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Dieses Buch widme ich in Dankbarkeit meinen Kindern. Meine Mutter und meine Frau haben mir beigebracht, ein Mann zu sein - meine Kinder, frei zu sein.

Naomi Rachel King (14 Jahre);

Joseph Hillstrom King (12 Jahre);

Owen Philip King (7 Jahre).

Für Kinder ist Dichtung Wahrheit innerhalb der Lüge, und die Wahrheit dieser Geschichte liegt auf der Hand: es gibt das Übernatürliche.

Erster Teil

ERSTE SCHATTEN 

Erstes Kapitel

Nach der Überschwemmung (1957) 1

Der Schrecken, der weitere 28 Jahre kein Ende nehmen sollte - wenn er überhaupt je ein Ende nahm - begann, soviel ich weiß und sagen kann, mit einem Boot aus Zeitungspapier, das einen vom Regen überfluteten Rinnstein entlangtrieb.

Das Boot schwankte, hatte Schlagseite und richtete sich wieder auf, brachte heldenhaft manch bedrohlichen Strudel hinter sich und schwamm immer weiter die Witcham Street hinab, auf die vom Wind gerüttelte Verkehrsampel an der Kreuzung Witcham- und Jackson Street zu. Die Verkehrsampel war an jenem grauen Nachmittag im Jahre 1957 außer Betrieb, und alle Häuser waren dunkel; das Hochwasser hatte am Vortage einen Stromausfall verursacht, der noch nicht wieder behoben war.

Ein kleiner Junge in gelbem Regenmantel und roten Überschuhen rannte fröhlich neben dem Papierboot her. Der Regen (nach viertägigen unaufhörlichen Wolkenbrüchen ließ er nun allmählich etwas nach) trommelte auf seine Kapuze - ein angenehmes Geräusch. Der Junge hieß George Denbrough und war sechs Jahre alt. Sein Bruder William, der in der ganzen Nachbarschaft und in der Fairmount-Schule allgemein nur unter dem Namen Stotter-Bill bekannt war (sogar bei den Lehrern, die ihn natürlich nie so anredeten), war zu Hause und erholte sich gerade von einer schweren Grippe. In jenem Herbst 1957 - 28 Jahre, bevor die kleine Stadt Derry im Zentrum Maines wieder eine Überschwemmung erlebte - war Stotter-Bill Denbrough zehn Jahre alt.

George rannte neben dem Boot her, das Bill - im Bett sitzend, mehrere Kissen im Rücken - für ihn gemacht hatte. Das letzte Viertel der Witcham Street war mit orangefarbenen Sägeböcken abgesperrt. Dahinter war die Straße überflutet, weil die Gullys mit Zweigen, Steinen und riesigen Haufen zusammenklebender welker Blätter verstopft waren. Am zweiten Tag der wolkenbruchartigen Niederschläge hatte das Wasser fingerbreite Risse im Asphalt erzeugt, und am dritten Tag waren gegen Mittag große Bruchstücke Asphalt den Hügel hinabgetrieben, bis über die Kreuzung hinweg. Es war gelungen, die Jackson Street für den Verkehr freizuhalten, aber die Witcham Street war bis zur Stadtmitte unpassierbar. Aber nun war nach allgemeiner Meinung das Schlimmste überstanden. Der Pegel des Kendus-keag River war knapp unterhalb der Höhe der natürlichen Ufer und der betonierten Kanalmauern in der Innenstadt stehengeblieben, und im Augenblick war eine Gruppe von Männern - darunter auch Zack Denbrough, Georges und Stotter-Bills Vater - damit beschäftigt, die Sandsäcke wegzuräumen, die sie am Vortag angsterfüllt entlang des Flusses aufgestapelt hatten, als es so aussah, als würde er unweigerlich über die Ufer treten und die Stadt überfluten. Das war seit 1932 nicht mehr vorgekommen, aber es gab noch genügend Menschen, die sich an die Überschwemmung von 1932 erinnern konnten und die übrigen Bewohner von Derry mit ihren Erzählungen in Angst und Schrecken versetzten. Damals waren bei der Hochwasserkatastrophe über zwanzig Menschen ums Leben gekommen. Einer davon war später 25 Meilen stromabwärts aufgefunden worden. Die Fische hatten diesem Ärmsten die Augen, drei Finger, den Penis und den größten Teil des linken Fußes abgefressen. Seine Hände - oder was davon noch übrig gewesen war - hatten das Lenkrad eines Fords umklammert.

Aber nun sank der Pegel des Kenduskeags langsam wieder, und wenn der neue Staudamm stromaufwärts in Bangor erst einmal fertiggestellt sein würde, dürfte der Fluß aufhören, eine ständige Bedrohung darzustellen. Das behauptete zumindest Zack Denbrough, der für >Bangor Hydroelec-tric< arbeitete.

George blieb am Rande eines tiefen Risses stehen, der sich diagonal durch den Teer der Witcham Street zog, und er lachte laut auf - der Klang der kindlichen ausgelassenen Fröhlichkeit erhellte einen Augenblick lang diesen grauen Nachmittag -, als das Wassersein Papierboot nach rechts in die Miniatur-Stromschnellen der schmalen Vertiefung riß. Es trieb so schnell auf die andere Seite der Witcham Street zu, daß George rennen mußte, um auf gleicher Höhe zu bleiben. Unter seinen Überschuhen spritzte Wasser hervor, und ihre Schnallen klapperten fröhlich, während George Denbrough in seinen merkwürdigen Tod rannte. Er war in diesem Moment ganz erfüllt von Liebe zu seinem Bruder Bill... von Liebe und leichtem Bedauern, daß Bill nicht bei ihm war und dies hier nicht sehen konnte. Natürlich konnte er ihm alles erzählen, wenn er nach Hause kam, aber er konnte es ihm nicht bildhaft vor Augen führen, so wie Bill das fertigbringen würde, wenn er an seiner Stelle wäre. Bill konnte so etwas ganz fantastisch - deshalb bekam er in seinen Zeugnissen im Lesen und Schreiben auch immer die besten Noten, deshalb waren die Lehrer so begeistert von seinen Aufsätzen.

Das Boot schnellte durch die Vertiefung, und obwohl es in Wirklichkeit nur aus der Anzeigenseite der >Derry Daily News< bestand, stellte George sich vor, es wäre ein Torpedoboot wie die in >Hell in the Pacific«, einem Film mit John Wayne, den er mit Bill im Kino in der Innenstadt bei einer Samstagsmatinee gesehen hatte, kurz bevor Bill krank geworden war. Schmutziges Wasser schäumte um den Bug, während das Boot durch den Riß im Teer trieb, und dann erreichte es den Rinnstein auf der anderen Straßenseite. Einen Augenblick sah es so aus, als ob die neue starke Strömung, die gegen seine rechte Seite prallte, es zum Kentern bringen würde, aber es richtete sich wieder auf und drehte nach links - und erneut rannte George lachend nebenher, während unter seinen Überschuhen hervor das Wasser hochspritzte und der heftige Oktoberwind an den fast kahlen Bäumen rüttelte, die durch den furchtbaren Sturm der Vortage ihr buntes Blätterkleid verloren hatten.

Im Bett sitzend, die Wangen immer noch vom Fieber gerötet (aber es sank jetzt wie der Kenduskeag), hatte Bill das Boot gefaltet und dann zu George, der schon danach greifen wollte gesagt: »U-und jetzt h-h-hol mir das P-P-Paraffin.«

»Was ist das? Und wo ist es?«

»Es steht auf dem Regal im Keller«, hatte Bill gesagt. »In einer Schachtel mit der A-Aufschrift >G-G-G-Gulf<. Und bring auch ein Messer und eine Schüssel mit. Und Streichhölzer.«

George hatte sich auf den Weg gemacht, um diese Sachen zu holen. Er hörte im oberen Stockwerk seine Mutter Klavier spielen, während der Regen an diesem verhangenen Vormittag gegen die Fensterscheiben klopfte -es waren beruhigende Geräusche. Er ging nicht gern die schmale Kellertreppe hinunter, weil er sich immer vorstellte, daß da unten im Dunkeln etr was lauerte. Er öffnete nicht einmal gern die Tür, um das Licht einzuschalten, weil er immer das Gefühl hatte - er wußte, daß es dumm war -, daß in dem Moment, in dem er seine Hand nach dem Lichtschalter ausstreckte, etwas nach ihm greifen würde... irgendeine schreckliche Tatze mit Klauen... und ihn in die Dunkelheit hinabzerren würde.

Es war dumm, das wußte er; es gab nichts Derartiges - Bill hatte ihm das versichert und Mom und Dad ebenfalls, obwohl ihre Worte für ihn weniger Gewicht hatten -, aber trotzdem wurde er die Vorstellung nicht los. In jenen endlos scheinenden Sekunden, wenn er nach dem Lichtschalter tastete, glaubte er immer wieder, der Kellergeruch - jener säuerlich-bittere Geruch von Lehmboden und verschimmeltem Gemüse - sei der Eigengeruch des Ungeheuers, irgendeiner unvorstellbaren Kreatur, die dort unten im Dunkeln lauerte und Appetit auf das Fleisch kleiner Jungen hatte.