»Bastard...«
Ben bohrte einen Daumen in eins seiner Augen. Der Werwolf heulte vor Schmerz auf, und seine Pranke zerfetzte Bens Hemd. Er zog seinen Bauch ein, aber zwei seiner Krallen rissen ihm die Haut vom Brustkorb bis zum Bauch auf. Blut spritzte hervor und rann auf seine Hose, seine Schuhe, auf den Boden. Der Werwolf schleuderte ihn beiseite. Bens Kniekehlen prallten gegen den Rand der Badewanne, und er fiel hinein; nur seine Waden und Füße hingen heraus. Er warf einen Blick auf seinen Schoß und sah, daß er blutüberströmt war.
Der Werwolf wirbelte herum. Ben registrierte mit aberwitziger Klarheit, daß er ausgeblichene Levis-Jeans trug. Die Saumnähte waren aufgegangen. Auf dem Rücken seines silber- und orangenfarbenen High-School-Jacketts stand mit schwarzen Buchstaben: derry high school mordteam. Darunter der Name pennywise. Und in der Mitte eine Nummer: 13.
er griff jetzt wieder Bill an, der inzwischen auf die Beine gekommen war, mit dem Rücken an der Wand lehnte und das Monster nicht aus den Augen ließ.
»Schieß, Beverly!« schrie Richie wieder.
»Piep-piep, Richie«, hörte sie sich selbst wie aus weiter Ferne erwidern. Ein Auge des Werwolfs war jetzt genau zwischen den Bügeln der Schleuder. Mit sicherer Hand spannte sie das Gummi und schoß so gelassen wie an jenem Tag, als sie auf der Müllhalde zur Probe auf Dosen gezielt hatten.
Ben dachte verzweifelt: O Beverly, wenn du auch diesmal danebenschießt, sind wir alle verloren, und ich will nicht in dieser schmutzigen Badewanne sterben, aber ich komme hier allein nicht heraus. Doch Beverly schoß nicht daneben. Ein rundes Auge - nicht grüngelb, sondern schwarz - tauchte plötzlich hoch oben in der Mitte seiner Schnauze auf: Sie hatte auf das rechte Auge gezielt und es um weniger als einen halben Zoll verfehlt.
Der Werwolf stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus - einen fast menschlichen Schrei von Angst, Schmerz und Wut. Aus dem runden Loch in seiner Schnauze spritzte das Blut wie eine Fontäne hervor und benetzte Bills Gesicht und Haare. Das macht nichts, dachte Ben hysterisch. Mach dir keine Sorgen, Bill. Niemand wird dieses Blut sehen können, wenn wir erst einmal draußen sind. Wenn wir jemals hier herauskommen.
Bill und Beverly verfolgten den Werwolf, und hinter ihnen rief Richie: »Schieß noch einmal, Bev! Erschieß ihn! Erschieß Es!«
»Erschieß Es!« schrie Mike.
»Ja, erschieß Es!« keuchte Eddie.
»Laß Es nicht lebend davonkommen!« brüllte Stan.
»Bring Es um!« schrie Bill mit zitternden Lippen. In seinen Haaren hing weißgelber Verputzstaub. »Bring Es um, Bev, mach ihm den Garaus!«
Keine Munition mehr, keine Silberkugeln mehr da, dachte Ben. Wovon redet ihr? Wie soll Bev Es töten? Aber er wußte es: sie versuchten zu bluffen. Er sah Beverly an, und wenn sein Herz nicht ohnehin schon ihr gehört hätte, wäre es ihr in diesem Augenblick zugeflogen. Sie hatte sie Schleuder wieder gespannt und verdeckte mit ihren Fingern die leere Kugelmulde.
»Töte Es!« brüllte er und bemühte sich, aus der Badewanne herauszukommen. Seine Jeans und Unterhose klebten vom Blut an seiner Haut. Er hatte keine Ahnung, ob er schwer verletzt war oder nicht. Es war schrecklich viel Blut.
Die grünlichen Augen des Werwolfs glitten von einem zum anderen, flackerten unruhig. Blut durchtränkte sein Jackett.
Bill Denbrough lächelte.
Es war ein sanftes, direkt liebliches Lächeln... aber seine Augen blieben hart und kalt. »Du hättest meinen B-B-Bruder in R-Ruhe lassen sollen«, sagte er. »Leg diesen verdammten Dreckskerl um, Bev.«
Die Unsicherheit verschwand aus den Augen des Wehrwolfs - er glaubte ihnen. Geschmeidig wirbelte er herum und sprang in die Senkgrube. Und während er dort verschwand, veränderte er sich. Das HighSchool-Jackett löste sich auf, und auch das Fell verlor seine Farbe. Der Schädel wurde länger, so als sei er aus Wachs, das sich jetzt verflüssigte und zerschmolz. seine Gestalt veränderte sich, und wieder glaubte Ben, seine wahre Gestalt fast erkannt zu haben, und sein Herz gefror zu einem eiskalten Klumpen, und er schnappte entsetzt nach Luft.
»Ich bring' euch alle um!« dröhnte eine Stimme aus dem Abflußrohr. Es war eine wilde Stimme, die nichts Menschliches an sich hatte. »Bring' euch alle um... bring' euch alle um... bring' euch alle um...« Die Worte wurden immer leiser, immer undeutlicher... bis sie zuletzt im Summen der Pumpe untergingen.
Es war, als ob sich das Haus mit einem dumpfen Dröhnen zu senken begann. Aber es senkte sich nicht, erkannte Ben, sondern es schrumpfte auf geheimnisvolle Weise zu seiner normalen Größe zusammen. Welche magische Kraft Es auch ausgeübt haben mochte, um das Haus Nr. 29 in der Neibolt Street größer erscheinen zu lassen - diese Kraft war jetzt nicht mehr wirksam. Es war jetzt nur noch ein altes Haus, in dem es nach Feuchtigkeit und Moder roch, ein leerstehendes Haus, in dem sich manchmal Vagabunden und Landstreicher aufhielten, tranken und miteinander redeten.
Es war verschwunden.
Und die Stille nach seiner Flucht schien sehr laut zu sein.
10
»W-W-Wir m-müssen so sch-schnell wie m-m-m-möglich hier raus«, sagte Bill und ging auf die Badewanne zu, in der Ben festsaß wie ein Korken in der Flasche. Beverly stand in der Nähe der Senkgrube. Sie blickte an sich herab, und jene Kaltblütigkeit verflog mit einem Schlag. Sie bekam einen hochroten Kopf - sie mußte vorhin wirklich sehr tief Luft geholt haben: das leise Klirren auf dem Fußboden hatte von ihren Blusenknöpfen hergerührt, die alle abgesprungen waren. Die Bluse hing offen herunter und entblößte ihre kleinen Brüste. Sie zog sie rasch zusammen.
»R-R-Richie«, rief Bill. »H-Hilf mir, B-B-Ben r-rauszuziehen!«
Aber auch zu zweit schafften sie es nicht. Erst als Stan und Mike auch noch zupackten, gelang es ihnen mit vereinten Kräften, Ben aus der Wanne zu befreien. Eddie war währenddessen zu Beverly gegangen und hatte ihr unbeholfen seinen gesunden Arm um die Schultern gelegt.
Ben machte zwei große unsichere Schritte und lehnte sich rasch an die
Wand, um nicht umzukippen. Sein Kopf war merkwürdig leicht. Die Welt hatte keine Farben. Ihm war übel.
Dann spürte er Bills kräftigen Arm, der ihn stützte - ein tröstliches Gefühl.
»W-Wie sch-sch-schlimm ist es, H-Haystack?«
Ben zwang sich, seinen Bauch anzuschauen. Er stellte fest, daß diese beiden einfachen Handlungen - den Kopf zu senken und sein zerrissenes Hemd beiseite zu schieben - mehr Mut erforderten als der Einstieg ins Haus. Er erwartete, daß seine Eingeweide heraushängen würden wie groteske Euter. Statt dessen sah er, daß die Blutung nachgelassen hatte, daß nur noch wenig Blut aus der Wunde sickerte. Der Werwolf hatte ihn offensichtlich doch nicht tödlich verletzt.
Richie trat zu ihnen und betrachtete die lange, ziemlich tiefe Wunde, die von Bens Brust bis etwa zum Punkt der stärksten Bauchwölbung führte. Dann blickte er Ben ernst an. »Es war verdammt nahe dran, sich aus deinen Eingeweiden Sockenhalter machen zu können, Haystack. Weißt du das?«
»Was du nicht sagst, du Spaßvogel!« erwiderte Ben. Sie tauschten einen langen, nachdenklichen Blick, und dann brachen sie gleichzeitig in hysterisches Gelächter aus. Richie nahm Ben in die Arme und klopfte ihm auf den Rücken. »Wir haben Es geschlagen, Haystack! Wir haben Es besiegt!«
»W-W-Wir h-haben Es nicht gesch-sch-schlagen«, widersprach Bill grimmig. »Nur überlistet. V-V-Verschwinden wir, b-b-bevor Es b-beschließt zurückzukommen .«
»Und wohin?« fragte Mike.
»In die B-B-B-Barrens.«
Beverly trat zu ihnen. Ihre Wangen glühten. Mit einer Hand hielt sie immer noch ihre Bluse zusammen. »Ins Klubhaus?« fragte sie.