»Welche Verzinsung bieten Sie?«
»Acht Prozent.«
»Und an welche Summe denken Sie?«
Herrgott, diese kühlen Augen, dachte er und sagte: »Siebenhundertfünfzigtausend Schweizer Franken.«
»Bitte?«
Zu seinem Erstaunen sah Thomas Lieven, daß Hélène de Couville plötzlich nervös wurde. Die Zungenspitze glitt über die hellroten Lippen. Die Wimpern flatterten ein wenig. »Ist das nicht eine – hm, etwas hohe Summe, Herr Ott?«
»Wieso bitte? Bei dem Börsenwert der Aktien?«
»Gewiß … ja … aber …« Sie stand auf. »Es tut mir leid, ich glaube, da muß ich doch meinen Onkel holen. Verzeihen Sie, bitte, einen Augenblick.«
Er stand auf. Sie verschwand. Er setzte sich wieder. Er wartete, nach Auskunft seiner alten Repetieruhr, acht Minuten lang. Instinkt, gewonnen in vielen Jahren eines gesetzlosen Lebens, sagte ihm: Hier stimmt etwas nicht! Aber was?
Die Tür ging auf, Hélène kam zurück. Mit ihr erschien ein Mann, groß und hager, mit sonnverbranntem Gesicht und breitem Kiefer, mit kurzen, eisgrauen Haaren und weißem Nylonhemd unter einem Einreiher. Hélène stellte vor: »Baron Jacques de Couville, mein Onkel.«
Die Herren schüttelten einander die Hand. Immer mißtrauischer dachte Thomas: Eine Pfote wie ein Cowboy hat er. Und einen Kiefer, als würde er dauernd Gummi kauen. Und einen Akzent … Wenn das ein Aristokrat französischer Abstammung ist, fresse ich einen Besen!
Er war jetzt entschlossen, kurzen Prozeß zu machen: »Baron, ich fürchte, ich habe Ihre bezaubernde Nichte erschreckt. Lassen Sie uns die ganze Sache vergessen. Es war mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.«
»Moment mal, Monsieur Ott, seien Sie doch nicht so entsetzlich hastig. Setzen wir uns.« Auch der Baron war nervös. Er klingelte. »Wir wollen in Ruhe über die Geschichte reden. Bei ein paar Drinks.«
Als der hochmütige Diener die Drinks brachte, erwies sich der Whisky als Bourbon, nicht als Scotch.
Mehr und mehr mißfällt mir dieser Couville, dachte Thomas.
Der Baron nahm das Gespräch wieder auf. Er bekannte, daß er eigentlich nur an eine wesentlich geringere Beteiligung gedacht hätte: »… vielleicht hunderttausend?«
»Baron, wollen wir es doch lassen«, sagte Thomas.
»Oder hundertfünfzigtausend …«
»Wirklich, Baron, wirklich …«
»Vielleicht auch zweihundert …« Es klang fast flehend.
Plötzlich trat der hochmütige Diener ein und meldete, ein Ferngespräch sei da. Daraufhin verschwand der Baron mit seiner Nichte.
Thomas fing allmählich an, sich über diese Aristokratenfamilie zu amüsieren. Als nach beinahe zehn Minuten der Baron allein zurückkam, fahl im Gesicht und furchtbar schwitzend, tat ihm der arme Mann beinahe leid. Aber er verabschiedete sich abrupt.
In der Halle begegnete ihm Hélène. »Sie gehen schon, Monsieur Ott?«
»Ich habe Sie viel zu lange belästigt«, sagte Thomas und küßte ihre Hand. Da roch er ihr Parfüm und den Duft ihrer Haut und sagte: »Sie würden mich glücklich machen, wenn Sie heute abend mit mir dinieren wollten, im ›Baur au Lac‹, oder wo Sie befehlen. Bitte, kommen Sie.«
»Herr Ott«, sagte Hélène, und es klang, als spräche eine Marmorstatue, »ich weiß nicht, wieviel Sie getrunken haben, aber ich führe es darauf zurück. Leben Sie wohl.«
5
So unergiebig sich das Gespräch mit dem Baron de Couville erwies, so glatt ließ sich gleich darauf das Geschäft mit dem Häusermakler Pierre Muerrli abwickeln. Ins Hotel zurückgekehrt, rief Thomas ihn an und erklärte kurz, was er wollte, nämlich gegen Sicherheit durch ein DESU-Aktiendepot die Summe von 750 000 Franken.
»Mehr nicht?« fragte Pierre Muerrli in kehligem Schwyzerdütsch.
»Nein, das genügt mir«, sagte Thomas und dachte: Man soll nicht übertreiben.
Der Makler kam ins Hotel, ein rotgesichtiger, vierschrötiger Mensch. Ein Mensch mit Tempo!
Am nächsten Tag bereits wurde bei einem Notar dieser Vertrag aufgesetzt und besiegelt:
»Herr Wilfried Ott, Industrieller aus Düsseldorf, verpflichtet sich, eine Beteiligung von einer Dreiviertelmillion Franken mit acht Prozent zu verzinsen. Die Beteiligung soll spätestens am 9. Mai 1959, Mitternacht, zurückbezahlt werden.
Bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet sich Herr Pierre Muerrli, Häusermakler aus Zürich, das Aktiendepot, das ihm Herr Ott als Sicherheit übereignet hat, unberührt zu lassen.
Sollte jedoch die Beteiligung nicht bis zum vereinbarten Termin zurückbezahlt sein, so darf Herr Muerrli über die Wertpapiere frei verfügen.«
Den Vertrag in der Tasche, fuhren Thomas und Muerrli in die Zentralbank. Die Echtheit des Depotscheins wurde bestätigt.
In Pierre Muerrlis Maklerbüro fand sodann die Übergabe eines Barschecks über 717 850 Schweizer Franken statt, die Beteiligung abzüglich aller Spesen sowie der achtprozentigen Verzinsung für zwei Jahre.
717 850 Schweizer Franken hatte Thomas sich solcherart sozusagen im Handumdrehen verschafft! Zwei Jahre lang konnte und wollte er nun mit diesem Kapital arbeiten; im Mai 1959, fristgerecht und korrekt, zurückzahlen; die falschen Aktien aus dem Depot holen, zerreißen und im Badezimmer fortspülen. Alle würden dann verdient haben, keiner würde dann geschädigt sein, mehr: Keiner würde jemals merken, was da für ein Ding gedreht worden war. Tja, so einfach funktioniert so etwas, wenn so etwas funktioniert …
Als Thomas Lieven, alias Wilfried Ott, Stunden später die Halle seines Hotels betrat, sah er Hélène de Couville in einem Sessel sitzen.
»Hallo, welche Freude!«
Unendlich langsam blickte Hélène von ihrer Modezeitschrift auf. Unendlich gelangweilt äußerte sie: »Oh, guten Tag.«
Sie trug ein braunes Pepitakleid an diesem kühlen Tag und eine Jacke aus kanadischem Naturnerz. Es gab keinen Mann in der Hotelhalle, der sich nicht immer wieder nach ihr umgeschaut hätte. Thomas sagte: »Sie haben sich ein bißchen verspätet, aber ich bin sehr glücklich, daß Sie doch noch gekommen sind.«
»Herr Ott, nehmen Sie zur Kenntnis: Ich komme nicht zu Ihnen, sondern zu einer Freundin, die hier wohnt.«
Thomas sagte: »Wenn es heute nicht geht, dann vielleicht morgen vormittag zum Apéritif?«
»Morgen verreise ich an die Riviera.«
Thomas schlug die Hände zusammen: »Ist das ein Zufall! Wissen Sie, daß ich morgen auch an die Riviera fahre? Ich hole Sie ab. Sagen wir, um elf?«
»Ich werde selbstverständlich nicht mit Ihnen fahren. Da kommt meine Freundin.« Sie stand auf. »Leben Sie wohl – wenn Sie können.«
Am nächsten Vormittag, sieben Minuten nach elf, fuhr Hélène de Couville in einem kleinen Sportwagen aus dem Parktor des Château Montenac – und an Thomas vorbei.
Er verneigte sich, sie sah zur Seite. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr ihr nach.
Bis Grenoble geschah nichts Berichtenswertes.
Knapp hinter Grenoble blieb Hélènes Wagen stehen. Sie stieg aus. Er hielt neben ihr.
»Etwas mit dem Motor«, sagte sie.
Er untersuchte den Motor, konnte aber keinen Defekt finden.
Hélène war bereits in ein nahe gelegenes Haus gegangen, um nach einem Mechaniker zu telefonieren. Der kam auch bald und erklärte, die Benzinpumpe wäre »völlig im Eimer«; der Wagen müsse abgeschleppt werden, die Reparatur dauere mindestens zwei Tage.
Thomas war davon überzeugt, daß der Mechaniker log, um eine teure Rechnung schreiben zu können, aber er war selig, auf einen Lügner gestoßen zu sein. Er lud Hélène ein, die Reise in seinem Wagen fortzusetzen.
»Sie sind sehr freundlich, Herr Ott«, antwortete sie nach langem Zögern.
Ihr Gepäck wurde umgeladen. Der Lügner bekam von Thomas heimlich ein aristokratisches Trinkgeld.
Die nächsten 100 Kilometer sprach Hélène ein einziges Wort. Als Thomas einmal nieste, sagte sie: »Wohlsein!«