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— Es war deine Idee, sagt Alma.

— Und ich bin heute noch stolz darauf, daß ich dich von ihrer Richtigkeit überzeugt habe.

— Ich weiß nicht.

— Denk an die Nachbarn.

— Ein zweites Mal würde ich es mir trotzdem überlegen.

— Damals hat es dich gefreut, daß nur Kleinigkeiten weggekommen sind.

— Weil ich nicht vorhergesehen habe, daß ich ein Leben lang mehrmals jährlich die Möbelpacker kommen lassen muß.

Richard strafft den Rücken. Er weiß, die Aktion hat längst einen Pferdefuß bekommen, weil man die Möbel nach dem Krieg nicht zurückbaute, zunächst aus mangelnder Notwendigkeit, später in der Befürchtung, mehr kaputtzumachen als ganz. Das rächt sich zwischendurch immer wieder, wenn ein Schrank verrückt werden muß, ob beim Ausmalen der Wände oder zum Abschleifen der Böden. Manche Möbel gehen aus ihren Zimmern gar nicht mehr raus, weil die Türstöcke zu schmal sind, und spätestens auf der Treppe zum Dachboden bleibt man auch mit kleineren Stücken, die man durch die Türen gezirkelt hat, hängen oder verreißt sich das Kreuz. Etliche Zimmer sind aus diesem Grund seit einem Vierteljahrhundert nahezu unverändert. Das ist eine Art zu wohnen, die Richard keine Schwierigkeiten bereitet, denn er weiß es zu schätzen, wenn er die Dinge beim Nachhausekommen so wiederfindet, wie sie in der Früh beim Weggehen waren. Mein halsstarriges Wohnen nennt es hingegen Alma. Sie verbringt den weitaus größeren Teil ihrer Zeit daheim. Bis dato. Und bis zu einem gewissen Grad kann Richard ihre Unzufriedenheit sogar verstehen. Trotzdem würde er es lieber sehen, wenn Änderungen nicht ausgerechnet jetzt ins Haus stünden. Im Moment wird ihm alles zuviel.

— Alt und gediegen: Für mich sind das Werte, sagt er.

Und Ingrid lapidar:

— Für mich nicht.

Er sieht das Etikett, das er gerade verpaßt bekommen hat, als wäre es ihm mit Spucke auf die Stirn geklebt: Spießig — unflexibel — gestrig. Nicht alt, sondern veraltet. Kurz erwägt er, sich eine Erwiderung zu verkneifen, damit sich Ingrid keine Gelegenheit bietet, eins draufzusetzen. Denn daß ihr sein Leben insgesamt gegen den Strich geht, hat sie ihn oft genug spüren lassen. Er zögert. Letztlich will er den Vorwurf aber nicht auf sich sitzen lassen.

— Das beweist nicht, daß du das Leben besser verstanden hast. Es bestätigt nur, daß sich unsere Erfahrungen nicht decken und daß wir deshalb verschiedener Meinung sind.

— Letzteres immerhin ist unbestritten.

— Und bedauerlich.

Bedauerlich? Ingrid kann es aushalten, ganz offenkundig. Sie weint dem Helden ihrer Kindheit keine Träne nach. Sie zuckt die Achseln.

Und Richard ist verblüfft, wie selbstverständlich er Ingrids Geste hinnimmt. Vermutlich entwickelt man im Laufe der Zeit eine gewisse Resistenz gegen verdrehte Augen, ausbleibende Antworten und ironische Aha-Bemerkungen.

Sie treten ins Haus und gehen die unteren Räume ab, ohne sich lange aufzuhalten. Die krummbeinigen Kommoden mit den bauchigen Lampen darauf, die Bücherschränke mit den teilweise verglasten Türen, hinter denen sich drapierte Vorhänge fälteln, die Biedermeierschränke und die von geschnitzten Holzfassungen umlaufenen Sofas, all das ist für Ingrid ohne aktuellen Gebrauchswert, düsterer Plunder, den man früher gemocht hat, wie Klassenkameraden, die sitzengeblieben sind und mit denen man seither nicht mehr redet.

— Laß mich nicht im Stich, Ingrid, fleht Alma: Seit der Fernseher da ist und wir das Sofa umgestellt haben, fehlt die Ecke für meinen Sorgenstuhl.

Mit langgezogenen, aufeinandergepreßten Lippen überblickt Alma die unbefriedigende Situation. Let’s learn English, Nachrichten, Löwinger-Bühne (Die drei Dorfheiligen). Sie schaut Peter an:

— Der Sorgenstuhl ist der Ort, wo ich nachdenke. Früher oder später beschäftige ich mich dort mit jedem.

Der Schwiegersohn mit seinem eingeschüchtert dumpfen Gesicht nickt und legt verlegen seinen Arm um Ingrids Taille. Mit einem leichten Schwanken in der Stimme bietet er an, am nächsten Wochenende einige der Möbel, die im Weg sind, auseinanderzubauen. Er behauptet, im Umgang mit Werkzeug geschickt zu sein, noch von früher aus der Zeit, bevor er die Lizenzen seiner Spiele verkaufen mußte. Ingrid bestätigt die handwerkliche Begabung ihres Ehegatten. Richard indes, der sich im Hintergrund hält, hofft, daß ihm niemand seine Skepsis vom Gesicht ablesen kann. Er schaut beiläufig auf die Pendeluhr und nimmt sich vor, sie am Abend aufzuziehen, sie schlägt schon sehr schwach.

— Mir wäre lieber, wenn die Möbel in Gebrauch blieben, sagt Alma.

— Du mußt dich damit abfinden, daß unsere Tochter Stahlrohrmöbel bevorzugt.

— Ist etwas dagegen einzuwenden? fragt Ingrid.

— Nein, sagt Richard.

— Dann ist ja recht.

Mit schrägem Oberköper, damit ihre Tochter an der Hüfte Halt findet, macht Ingrid am Absatz kehrt und biegt ins Nähzimmer ein, vom Nähzimmer ins Herrenzimmer, vom Herrenzimmer ins Speisezimmer und von dort in die Veranda. Bei der spanischen Eichentruhe, in der früher Kinderspielzeug deponiert war, hält Ingrid inne und bittet ihre Mutter, die Truhe mitnehmen zu dürfen. Als ob die Truhe Alma gehören würde.

Alma räumt Tischtücher, Servietten, Kerzenständer und Kerzen heraus. Unterdessen stellt Ingrid sich in die Verandatür und fragt, wie gut die einzelnen Bäume in diesem Jahr getragen haben.

— Die Kirschen haben gut angesetzt, die frühe Ernte war köstlich. Aber nach der Regenperiode Ende Juni waren die meisten wurmig. Ein Fressen für die Vögel.

Richard erwähnt die Marillen (Frost während der Blüte), die Erzherzog-Johann-Äpfel (zuverlässig, der Baum in den besten Jahren), die großen Pflaumen (der Baum wird alt). Aber seine Auskünfte scheinen Ingrid nicht zu erreichen. Richard kommt es vor, als sehe seine Tochter da draußen sich selbst laufen.

Er unterbricht sich:

— Vom Zurückschauen bekommt man Heimweh.

Ingrids Antwort trocken, fast gemurmelt im halben Umdrehen, und doch bitter:

— Seit ich hier die Kündigung erhalten habe, hält sich mein Heimweh in Grenzen.

Richard fragt sich, warum er überhaupt noch den Mund aufmacht. Ein normales Gespräch scheint seit Jahren nicht mehr möglich. Jedes Wort ist falsch. Also schade drum. Und was nutzt es, wenn er sich ins Gedächtnis ruft, daß Ingrid ihm, als sie klein war, blind glaubte? Nicht weniger unbegreiflich, daß sie als frischgebackene Gymnasiastin dieses kaum zu stoppende Mitteilungsbedürfnis besaß. Nachdem sie im Garten der Wesselys, wo sie Federball gespielt hatte, zu den Dreharbeiten von Der Hofrat Geiger eingeladen worden war, erzählte sie bis ins letzte Detail, wie man an sie herangetreten sei, und dann gleich noch einmal für den Fall, daß eine Kleinigkeit nicht ausreichend gewürdigt wurde. Auch dies: Vorbei, vorbei, vorbei.

Er sagt: