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Er kämpft sich zur westlichen Mauer durch, dort versucht er, eine hüfthohe Fichte auszureißen, was ihm aber nicht gelingt, er schürft sich nur die Hände auf. Weil er Steinwald nicht um die Axt bitten will, holt er aus dem Keller einen stumpfen Fuchsschwanz, der beim Sägen ständig steckenbleibt, so daß Philipp sich mehrmals fast das Handgelenk bricht. Er sägt wie ein Verrückter und ist nahe an einem Muskelkrampf, da läßt sich der Stamm endlich brechen. Einige Fasern sind noch zu kappen. Dann geht Philipp mit der Fichte unterm Arm zu Steinwald, hält ihm den Baum entgegen und bittet ihn, dafür zu sorgen, daß die Dachdecker den Baum auf dem First plazieren.

— Ich will am Abend eine kleine Feier veranstalten, der Tag ist es wert, gefeiert zu werden. Das Haus ist ja fast wie neu.

Prepared for the future.

Steinwald schaut Philipp einen Moment lang an, als ob dieser im Fieber rede, dann verlangt er:

— Erst nehmen Sie zurück, was Sie vorhin gesagt haben.

Der Sauhund, fährt es Philipp durch den Kopf, das ist Erpressung. Er atmet tief durch. Der Lumpenhund.

— Ich nehme es zurück.

Steinwald nickt. Er nimmt den Baum, lehnt ihn gegen die Hauswand, tastet sein Hemd ab, das in den Zweigen eines Fliederbusches hängt, und bietet Philipp eine Zigarette an. Sie rauchen wortlos eine Länge. Hinterher geht Philipp ins Haus, bestellt per Telefon Essen und Trinken für fünfzehn Personen, ein paar Raketen, ein paar Fackeln. Anschließend widmet er sich ganz der Aufgabe, möglichst viele Gäste einzuladen.

Johanna sagt, sie habe schon eine Verabredung, überdies seien für die Nacht Regenfälle vorhergesagt.

Philipp fragt, ob das metaphorisch gesprochen sei oder ob sie neuerdings ebenfalls lieber über das Wetter reden wolle.

— Ein Tief herrscht an allen Fronten.

Sie tut den Einwurf mit einem Murren ab und verkündet, daß mit ihr nicht zu rechnen sei, definitiv, unabhängig von der Verabredung möge sie kein Gegrilltes, das erinnere sie zu sehr an ihre erste Ferialarbeit bei der Wiener Messe. Außerdem sei da noch das Kind und der Franzl (und dessen Hosen, Hoden, Finger, Füße, der Schlüssel für das Atelier, das Haus, die Bilder, der Schreibtisch, das Schwarze Kamel und die Stadt).

Und weiter:

— Ich muß morgen früh raus.

Ach so:

— Ich habe schon verstanden.

Gar nichts hat er verstanden. Vor allem mag er es nicht, wenn er sich im Stich gelassen fühlt (hat er noch nie gemocht) und wenn ihm Johanna gleichzeitig das Gefühl vermittelt, er rücke ihr auf den Pelz, er falle ihr auf die Nerven. Falle. Falle. Wie die Fliege ins Mus, wie der betrunkene Bauer ins Wirtshaus.

Vor Weihnachten stellte er Johanna zur Rede. Da konterte sie:

— Ich glaube, du verwechselst öfters mal deine eigene Ablehnung mit Abgelehntsein.

— Aha?

— Scharf beobachtet, was? Bestimmt hast du in dieser Form noch gar nicht darüber nachgedacht.

Ehe er sich auch diesmal eine solch deprimierende Replik einhandelt, sagt er lieber nichts. Lieber. Lieber behauptet er, Johanna, bevor ich’s vergesse, das anzukündigen: Daß er beschlossen habe, mit Steinwald und Atamanov in die Ukraine zu fahren.

— In zwei Tagen geht es los.

Johanna tut verblüfft:

— Aha, sagt sie. Und: Was in aller Welt, so kenne ich dich gar nicht, so kurzentschlossen.

Pause. Sehr aufgeladen. Philipp sagt:

— Wer keine Freunde hat, ist sich selbst ein Feind.

Pause, neuerlich aufgeladen (distanziert, erstaunt, verzweifelt, überlegen).

— Hast du schon ein Hochzeitsgeschenk gekauft, und wenn, was für eines?

Schweigen. Kann mitzählen. Philipp fällt auf, daß bei den neuen Telefonen kein Rauschen mehr in der Leitung ist.

Johanna lacht (amüsiert?):

— Das hätte ich mir denken können, daß ich dir zwei Arbeiter schicke, die dir den Rücken freihalten sollen für die Familienfront, und du verwendest die freigewordene Energie dafür, diesen trostlosen Figuren hinterherzulaufen. Da kann ich nur sagen, viel Glück. Hoffentlich holst du dir bei den beiden eine Injektion Tatendrang in Sachen Scheiße beiseite räumen.

Nachdem Philipp auch auf diese grimmige Analyse (seiner Torheit seiner Tragik seiner sozialen Krankheit?) nicht reagiert hat, weil ihn der Abschied, der gleich zu leisten sein wird, schon im voraus anstrengt, beendet Johanna das Gespräch mit der Aufforderung, er solle bei Gelegenheit erwachsen werden oder schauen, wo er bleibe.

So, das war wieder nötig.

— Ciao.

— Baba.

Vielleicht, denkt Philipp, ist das hervorragendste Merkmal des Erwachsenwerdens, daß man systematisch die Zuversicht verliert, das Blatt könne sich jeden Moment zum Guten wenden. Er ist auf dem besten Weg. Auch die Hoffnung, daß zu der Firstfeier Gäste kommen, ist mit einmal sehr gedämpft. Er sagt sich, Johanna müßte laut Beifall klatschen, wenn sie die Lustlosigkeit sehen könnte, mit der er zur Gartenmauer trabt.

Bei Johannas letztem Besuch vor über einer Woche haben sie in der Früh, nachdem der rote Mercedes aus der Einfahrt gebogen war, ein Bad genommen. Johanna auf der Frauenseite, so nennt sie den bequemeren Teil der Wanne, dessen Ende abgeflacht ausläuft, Philipp mit dem fingerdick gerippten Drehgriff zum Regulieren des Abflusses im Kreuz. Sie redeten über Johannas Arbeit beim Fernsehen und über Philipps Großmutter, die im hohen Alter ihr Englisch noch mal aufgefrischt hatte. Unterdessen wusch Philipp Johanna zweimal die Haare mit einem Lindenblütenshampoo, dem sie bescheinigte, daß es gut rieche. Sie wollte, daß Philipp ebenfalls sage, daß es gut rieche. Sie saß vor ihm, zwischen seinen Beinen. Er spülte ihr den Schaum aus den Haaren und hob die Haare an, damit er mit dem Strahl, der aus dem Duschkopf kam, auch ihren Nacken erreichte. Wasser floß gurgelnd in den Überlauf, weil Johanna Wellen erzeugte, indem sie rasch die Beine immer wieder öffnete und schloß. Philipp sagte, das Gurgeln höre sich an, als seien Gespenster unter der Wanne. Johanna lachte. Auch Philipp lachte. Gleich darauf stieg er aus der Wanne, um Platz zu machen, was das Gurgeln verstummen ließ, obwohl Johanna mit dem Öffnen und Schließen der Beine fortfuhr. Philipp war ganz schmierig von dem Zeug, das sich während der letzten halben Stunde im Wasser aufgelöst hatte, und da die Handtücher am Vortag in der Schmutzwäsche gelandet waren, rutschte er auf dem Badvorleger ins Schlafzimmer der Großmutter, wo frische Handtücher lagerten. Als er von dort zurückkam, stand Johanna aufrecht in der Wanne, unglaublich groß und breit und weit weg, strahlend von einem Glück, das ihm nicht in den Schädel wollte. Sie wrang mit beiden Händen ihr Haar aus.

Philipp steht auf dem letzten der Stühle an der Gartenmauer und horcht mit angehaltenem Atem.

Aber die Abwesenheit der Nachbarn ist weiterhin skandalös.

Er geht zu Frau Puwein und bringt ihr Kirschen. Auch Herr Prikopa sei herzlich eingeladen. Er führt drei Telefonate mit der Post in der Absicht, die Postbotin ausfindig zu machen. Doch man weigert sich wiederholt, ihm über den Nachnamen der Frau Auskunft zu geben.

Er ruft einen Kollegen an. Dort nimmt niemand ab.

Er ruft seinen Vater an. Der ist zu Hause.

— Erlach.

— Hallo Papa, ich bin’s, Philipp.

— Was für eine Überraschung. Ich staune. Ich staune.

— Wie geht es dir?

— Ich kann nicht klagen. Und dir?

— Die Dachdecker sind gerade da. Sie bessern das Dach aus.

— Dann bist du fleißig?

— Wenn man es so nennen will. Und du?