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»Aber keineswegs. Es gibt noch Äpfel in Weinschaumsauce und Toast mit Käse.«

Der Direktor stand auf. »Mein Herr, ich werde vergessen, daß ich jemals hiergewesen bin.«

»Ich bezweifle, daß Sie das jemals vergessen werden«, sagte Thomas und häufte noch etwas Reis auf seinen Teller. »Warum stehen Sie eigentlich, Herr Wehrwirtschaftsführer? Setzen Sie sich doch.«

Schallenbergs Gesicht lief dunkelrot an. Er sagte leise: »Was war das?«

»Sie sollen sich setzen. Ihr Huhn wird kalt.«

»Sagten Sie Wehrwirtschaftsführer?«

»Sagte ich. Das waren Sie doch. Auch wenn Sie diesen Titel 1945 vergaßen. In Ihrem Fragebogen beispielsweise. Wozu auch noch daran erinnern? Damals hatten Sie sich gerade neue Papiere und einen neuen Namen besorgt. Als Wehrwirtschaftsführer hießen Sie Mack.«

»Sie sind ja wahnsinnig!«

»In keiner Weise. Sie waren Wehrwirtschaftsführer im Warthegau. Sie stehen noch immer auf einer Auslieferungsliste der polnischen Regierung. Unter Mack natürlich, nicht unter Schallenberg.«

Direktor Schallenberg sank auf seinen altflämischen Bastsessel, fuhr sich mit der Damastserviette über die Stirn und äußerte kraftlos: »Ich weiß wirklich nicht, warum ich mir das anhöre.«

Thomas Lieven seufzte. »Sehen Sie, Herr Direktor, auch ich habe eine bewegte Vergangenheit hinter mir. Ich will mich von ihr lösen. Darum brauche ich Ihr Papier. Es nachzumachen dauert zu lange. Zuverlässige Drucker dagegen habe ich … Ist Ihnen nicht gut? Nanu … Nehmen Sie einen Schluck Champagner, das belebt … Ja, sehen Sie, Herr Direktor, damals, als der Krieg zu Ende war, hatte ich Zugang zu allen geheimen Dossiers. Zu jener Zeit waren Sie gerade in Miesbach untergetaucht …«

»Lüge!«

»Entschuldigen Sie, ich meinte Rosenheim. Auf dem Lindenhof.«

Diesmal hob Direktor Schallenberg nur schlaff die Hand.

»Ich wußte, daß Sie sich dort versteckten. Hätte Sie verhaften lassen können, in meiner damaligen Position. Ich dachte mir: Was hast du schon davon? Man wird ihn einsperren, man wird ihn ausliefern. Na und ?« Mit Appetit aß Thomas ein Stück Hühnerbein. »Jedoch, sagte ich mir, wenn du ihn hübsch in Ruhe läßt, dann wird der Herr in ein paar Jahren wieder oben schwimmen. Die Sorte geht nicht unter, die schwimmt immer wieder oben …«

»Unverschämtheit!« krächzte es aus dem Bastsessel.

»… und dann kann er dir viel nützlicher sein. Sagte ich mir damals, handelte danach, und siehe, es war wohlgetan.«

Mühsam rappelte sich Schallenberg hoch. »Ich gehe jetzt direkt zur Polizei und erstatte Anzeige.«

»Nebenan steht ein Telefon.« Unter dem Tisch drückte Thomas zweimal auf die Klingeltaste.

Wieder flackerten die Kerzenflammen, als der Diener Bastian geräuschlos eintrat. Er trug ein Silbertablett, darauf lagen mehrere Fotokopien.

»Ich bitte, sich zu bedienen«, sagte Thomas. »Die Kopien zeigen unter anderem Herrn Direktor in Uniform, verschiedene Erlasse des Herrn Direktors aus den Jahren 1941 bis 1944 und eine Empfangsbestätigung des sogenannten NS-Reichsschatzmeisters über den Erhalt von Reichsmark einhunderttausend als Spende für SA und SS.«

Direktor Schallenberg setzte sich wieder.

»Sie können abservieren, Bastian. Der Herr Direktor ist fertig.«

»Sehr wohl, gnädiger Herr.«

Nachdem Bastian verschwunden war, sagte Thomas: »Im übrigen sind Sie mit fünfzigtausend bei der Sache dabei. Genügt Ihnen das?«

»Ich lasse mich doch nicht erpressen!«

»Haben Sie sich nicht auch am letzten Wahlkampf mit hohen Spenden beteiligt, Herr Direktor? Wie heißt doch gleich das deutsche Nachrichtenmagazin, das sich für derlei interessiert?«

»Sie sind komplett wahnsinnig! Sie wollen falsche Aktien drucken? Ins Zuchthaus werden Sie kommen! Und ich mit! Ich bin erledigt, wenn ich Ihnen das Papier gebe!«

»Ich komme nicht ins Zuchthaus. Und Sie sind nur erledigt, wenn Sie mir das Papier nicht geben, Herr Direktor.« Thomas drückte einmal auf den Klingelknopf. »Passen Sie auf, wie gut Ihnen die gespickten Äpfel schmecken werden.«

»Ich esse doch keinen Bissen mehr bei Ihnen, Sie Erpresser!«

»Wann kann ich also mit dem Papier rechnen, Herr Direktor?«

»Niemals!« schrie Schallenberg in maßlosem Zorn. »Niemals bekommen Sie von mir auch nur einen einzigen Bogen!«

3

Es war beinahe Mitternacht. Mit seinem Diener Bastian saß Thomas Lieven vor einem flackernden Kaminfeuer in der großen Bibliothek. Rot und golden, blau, weiß, gelb und grün leuchteten Hunderte von Bücherrücken aus dem Halbdunkel. Ein Plattenspieler lief. Leise erklang das Klavierkonzert Nummer zwei von Rachmaninow.

Thomas Lieven trug immer noch den makellosen Smoking. Bastian hatte den Hemdkragen geöffnet und seine Beine auf einen Stuhl gelegt, allerdings nicht ohne vorher, mit einem Seitenblick auf seinen Herrn, eine Zeitung untergeschoben zu haben.

»Direktor Schallenberg liefert das Papier in einer Woche«, sagte Thomas Lieven. »Wie lange brauchen deine Freunde zum Drucken?«

»Etwa zehn Tage«, antwortete Bastian. Er hob ein bauchiges Schwenkglas mit Kognak zum Mund.

»Dann werde ich am ersten Mai – schönes Datum, Tag der Arbeit – nach Zürich fahren«, sagte Thomas. Er überreichte Bastian eine Aktie und eine Liste. »Hier ist eine Vorlage für den Druck, und auf der Liste stehen die laufenden Nummern, die ich auf den Aktien sehen möchte.«

»Wenn ich bloß wüßte, was du vorhast«, brummte der Igelkopf bewundernd.

Nur wenn Bastian sich absolut allein mit seinem Herrn wußte, benutzte er das vertrauliche »Du«, denn er kannte Thomas seit siebzehn Jahren, und er war früher einmal alles andere als ein Diener gewesen.

Bastian hing an Thomas seit jener Zeit, da er mit ihm im Quartier einer Marseiller Gangsterchefin bekannt geworden war. Außerdem hatte er einige gefährliche Abenteuer mit Thomas bestanden. So etwas bindet.

»Tommy, willst du mir nicht sagen, was du planst?«

»Es handelt sich, lieber Bastian, im Grunde um etwas sehr Legales und Schönes: um die Erwerbung von Vertrauen. Mein Aktienschwindel wird ein eleganter Aktienschwindel sein. Es wird – Holz anfassen – überhaupt niemand merken, daß es ein Schwindel gewesen ist. Alle werden verdienen. Alle werden zufrieden sein.«

Thomas Lieven lächelte verträumt und holte eine goldene Repetieruhr hervor. Sie stammte von seinem Vater. Durch alle Fährnisse des Lebens hatte Thomas diese flache Uhr mit dem Sprungdeckel begleitet, auf tollkühnen Fluchten und Jagden war sie dabeigewesen. Immer wieder war es Thomas Lieven gelungen, sie zu verstecken, zu beschützen oder wiederzuerobern. Er ließ den Deckel aufspringen. Silberhell kündigte ein eingebautes Schlagwerk die Zeit.

Traurig sagte Bastian: »Ich kriege es nicht in meinen Schädel. Eine Aktie ist ein Anteilschein an einem großen Unternehmen. Auf fällige Aktiencoupons erhält man in bestimmten Abständen eine bestimmte Dividende ausbezahlt, einen entsprechenden Teil des Gewinnes, den das Unternehmen erzielt hat.«

»Ja und, mein Kleiner?«

»Himmel noch mal, aber die Coupons deiner gefälschten Aktien kannst du doch bei keiner Bank der Welt vorlegen! Die Nummern, die darauf stehen, stehen doch auch auf den echten Aktien, die irgend jemand besitzt. Der Schwindel muß doch sofort auffliegen.«

Thomas erhob sich. »Coupons werde ich natürlich auch niemals vorlegen.«

»Aber wo ist dann der Trick?«

»Laß dich überraschen«, sagte Thomas, trat zu einem Wandsafe und öffnete das Kombinationsschloß. Eine schwere Stahltüre schwang zur Seite. Im Safe lagen Bargeld, ein paar Goldbarren mit Bleikern (und einer kurzweiligen Geschichte) und drei Schachteln mit gefaßten und ungefaßten Edelsteinen. Im Vordergrund lag ein Häufchen Pässe.

Versonnen sprach Thomas: »Ich werde zur Sicherheit doch lieber unter einem andern Namen in die Schweiz reisen. Laß uns mal sehen, was haben wir denn noch an deutschen Pässen?« Lächelnd las er die Namen: »Mein Gott, wie viele Erinnerungen hängen daran: Jakob Hausér … Peter Scheuner … Ludwig Freiherr von Trendelenburg … Wilfried Ott …«