Ich betrüge meine Frau. Er versuchte, das richtig zu Ende zu denken, aber es kam ihm doch irgendwie unwirklich vor. Am stärksten war ein eigenartiges Heimweh; ein altmodisches Gefühl, etwas aufzugeben. Audra würde jetzt schon auf sein, Kaffee kochen, im Morgenrock am Küchentisch sitzen und entweder ihre Rolle studieren oder einen Roman - vielleicht von Dick Francis - lesen.
Sein Schlüssel drehte sich im Schloß von Zimmer 311. Wären sie in Beverly s Zimmer im fünften Stock gegangen, so hätte dort das Licht an ihrem Telefon geblinkt, das signalisierte, daß eine Nachricht für sie vorlag; der Empfangsangestellte hätte ihr ausgerichtet, sie solle ihre Freundin Kay in Chicago anrufen; vielleicht hätten die Dinge dann einen anderen Lauf genommen. Aber sie gingen in Bills Zimmer- vielleicht, weil es so vorherbestimmt war.
Die Tür öffnete sich. Sie traten ein. Beverly sah ihn mit leuchtenden Augen an; ihre Wangen glühten, und ihre Brust hob und senkte sich rasch. Er nahm sie in die Arme und wurde überwältigt von dem Gefühl, richtig zu handeln - von dem Gefühl, daß der Kreis zwischen Vergangenheit und Gegenwart sich mit triumphierender Nahtlosigkeit schloß. Er stieß die Tür ungeschickt mit dem Fuß zu, und sie lachte ihren warmen Atem in seinen Mund hinein. »Mein Herz...«, sagte sie und legte seine Hand auf ihre linke Brust. Er konnte es unter dem weichen und doch festen, wahnsinnig erregenden Fleisch laut pochen hören.
»Dein H-H-Herz...«
»Mein Herz...«
Sie ließen sich angekleidet aufs Bett fallen und küßten sich. Ihre Hand glitt unter sein Hemd, kam wieder hervor. Sie fuhr mit einem Finger über die Knöpfe, hielt an der Taille kurz inne... und dann glitt ihr Finger tiefer, über seinen harten Penis. In seinen Leisten begannen Muskeln zu zucken und zu vibrieren, Muskeln, die er normalerweise überhaupt nicht spürte. Er brach den Kuß ab und rückte auf dem Bett etwas von ihr ab.
»Bill?«
»Ich m-m-muß eine kleine P-P-Pause einlegen«, sagte er. »Sonst geht die
L-Ladung noch in m-meine Hose wie bei einem Jungen.«
Sie lachte wieder leise auf und sah ihn an. »Ist es nur das? Oder hast du noch andere Motive?«
»D-D-Die habe ich i-immer.«
»Ja«, sagte sie. »Deine Frau?«
Bill lächelte nur.
»Du liebst sie.«
»Und du liebst Tom«, sagte er. »Wir sollten eine Country-and-We-stern-Platte bespielen.«
»Ich hasse ihn.«
Er sah sie an, und sein Lächeln schwand.
»Bis heute abend war ich mir dessen nicht voll bewußt«, sagte sie. »Oh, ich wußte es - irgendwo tief im Innern wußte ich es die ganze Zeit, glaube ich. Er schlägt mich, er verletzt mich. Ich habe ihn geheiratet, weil... ich glaube, weil mein Vater sich immer Sorgen um mich machte. Wie sehr ich mich auch anstrengen mochte - er machte sich Sorgen. Und ich wußte vermutlich, daß er Toms Verhalten billigen würde. Denn auch Tom machte sich Sorgen. Und solange sich jemand Sorgen um mich machte, würde ich sicher sein. Ja, mehr als sicher. Real.« Sie sah ihn sehr ernst an. Ihre Bluse war etwas hochgerutscht und entblößte einen weißen Streifen Haut, den Bill gern geküßt hätte. »Aber es wurde ein einziger Alptraum. Mit Tom verheiratet zu sein war so ähnlich wie in den Alptraum zurückzukehren. Warum macht ein Mensch so etwas? Warum sollte irgendein Mensch aus eigenem Antrieb in den Alptraum zurückkehren wollen?«
»Der einzige G-G-Grund, den ich m-mir vorstellen kann, ist, daß M-M-Menschen zurückkehren, um sich s-s-selbst zu f-f-f-finden.«
»Der Alptraum ist hier«, fuhr Beverly fort. »Der Alptraum ist Derry. Verglichen damit ist Tom nur ein kleiner Fisch. Ich sehe ihn jetzt deutlicher. Ich verabscheue mich selbst für die Jahre, die ich mit ihm verbracht habe... du weißt ja nicht... wozu er mich zwang... und, oh, ich war glücklich, diese Dinge zu tun, weil er sich Sorgen um mich machte, weißt du. Er machte sich schreckliche Sorgen um mich. Ich würde am liebsten weinen... aber ich schäme mich viel zu sehr. Kannst du das verstehen?«
»Quäl dich n-n-nicht«, sagte er ruhig und legte seine Hand auf die ihrige. Sie griff danach wie nach einem Rettungsring. Ihre Augen leuchteten verdächtig, aber es kamen keine Tränen. »W-W-Wir verpatzen alle s-so vieles. Aber das L-Leben ist kein Examen. M-Man muß einfach w-weitermachen, so gut man k-k-kann.«
»Was ich sagen wollte, war, daß ich Tom nicht betrüge, und ich versuche auch nicht, mich durch dich irgendwie an ihm zu rächen oder irgend so was. Für mich wäre es etwas... etwas ganz Normales und Schönes. Aber ich möchte dir nicht weh tun, Bill. Oder dich zu etwas verführen, daß dir hinterher leid tun wird.«
Er dachte darüber nach. Er dachte ernsthaft darüber nach. Aber jener blödsinnige Spruch - Im finstern Föhrenwald und so weiter - schwirrte ihm wieder im Kopf herum und hinderte ihn am klaren Denken. Es war ein langer Tag gewesen. Mikes Anruf und die Einladung zum Mittagessen im >Jade of the Orient< - das schien hundert Jahre zurückzuliegen. So viele Geschichten hatte er seitdem gehört, soviel Erschütterungen seines bisher scheinbar geordneten Weltbildes erlebt.
»F-F-Freunde v-verführen einander n-n-nicht«, sagte er und beugte sich auf dem Bett über sie. Ihre Lippen trafen sich, und er begann ihre Bluse aufzuknöpfen. Sie schlang einen Arm um seinen Nacken und zog ihn fester an sich.
Als er in sie eindrang, wölbte sie den Rücken, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen, und murmelte: »Sei mein Freund... ich liebe dich, Bill.«
»Ich liebe dich auch«, sagte er, und dann begannen sie sich rhythmisch zu bewegen, zuerst langsam, dann schneller. Beide schwitzten. Bills Bewußtsein konzentrierte sich immer mehr nur auf ihre Vereinigung. Ihre Poren hatten sich geöffnet und verströmten einen süßen Moschusduft.
Beverly spürte, wie ihre Erregung immer mehr zunahm. Sie zweifelte nicht daran, daß sie einen Orgasmus haben würde. Ihr Körper schien plötzlich emporzuschießen, und sie erreichte eine Plateauphase, die unvergleichlich lustvoller war als alles, was sie mit Tom und ihren beiden Liebhabern vor ihm je erlebt hatte. Sie war sich bewußt, daß der Höhepunkt eine wahre Explosion sein würde. Sie fürchtete sich direkt ein bißchen davor... aber ihr Körper bewegte sich weiter rhythmisch. Sie fühlte, wie Bills Körper sich spannte wie eine Feder, wie sein ganzer Körper ebenso hart wurde wie sein Glied, das sie in sich aufgenommen hatte, und im selben Moment kam es ihr - ungeahnte Schleusen der Lust öffneten sich, einer so grenzenlosen Lust, daß es fast schon qualvoll war, und sie biß ihn in die Schulter, um ihre Schreie zu ersticken.
»O mein Gott«, stöhnte Bill, und obwohl sie sich später nie ganz sicher war, glaubte sie doch, daß er weinte. Er stemmte sich etwas hoch, und sie dachte, daß er sich jetzt aus ihr zurückziehen würde - sie versuchte sich auf diesen Moment einzustellen, der bei ihr immer ein unerklärliches Gefühl der Leere, eines schmerzlichen Verlusts hinterließ - und dann stieß er noch einmal kraftvoll zu. Sie hatte einen zweiten Orgasmus, was ihr noch nie passiert war, und was sie nicht für möglich gehalten hatte, und plötzlich wurde das Fenster der Erinnerung weit aufgestoßen, und sie sah die Vögel
- Tausende von Vögeln, die sich auf jedem Dachfirst, auf jeder Telefonleitung und jedem Briefkasten in Derry niederließen, Frühlingsvögel, die gegen einen weißen Aprilhimmel abstachen, und da war Schmerz, gemischt mit Lust - aber hauptsächlich Schmerz, physischer Schmerz gemischt mit schwacher physischer Lust und einem überwältigenden Gefühl der Bejahung. Sie hatte geblutet... sie hatte...
»Mit euch allen?« rief sie plötzlich und riß die Augen weit auf.
Jetzt zog er sich wirklich zurück, aber in dem plötzlichen Schock ihrer blitzartigen Erkenntnis spürte sie es kaum.
»Was? Beverly? Ist a-a-alles in Ordnung?«