Im Frühling jenes Jahres war eine Zeitlang über die Gründung einer Gewerkschaft geredet worden. An der Organisation hatten sich vier Holzfäller beteiligt (nicht daß es viel zu organisieren gegeben hätte - die Arbeiter in Maine waren damals gewerkschaftsfeindlich eingestellt, und daran hat sich bis heute nicht viel geändert), und einer davon war Claude Heroux, der in seinen Aktivitäten vermutlich hauptsächlich eine Möglichkeit sah, große Reden zu führen und eine Menge zu trinken. Heroux und die anderen drei Männer nannten sich >Organisatoren<; von den Holzbaronen wurden sie als >Bandenführer< bezeichnet. Eine Bekanntmachung, die in den Eßbarak-ken sämtlicher Holzfällerlager aushing, von Monroe bis Lydeville, Sumner Plantation, Newport und Dover-Foxcroft, informierte sie darüber, daß jeder, der sich für eine Gewerkschaft engagierte, fristlos entlassen würde.
Im Mai jenes Jahres gab es einen Streik in der Nähe von Trapham Notch, und obgleich sowohl Streikbrecher als auch beilschwingende >Stadtpolizi-sten< für ein rasches Ende dieses Streiks sorgten (das plötzliche Auftauchen dieser beilschwingenden >Stadtpolizisten< war schon ziemlich merkwürdig; es waren an die 30 Mann - vor jenem Maitag hatte es in Trapham Notch indessen keinen einzigen Stadtpolizisten gegeben - bei der Volkszählung von 1900 hatte der Ort auch ganze 79 Einwohner gehabt), betrachteten Heroux und seine Freunde ihn doch als großen Sieg für ihre Sache. Folglich kamen sie nach Derry, um sich zu betrinken und weiter zu organisieren. Sie besuchten die meisten Kneipen in Hell's Half-Acre und landeten schließlich im >Sleepy Silver Dollar<; sie waren stockbesoffen, hatten sich gegenseitig die Arme um die Schultern gelegt und gröhlten abwechselnd Gewerkschaftslieder und sentimentale Schnulzen.
Nach Aussage von Thoroughgood konnte man sich überhaupt nur einen einzigen Grund für Heroux' Beteiligung an den gewerkschaftlichen Aktivitäten vorstellen: Dave O'Harrah war der eigentliche >Organisator< - oder >Bandenführer< - und Heroux liebte ihn. Er folgte O'Harrah in die Organisationsarbeit, wie er ihm überallhin gefolgt wäre, ganz egal, welche verrückten Pläne O'Harrah auch im Sinn gehabt hätte. Heroux war gerissen und schlecht, und in einem Roman hätte man ihm wahrscheinlich überhaupt keine positiven Eigenschaften zugestanden. Aber wenn ein Mann sein Leben lang nur Mißtrauen kennengelernt hat und zum einsamen Einzelgänger geworden ist, sowohl durch eigenen Entschluß als auch durch die Einstellung der Gesellschaft ihm gegenüber, und dann plötzlich einen Freund oder Liebespartner findet, wird er manchmal nur noch für diesen einen Menschen leben, so wie ein Hund für seinen Herrn lebt. Das scheint bei Heroux und O'Harrah der Fall gewesen zu sein.
Die vier Männer wollten jene Nacht im Brentwood Arms Hotel verbringen, das unter den Holzfällern damals bekannter war unter dem Namen >The Floating Dog< (an den Grund konnte sich nicht einmal Egbert Thoroughgood erinnern). Die vier Männer stiegen in dem Hotel ab, und drei von ihnen wurden danach nicht mehr lebend gesehen. Einer - Andy Deles-seps - verschwand spurlos; es gab Gerüchte, daß er den Rest seines Lebens als reicher Mann in Portsmouth verbracht haben soll. Aber irgendwie zweifle ich daran. Zwei weitere >Bandenführer< trieben mit den Bäuchen nach unten im Kenduskeag: Amsel Bickford hatte keinen Kopf mehr - jemand hatte ihn mit einer schweren Holzfälleraxt abgeschlagen. Dave O'Harrah fehlten beide Beine, und jene, die ihn gefunden hatten, schworen, sie hätten auf einem menschlichen Gesicht nie einen solchen Ausdruck von Schmerz und Entsetzen gesehen. Er hatte irgend etwas im Mund, und als man ihn umdrehte, fielen sieben seiner Zehen heraus. Manche glaubten, die restlichen drei hätte er irgendwann beim Holzfällen verloren; andere vertraten die Ansicht, man hätte ihm die Zehen in den Mund gestopft, als er noch lebte, und er hätte sie verschluckt.
An die Hemdrücken beider Männer war ein Blatt Papier mit der Aufschrift GEWERKSCHAFTSMANN geheftet.
Claude Heroux konnte für das, was am Abend des 9. September geschah, nie vor Gericht gestellt werden, und deshalb weiß niemand genau, auf welche Weise er dem Schicksal der anderen in jener Mainacht entging. Wir können nur Vermutungen anstellen; er war lange völlig auf sich allein gestellt gewesen, hatte gelernt, rasch zu reagieren, hatte vielleicht auch den Spürsinn mancher Straßenköter entwickelt, sich rechtzeitig aus dem Staub zu machen. Aber warum hat er dann O'Harrah nicht mitgenommen? Oder war er zusammen mit den anderen >Agitatoren< in die Wälder geschleppt worden? Vielleicht hatten die Mörder ihn sich für zuletzt aufgespart, und er hatte entkommen können, während O'Har-rahs Schreie durch die Dunkelheit gellten und Vögel aus ihren Nestern aufscheuchten. Es läßt sich nicht mehr feststellen, aber intuitiv glaube ich, daß die letztgenannte Variante der Wahrheit entspricht.
Claude Heroux führte von nun an eine Art Schattendasein. Er tauchte beispielsweise in einem Holzfällerlager im St. John Valley auf, stellte sich mit den anderen zur Essensausgabe an, bekam seinen Teller Schmorfleisch, aß es und verschwand, bevor jemandem auffiel, daß er gar nicht dazugehörte. Wochen später kam er dann etwa in eine Bierkneipe in Winterport, führte pro-gewerkschaftliche Reden und schwor, er werde sich an den Männern rächen, die seine Freunde ermordet hatten - am häufigsten erwähnte er die Namen Hamilton Tracker, William Mueller und Richard Bowie. Sie alle lebten in Derry, und ihre Häuser mit den Giebeln, Erkern und Türmchen stehen bis heute am West Broadway. Jahre später setzten sie oder ihre Nachkommen das >Black Spot< in Brand.
Daß es Leute gab, die Claude Heroux gern aus dem Weg geräumt hätten, besonders nach den Waldbränden, die im Juni begonnen hatten, daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Aber obwohl Heroux am häufigsten in Derry und Umgebung gesehen wurde, so war er doch sehr schnell und hatte bei drohenden Gefahren den Instinkt eines Raubtiers. Soviel ich herausbringen konnte, wurde nie ein offizieller Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, und die Polizei unternahm nie etwas. Vielleicht hatten gewisse Leute Angst vor dem, was Heroux aussagen könnte, wenn man ihn wegen Brandstiftung vor Gericht stellte.
Jedenfalls brannten in jenem heißen Sommer die Wälder in Derrys Umgebung. Kinder verschwanden, es gab mehr heftige tätliche Auseinandersetzungen und mehr Morde als in anderen Jahren, und Angst lag in der Luft - Angst, die ebenso wahrnehmbar war wie der Rauch.
Am i. September regnete es dann endlich, und der Regen hielt eine ganze Woche lang an. Die Innenstadt von Derry wurde überflutet, was nicht ungewöhnlich war, aber die vornehmen Häuser am West Broadway standen viel höher als die in der Innenstadt, und in einigen dieser Häuser konnte man bestimmt erleichterte Seufzer hören. >Soll der verrückte Frankokanadier sich ruhig den ganzen Winter über in den Wäldern verstecken, wenn er will<, mögen sie gesagt haben. >In diesem Sommer wird er keine Brände mehr legen können, und irgendwann kriegen wir ihn schon noch.<
Und dann kam der 9. September. Ich habe keine Erklärung für das, was passierte; auch Thoroughgood hatte keine; soviel ich weiß, hatte niemand eine. Ich kann nur die Ereignisse zu Papier bringen.
Der >Silver Dollar< war voll mit biertrinkenden Holzfällern. Draußen brach an diesem regnerischen Tag die Abenddämmerung herein. Der Kenduskeag führte sehr viel Wasser und war trübe, und ein starker herbstlicher Wind wehte - »die Art Wind, die jedes Loch in der Hose findet und einem direkt in den Arsch bläst«, um mit Thoroughgood zu reden. Die Straßen waren morastig. An einem der Tische im Hintergrund der Kneipe war ein Kartenspiel im Gange. Das waren William Muellers Männer. Mueller war Teilhaber der GS & WM-Eisenbahnlinie, und außerdem gehörten ihm Millionen Acker erstklassigen Waldbestands, und die Männer, die an jenem Abend im >Silver Dollar< Karten spielten, arbeiteten teils als Holzfäller, teils bei der Eisenbahn und waren allesamt üble Unruhestifter. Zwei von ihnen, Tinker McCutcheon und George Calderwood, hatten schon im Gefängnis gesessen. Die anderen waren Lathrop Rounds (der den Spitznamen El Ka-took hatte), David >Stugley< Grenier und Eddie King, ein dicker, bärtiger Mann, der nur noch ein halbes Dutzend Zähne im Mund hatte. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie zu den Männern gehörten, die in den vorangegangenen zweieinhalb Monaten nach Claude Heroux Ausschau gehalten hatten. Und ebenso wahrscheinlich ist es - obwohl es keinen Beweis dafür gibt -, daß sie bei der kleinen Mörderparty im Mai mitgewirkt hatten, bei der O'Harrah und Amsel Bickford ums Leben gekommen waren.