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Ich schlug das Buch auf und schickte mich an zu lesen. An diesem Abend war mein Roman eben erst aus der Druckerei gekommen, und nachdem ich endlich ein Exemplar erhalten hatte, war ich gleich zu Ichmenews gelaufen, um ihnen mein Erzeugnis vorzulesen.

Es hatte mich sehr geschmerzt und geärgert, daß ich ihnen meinen Roman nicht schon früher aus dem Manuskript hatte vorlesen können; aber dieses hatte sich ja in den Händen des Verlegers befunden. Natascha hatte sogar geweint vor Verdruß, mit mir gezankt und mir Vorwürfe gemacht, daß fremde Leute meinen Roman früher zu lesen bekämen als sie. Aber nun saßen wir endlich am Tisch. Der Alte setzte eine ungewöhnlich ernste, richterliche Miene auf. Er wollte ganz streng zu Gericht sitzen, »sich eine eigene Überzeugung bilden«. Die alte Frau sah ebenfalls höchst feierlich aus; beinahe hätte sie sich zu der Vorlesung eine neue Haube aufgesetzt. Sie hatte schon längst wahrgenommen, daß ich ihre prächtige Natascha mit grenzenloser Liebe anschaute, daß mir der Atem stockte und es mir dunkel vor den Augen wurde, wenn ich mit ihr sprach, und daß auch Natascha mich mit helleren Blicken als früher ansah. Ja! endlich war nun auch für unsere Liebe die Zeit gekommen; sie war gekommen gerade im Augenblick der Erfolge, der goldenen Hoffnungen und des vollkommensten Glückes; alles war zugleich gekommen, alles auf einmal! Die alte Frau hatte ferner bemerkt, daß auch ihr Mann schon angefangen hatte, mich sehr zu loben, und mich und die Tochter mit eigentümlichen Blicken ansah − und da bekam sie es plötzlich mit der Angst: ich war ja doch kein Graf, kein Fürst, kein regierender Herr, nicht einmal ein junger, juristisch gebildeter Kollegienrat mit ein paar Orden und einem schönen Äußeren! Anna Andrejewna pflegte mit ihren Wünschen nicht auf halbem Weg stehenzubleiben. »Da loben sie diesen Menschen nun«, dachte sie mit Bezug auf mich; »aber warum eigentlich, das weiß man nicht. Autor, Dichter... Was ist das nur, ein ›Autor‹?«

Sechstes Kapitel

Ich las ihnen meinen Roman an einem einzigen Abend vor. Wir fingen gleich nach dem Tee an und saßen bis zwei Uhr morgens zusammen. Der Alte machte anfangs ein finsteres Gesicht. Er hatte etwas unfaßbar Hohes erwartet, etwas von der Art, daß er es vielleicht selbst nicht verstehen könne, aber unter allen Umständen etwas Hohes; und nun bekam er statt dessen ganz alltägliche, allgemein bekannte Dinge zu hören; das war ja alles ganz genauso wie das, was gewöhnlich um einen herum vorgeht. Und wenn der Held noch ein großer, interessanter Mann wäre oder eine historische Persönlichkeit von der Art wie Roslawlew oder Juri Miloslawski[2] aber hier wurde ein kleiner, schüchterner und sogar ein bißchen dummer Beamter geschildert, an dessen Uniform sogar die Knöpfe zerfasert waren; und alles war in so einfachem Stil geschrieben, genau wie wir selbst reden![3] Sonderbar! Die alte Frau blickte ihren Mann fragend an und warf sogar die Lippen ein bißchen schmollend auf, wie wenn sie sich durch etwas gekränkt fühlte: ›Na, verdient denn solch dummes Zeug wirklich, daß es gedruckt wird und daß man es anhört? Und dafür bezahlen die Leute noch Geld!‹ stand auf ihrem Gesicht geschrieben. Natascha war ganz Ohr, hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu, wandte kein Auge von mir, blickte nach meinen Lippen, wie ich jedes Wort aussprach, und bewegte selbst ihre schönen Lippen in unbewußter Nachahmung. Und was geschah? Ehe ich noch bis zur Mitte gelangt war, strömten meinen Zuhörern die Tränen aus den Augen. Anna Andrejewna weinte aufrichtig, bemitleidete meinen Helden von ganzem Herzen und hegte (was ich aus ihren Ausrufen schließen konnte) den recht naiven Wunsch, ihm irgendwie in seinem Unglück zu helfen. Der Alte hatte alle Gedanken an großartige Stoffe bereits über Bord geworfen. »Man sieht gleich von vornherein«, sagte er, »daß dem Verfasser die Flügel noch nicht gewachsen sind; er ist nur so ein ganz einfacher Erzähler; aber dafür greift er einem ans Herz; dafür wird einem das, was um einen herum vorgeht, verständlich und begreiflich; man sieht ein, daß der armseligste, geringste Mensch doch auch ein Mensch und unser Bruder ist.«

Natascha hörte zu, weinte und drückte mir unter dem Tisch heimlich, aber kräftig die Hand. Die Vorlesung war zu Ende. Natascha stand auf; ihre Wangen glühten; die Tränen standen ihr in den Augen; auf einmal ergriff sie meine Hand, küßte sie und lief aus dem Zimmer. Der Vater und die Mutter wechselten einen Blick miteinander.

»Hm! Wie gerührt sie ist!« sagte der Alte, erstaunt über das Benehmen der Tochter. »Aber das schadet nichts; das ist ganz gut, ganz gut, der Ausbruch eines edlen Gefühls! Sie ist ein braves Mädchen«, murmelte er und sah dabei flüchtig seine Frau an, als wolle er Natascha und gleichzeitig eigentümlicherweise auch mich entschuldigen.

Aber Anna Andrejewna machte, obgleich sie während der Vorlesung selbst recht aufgeregt und gerührt gewesen war, jetzt doch ein Gesicht, als ob sie sagen wollte: »Freilich ist Alexander von Makedonien ein Held; aber muß man deshalb gleich Stühle zerschlagen?«

Natascha kehrte bald zurück; sie war heiter und glücklich und kniff mich heimlich, als sie an mir vorbeiging. Der Alte wollte sich wieder daranmachen, meinen Roman »ernsthaft« zu kritisieren; aber vor Freude blieb er seiner Rolle nicht treu, sondern ließ sich hinreißen: »Na, Wanja, lieber Freund, das ist ja schön, sehr schön! Es hat mir gefallen! Es hat mir so gut gefallen, wie ich es gar nicht erwartet hatte. Es ist ja nichts Hohes, nichts Großartiges; das ist klar. Da habe ich ein Buch liegen: ›Die Befreiung Moskaus‹; es ist auch in Moskau selbst verfaßt − na, da sieht man gleich bei der ersten Zeile, lieber Freund, daß der Verfasser sich sozusagen auf Adlersfittichen in die Höhe schwingt. Aber weißt du, Wanja, bei dir ist alles einfacher, verständlicher. Eben deshalb sagt es mir zu, weil es verständlicher ist! Es steht einem gewissermaßen näher; es ist mir, als hätte ich es selbst erlebt. Und was hat man von etwas Großartigem? Ich hätte es selbst nicht einmal verstanden. Den Stil würde ich an deiner Stelle verbessern; ich lobe ihn ja, aber man muß doch sagen, er ist etwas niedrig. Na, aber jetzt ist es dazu zu spät: nun ist es gedruckt. Vielleicht bei der zweiten Auflage? Es wird ja doch wohl zu einer zweiten Auflage kommen? Dann erhältst du auch wieder Geld... Hm!«

»Und hast du wirklich so viel Geld dafür erhalten, Iwan Petrowitsch?« sagte Anna Andrejewna. »Ich sehe dich an und kann es immer noch nicht recht glauben. Ach du mein Gott, wofür die Leute nicht alles jetzt Geld ausgeben!«

»Weißt du, Wanja«, fuhr der Alte, immer eifriger werdend, fort, »das ist ja zwar kein Staatsdienst, aber eine Art Karriere ist es doch. Auch hochgestellte Persönlichkeiten werden es lesen. Du hast uns gesagt, Gogol habe eine jährliche Beihilfe bekommen und sei ins Ausland geschickt worden. Nun, wenn dir das auch zuteil würde? Wie? Oder ist es dazu noch zu früh? Mußt du noch etwas anderes schreiben? Nun, dann tu das, lieber Freund, tu das so schnell wie möglich! Ruhe nicht aus auf deinen Lorbeeren! Worauf willst du warten?« Er sagte das alles in einem solchen Tone der Überzeugung und mit soviel Gutherzigkeit, daß ich nicht den Mut fand, seine phantastischen Vorstellungen zu hemmen und abzukühlen.