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»Ich habe überhaupt nichts getan!« schrie sie, als seine Hände sich wieder auf ihre Schultern legten, diesmal nicht mit schmerzhaft festem Griff, sondern ganz sanft, was irgendwie noch schlimmer, noch beunruhigender war.

»Beverly«, sagte er mit der aberwitzigen Logik des von einer fixen Idee total Besessenen, der mit vernünftigen Argumenten nicht beizukommen ist: »Ich habe dich in Gesellschaft von Jungen gesehen. Kannst du mir vielleicht sagen, was ein Mädchen da unten im Dickicht mit Jungen treibt, wenn es nicht das ist?«

»Laß mich in Ruhe!« schrie sie ihn an. Aus einem tiefen Brunnen in ihrem Innern, von dessen Existenz sie nicht einmal etwas geahnt hatte, stieg Zorn in ihr hoch und schoß mit einer lodernden bläulichgelben Flamme in ihren Kopf empor, wie die Flamme aus einem Ölbohrloch. Sie dachte an die vielen Male, da er ihr weh getan, da sie sich vor ihm gefürchtet hatte, und das verlieh ihrem Zorn zusätzlichen Auftrieb. »Ich will, daß du mich endlich in Ruhe läßt!«

»Sprich nicht so mit deinem Vater!« rief er, aber es hörte sich ein bißchen verunsichert und verwirrt an.

»Ich habe nicht getan, was du behauptest! Das habe ich nie getan!«

»Vielleicht stimmt das, vielleicht aber auch nicht. Ich werde mich selbst davon überzeugen. Ich weiß, wie man das macht. Zieh jetzt deine Hose aus.«

»Nein.«

Er riß die Augen weit auf. »Was? Was hast du gesagt?«

»Ich habe nein gesagt.« Er blickte ihr in die Augen, und vielleicht sah er den flammenden Zorn darin, den plötzlichen Ausbruch von Haß und Rebellion. »Wer hat es dir erzählt?«

»Bevvie...«

»Wer hat dir erzählt, daß wir da unten spielen? War es ein Fremder? War es ein Clown? War es ein Mann in orangefarbener Kleidung? Hat er Handschuhe getragen? Wer hat dich in die Barrens geschickt?«

»Bevvie, wirst du wohl sofort aufhören...«

»Nein, du sollst endlich aufhören!« rief sie.

Er schwang seine geballte Faust mit solcher Wucht, als wollte er ihr alle Knochen im Leibe brechen. Sie duckte sich. Die Faust sauste über ihren Kopf hinweg und schlug gegen die Wand. Er heulte vor Schmerz auf. Sie rannte blitzschnell auf die Tür zu.

»Komm sofort zurück!« brüllte er.

»Nein«, sagte sie. »Du willst mir weh tun. Aber... aber ich glaube, du willst auch noch etwas Schlimmeres tun. Ich liebe dich, Daddy, aber ich hasse dich, wenn du so wie jetzt bist. Du kannst das mit mir nicht mehr machen. Es treibt dich zu solchen Sachen, aber du läßt Es ein.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte er, »aber du solltest jetzt lieber sofort herkommen. Ich sag's dir nicht noch einmal.«

»Nein!« rief sie und begann wieder zu weinen.

»Zwing mich nicht dazu, dich holen zu müssen, Bevvie. Du würdest es hinterher sehr bedauern. Komm sofort her.«

»Sag mir, wer es dir erzählt hat«, sagte sie, »dann tu' ich's.«

Er sprang plötzlich auf sie zu, mit solch katzenhafter Geschicklichkeit, daß er sie fast gefangen hätte, obwohl sie mit so etwas gerechnet hatte. Sie packte den Türknopf aus geschliffenem Glas, zog die Tür einen Spaltbreit auf, so daß sie gerade hindurchschlüpfen konnte, und rannte den Flur entlang auf die Haustür zu, in panischer Angst - so wie sie 25 Jahre später vor Mrs. Kersh fliehen würde. Hinter ihr prallte AI Marsh gegen die Tür, die laut zufiel.

»komm sofort zurück, bevvie!« tobte er, und dann riß er die Tür auf und rannte hinter ihr her.

Die Haustür war abgeschlossen; sie hatte die Wohnung vorhin durch den Hintereingang betreten. Jetzt fummelte sie mit zitternder Hand am Schloß herum, während sie mit der anderen erfolglos am Türknopf rüttelte. Hinter ihr brüllte ihr Vater wieder. Wie ein hungriges Raubtier

(zieh jetzt deine Hose aus)

hörte er sich an. Endlich brachte sie die Tür auf. Keuchend warf sie einen flüchtigen Blick über die Schulter hinweg und sah ihn dicht hinter sich. Schon streckte er die Hand nach ihr aus; ein Grinsen breitete sich auf seinem wutverzerrten Gesicht aus und enthüllte sein großes gelbliches Pferdegebiß.

Beverly stürzte hinaus und spürte, wie seine Finger am Rücken ihrer Bluse abglitten. Sie nahm die Stufen zu schnell, verlor das Gleichgewicht, fiel auf den Gehweg und schlug sich beide Knie auf.

»KOMM SOFORT ZURÜCK, BEVVIE, ODER ICH SCHLAGDICH TOT!«

Er rannte die Stufen hinab, und sie sprang auf, Löcher in den Jeans.

(deine Hose aus)

mit blutenden Knien. Sie warf einen Blick zurück und sah, daß er sie immer noch verfolgte, AI Marsh, Hausmeister der High School, in grauer Hose und grauem Hemd mit zwei Brusttaschen, mit einem Schlüsselring am Gürtel, mit wehenden Haaren. Aber in seinen Augen war jetzt nichts mehr von ihm zu sehen - nichts von dem Mann, der ihr den Rücken eingeseift oder sie gelegentlich geknufft hatte, weil er sich Sorgen um sie machte; nichts von dem Mann, der einmal - als sie sieben Jahre alt gewesen war -versucht hatte, ihr Zöpfe zu flechten, und der dann zusammen mit ihr über das katastrophale Ergebnis gelacht hatte; nichts von dem Mann, der sonntagsmorgens manchmal Eierpunsch mit Zimt machte, der besser schmeckte als der in der Eisdiele auf der Center Street. Nichts davon war jetzt in seinen Augen zu lesen. Sie sah darin nur pure Mordlust. Sie sah darin nur noch Es, das sein irrsinniges, finsteres Gelächter ausstieß.

Sie rannte. Sie rannte vor ihm davon.

Mr. Pasquale, der auf dem Verandageländer saß, seinen schäbigen Rasen mit einem Schlauch sprengte und sich im Radio die Übertragung eines Spiels der Red Sox anhörte, blickte erstaunt auf. Die Söhne der Zimmer-mans, die sich vor kurzem für 25 Dollar einen alten Hudson Hörnet gekauft hatten, den sie jetzt fast täglich wuschen, ließen ihre Arbeit für einen Augenblick im Stich und traten mit offenen Mündern etwas zurück, der eine mit einem Eimer Seifenlauge in der Hand, der andere mit einem Schlauch. Mrs. Denton schaute aus dem Fenster ihrer Wohnung im zweiten Stock, Stecknadeln im Mund, ein Kleid auf dem Schoß, während zahlreiche weitere ausbesserungsbedürftige Kleidungsstücke ihrer sechs Töchter in einem Korb auf dem Boden lagen. Der kleine Lars Thermaenius zog sein Red Ball Flyer-Wägelchen rasch vom Gehweg auf Bucky Pasquales ungepflegten Rasen und brach in Tränen aus, als Bevvie schreiend und weinend, mit schreckensweit aufgerissenen Augen, an ihm vorbeisauste. Sie hatte ihm im Frühling einen ganzen Vormittag lang geduldig gezeigt, wie man Schnürsenkel so bindet, daß sie nicht gleich wieder aufgehen. Einen Augenblick später rannte auch ihr brüllender Vater an ihm vorbei, und Lars, der damals drei Jahre alt war und später in einem Gefängnis in Hanoi starb, sah etwas Schreckliches und Unmenschliches in Mr. Marshs Gesicht. Er hatte danach drei Wochen lang Alpträume, in denen er sah, wie Mr. Marsh sich unter seinen Kleidern in eine Spinne verwandelte.

Beverly rannte. Sie wußte genau, daß sie um ihr Leben rannte. Wenn sie ihrem Vater jetzt in die Hände fiel, würde es ihr auch nichts nützen, daß sie auf der Straße waren. Die Leute in Derry taten manchmal verrückte Dinge; sie brauchte nicht die Zeitungen zu lesen oder die eigenartige Geschichte der Stadt zu kennen, um das zu begreifen. Wenn er sie erwischte, würde er sie erwürgen oder sie zu Tode prügeln. Und wenn dann alles vorüber sein würde, würde jemand kommen und ihn verhaften, und er würde in einer Gefängniszelle sitzen, so wie auch Eddie Corcorans Vater irgendwo in einer Gefängniszelle saß, völlig verwirrt und fassungslos über seine eigene Tat.

Und deshalb rannte sie. Je näher sie der Innenstadt kamen, desto mehr

Leute waren auf den Straßen, die sich nach ihnen umdrehten. Sie schauten