht hätte, doch ich erwiderte, man habe mir verboten, davon zu reden, worin sie indes keinen Grund zum Schweigen sehen wollte. Ueberhaupt bemerkte ich, wie sie von Tag zu Tag gereizter gegen mich wurde und ziemlich mit allen in gespanntem Verhältnis lebte, so daß sie weder mehr zum Diner noch zum Souper erschien, sondern sich in ihrem Zimmer servieren ließ. Nichtsdestoweniger besuchte ich sie drei- bis viermal am Tage; den Rest meiner Zeit benutzte ich, die russische Sprache zu erlernen, Klavier zu spielen und Bücher zu lesen, die ich mir selbst gekauft. So war ich denn mit fünfzehn Jahren für mein Alter einsam und fleißig genug.

Gegen Ende unseres Aufenthaltes in Moskau kam eine schwedische Gesandtschaft, an deren Spitze der Senator Cederkreutz stand. Kurz darauf traf auch Graf Gyllenburg ein, um der Kaiserin von der Vermählung des Kronprinzen von Schweden, des Bruders meiner Mutter, mit einer schwedischen Prinzessin Anzeige zu machen. Wir kannten Graf Gyllenburg und viele andere Schweden seit der Abreise des Kronprinzen nach Schweden. Er war ein sehr geistreicher Mann, nicht mehr jung, auf den meine Mutter große Stücke hielt. Ich meinerseits war ihm einigermaßen verpflichtet, denn als er in Hamburg bemerkte, daß meine Mutter wenig oder gar nichts von mir halte, sagte er ihr, sie habe unrecht, ich sei entschieden ein über mein Alter entwickeltes Kind. In Petersburg angelangt, kam er sofort zu uns und sagte mir aufs neue, ich habe eine sehr philosophische Geistesrichtung und fragte mich dann, wie es in dem Strudel meines gegenwärtigen Lebens mit meiner Philosophie stehe. Als ich ihm erzählte, womit ich mich in meinem Zimmer beschäftigte, bemerkte er, eine fünfzehnjährige Philosophin könne sich nicht selbst kennen, und ich sei von so vielen Klippen umgeben, daß er sehr fürchte, ich werde scheitern, wenn nicht mein Geist sich über alles erhebe. Es sei notwendig, ihn durch die beste Lektüre zu nähren, und zu diesem Zweck empfahl er mir,»Plutarchs Lebensbeschreibungen berühmter Männer«, das» Leben Ciceros «und die» Ursachen der Größe der Römer und des Verfalls des römischen Reichs «von Montesquieu zu lesen. Sofort ließ ich mir diese Bücher besorgen, die damals in Petersburg nur mit Mühe aufzutreiben waren. Ihm aber versprach ich eine Schilderung meiner selbst, so wie ich mich kenne, damit er sehen möge, ob ich mich richtig beurteile oder nicht.

In der Tat entwarf ich ein Bild von mir in einem Aufsatz unter dem Titeclass="underline" »Porträt der fünfzehnjährigen Philosophin«— und schickte es ihm. Viele Jahre später, 1758, habe ich dieses» Porträt «wieder gefunden und war erstaunt über die tiefe Selbstkenntnis, welche es enthielt. Unglücklicherweise habe ich es in jenem Jahre mit allen andern Papieren verbrannt, da ich fürchtete, auch nur ein einziges in meinem Zimmer zu behalten, wegen der unglücklichen Affäre mit Bestuscheff.

Graf Gyllenburg gab mir einige Tage später mein Schriftstück zurück. Ob er eine Abschrift davon genommen hat, weiß ich nicht. Er begleitete es mit einem Dutzend Seiten voller Bemerkungen, worin er versuchte, die Seelengröße und Festigkeit ebenso sehr wie die andern Eigenschaften des Herzens und des Geistes in mir zu befestigen. Immer von neuem las ich durch, was er geschrieben, vertiefte mich darein und nahm mir vor, seinen Ratschlägen zu folgen. Ich versprach es mir selbst, und wenn ich mir etwas selbst versprochen, so habe ich es, so viel ich weiß, immer gehalten. Darauf gab ich dem Grafen Gyllenburg sein Schriftstück zurück, wie er mich gebeten hatte, und ich gestehe, daß es sehr dazu beigetragen hat, meinen Geist und meine Seele zu bilden und zu stählen.

Anfang Februar kam die Kaiserin mit dem Großfürsten von Chotilowo zurück. Sobald man uns von ihrer Ankunft benachrichtigte, gingen wir ihr entgegen und trafen sie im großen Saale zwischen vier und fünf Uhr abends, in der Dämmerung. Trotzdem erschrak ich fast, als ich den Großfürsten sah, der bedeutend gewachsen, dessen Gesicht aber fast unkenntlich geworden war. Seine Züge waren grob, das ganze Gesicht noch angeschwollen, und es war unzweifelhaft, daß man ihm die Spuren seiner Krankheit immer ansehen würde. Da man ihm die Haare abgeschnitten hatte, trug er eine ungeheure Perücke, welche ihn noch mehr entstellte. Er kam auf mich zu und fragte mich, ob es mir nicht schwer werde, ihn wiederzuerkennen. Verwirrt stammelte ich einen Glückwunsch zu seiner Genesung, aber er war in der Tat abscheulich häßlich geworden.

Am 9. Februar 1745 war gerade ein Jahr seit meiner Ankunft am russischen Hofe verflossen. Am 10. feierte die Kaiserin den Geburtstag des Großfürsten, der in sein siebzehntes Jahr eintrat. Sie dinierte mit mir allein auf dem Throne, da der Großfürst noch nicht öffentlich erschien. Man beeilte sich nämlich nicht, ihn gerade in diesem Zustande, in den er durch die Pocken versetzt war, zu zeigen. Während des Diners war die Kaiserin sehr gnädig gegen mich. Sie sagte mir, daß die russischen Briefe, welche ich ihr nach Chotilowo geschrieben, ihr viel Freude gemacht hätten; sie wisse, daß ich mich sehr bemühe, die Landessprache zu erlernen. In Wirklichkeit waren sie von Abaduroff abgefaßt, von mir aber eigenhändig abgeschrieben. Dabei sprach sie immer Russisch mit mir und wollte, daß auch ich ihr in dieser Sprache antwortete, was ich denn auch tat. Sie lobte meine gute Aussprache und gab mir zu verstehen, daß ich seit meiner Krankheit in Moskau hübscher geworden sei; kurz, während des ganzen Diners war sie nur darauf bedacht, mir ihre Güte und Zuneigung zu beweisen. Sehr heiter und glücklich kam ich in mein Zimmer zurück, und jedermann beglückwünschte mich. Die Kaiserin ließ mein Porträt, welches der Maler Caravaque angefangen hatte, holen und behielt es bei sich in ihrem Zimmer; es ist dasselbe, welches der Bildhauer Falconnet mit nach Frankreich genommen hat; es war sprechend ähnlich.