Ben sah, daß sie angebraust kam wie eine Rakete und fing sie ungeschickt auf, als sie ins Klubhaus hinabsprang.
»Mach zu!« keuchte sie. »Um Himmels willen, Ben, mach schnell alles dicht! Sie kommen! Schnell!«
»Wer?«
»Henry und seine Freunde! Henry ist verrückt geworden, er hat ein Messer... «
Mehr brauchte Ben gar nicht zu hören. Er zog die Falltür rasch zu. Sie war außen mit Grasplatten bedeckt, die sie mit einer Klebemasse namens Tan-gle-Track an den Brettern befestigt hatten. Einige Grasstücke hatten sich etwas gelockert, aber die meisten klebten ausgezeichnet. Beverly stellte sich
auf die Zehenspitzen und schloß das schmale Fenster. Sie waren jetzt im Dunkeln.
Sie tastete herum, fand Ben und klammerte sich in panischer Angst an ihn. Nach kurzem Zögern legte auch er seine Arme um sie. Beide knieten auf dem Boden. Dann fiel ihr plötzlich zu ihrem Entsetzen auf, daß irgendwo in der Dunkelheit aus Richies Transistorradio ein Lied von Buddy Holly zu hören war. Sie löste sich von Ben und suchte danach, konnte es aber nicht ertasten.
»Ben..-. das Radio... sie werden es hören...«
»O Gott!«
Er stieß mit seiner dicken Hüfte gegen sie, und sie verlor fast das Gleichgewicht. Sie hörte das Radio auf den Boden fallen. Buddy and the Crickets sangen weiter ihr >That'll Be the Day<, nur etwas gedämpfter. Auch Ben keuchte jetzt. Sie hörten sich an wie zwei Dampfmaschinen. Endlich schaltete Ben das Radio aus.
Nun tastete er in der Dunkelheit nach ihr. Sie spürte, wie seine Hand eine ihrer Brüste berührte und sofort zurückzuckte, so als hätte er sich verbrannt. Sie packte ihn am Hemd und zog ihn an sich.
»Beverly, was...«
»Pssst!«
Er verstummte. Sie saßen aneinandergeschmiegt da, eng umschlungen, und schauten hoch. Es war nicht hundertprozentig dunkel; auf einer Seite der Falltür fiel ein schmaler Lichtstreifen ein, ebenso auf drei Seiten des Fensters. Einer dieser Spalte war ziemlich breit; Bev hoffte inbrünstig, daß sie ihn nicht sehen würden.
Jetzt konnte sie die Jungen schon hören, obwohl sie ihre Unterhaltung noch nicht verstehen konnte... und gleich darauf konnte sie auch das. Sie kamen immer näher. Sie klammerte sich noch fester an Ben.
»Wenn sie in den Bambus gelaufen ist, finden wir ihre Spur dort ganz leicht«, sagte Victor.
»Sie spielen immer hier herum«, entgegnete Henry. Die Wörter kamen abgerissen heraus, so als koste ihn das Reden große Mühe. »Ralph Fratus hat's mir erzählt. Und an dem Tag, als wir die Steinschlacht hatten, müssen sie auch von hier gekommen sein.«
»Ja, sie spielen mit Gewehren und all so was«, sagte Belch.
Plötzlich dröhnten Schritte direkt über Bev und Ben; die grasbedeckte Falltür vibrierte. Erde rieselte auf Bevs Gesicht. Die Burschen standen auf dem Klubhaus. Ihr Magen krampfte sich so schmerzhaft zusammen, daß sie nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken konnte. Ben legte seine große Hand auf ihre Wange und preßte ihr Gesicht gegen seinen Arm, während er hochblickte und abwartete, ob sie es erraten würden... oder ob sie es vielleicht schon wußten und Bev und ihn nur noch zum Narren hielten.
»Sie haben hier irgendwo einen Schlupfwinkel«, sagte Henry. »Das meint jedenfalls Ralph Fratus. So'n blödsinniges Baumhaus oder was Ähnliches. Sie nennen es ihren Klub.«
»Ich werd' ihnen schon 'nen Klub geben, 'nen Klub, der sich gewaschen hat!« rief Victor. Belch wieherte darüber vor Lachen.
Bumm, bumm, bumm über Bens und Beverlys Köpfen. Diesmal bewegte sich die Falltür ein bißchen stärker auf und ab. Bestimmt würden die Jungen es bemerken; normaler Boden gab nicht so stark nach, vibrierte nicht so.
»Schauen wir uns mal am Fluß um«, sagte Henry. »Ich wette, das Miststück ist da unten.«
»Okay«, sagte Victor.
Bumm, bumm. Sie entfernten sich. Bev stieß durch ihre fest zusammengebissenen Zähne einen leisen Seufzer der Erleichterung aus... und dann hörte sie Henry rufen: »Du bleibst hier und bewachst den Pfad, Belch.«
»Okay.« Belch erklärte sich sofort dazu bereit. Und er begann hin und her zu laufen, manchmal ein Stückchen weiter weg, manchmal auch direkt über die Falltür hinweg. Wieder rieselte Erde herunter. Ben und Beverly sahen einander nervös an; ihre Gesichter waren schmutzig, und Bev wurde gewahr, daß der leichte Rauchgeruch im Klubhaus sich mit einem Gestank nach Schweiß, Öl und Abfällen vermischte. Das bin ich, dachte sie und ekelte sich vor sich selbst. Dann fiel ihr wieder ihr Vater ein, und sie umarmte Ben noch fester. Sein massiger Körper kam ihr mit einem Mal sehr angenehm, sehr tröstlich vor, und sie war glücklich, daß an ihm so viel dran war, daß es so viel zu umarmen gab. Vielleicht war er zu Beginn der Sommerferien nichts weiter als ein ängstlicher fetter Junge gewesen, aber jetzt war er viel mehr als das; wie sie alle, so hatte auch er sich sehr verändert. Und falls Belch sie hier unten entdeckte, könnte er durchaus eine unangenehme Überraschung erleben, wenn er es auf einen Kampf mit Ben ankommen ließ.
»Ich werd' ihnen 'nen Klub geben, der sich gewaschen hat«, murmelte Belch und kicherte wie ein bösartiger Troll. »Ich werd' ihnen 'nen Klub geben, der sich gewaschen hat! Das ist gut! Das ist wirklich ein toller Ausspruch!«
Beverly bemerkte, daß Bens Oberkörper bebte. Im ersten Moment dachte sie besorgt, er würde weinen, aber dann warf sie einen Blick auf sein Gesicht und sah, daß er gegen hysterisches Gelächter ankämpfte. Er fing ihren Blick auf, rollte wild mit den Augen und schaute rasch weg. In dem schwachen Licht, das durch die Ritzen einfiel, konnte sie sehen, daß sein Gesicht purpurrot angelaufen war vor Anstrengung, das Lachen zu unterdrücken.
»Ich werd' ihnen 'nen ollen Klub-Blub-Glub geben«, murmelte Belch wieder und setzte sich schwerfällig mitten auf die Falltür. Diesmal zitterte die Decke des Klubhauses ziemlich beunruhigend, und Bev hörte ein leises bedrohliches Knacken. Die Decke, die aus Brettern - und einer Mahagonitür -von der Müllhalde bestand, war eigentlich nur als Unterlage für die zur Tarnung angebrachten Grasplatten gedacht - nicht aber als Sitzgelegenheit für Belchs 160 Pfund.
Wenn er nicht bald aufsteht, landet er noch auf unserem Schoß, dachte Bev und wurde von Bens Hysterie angesteckt. Sie stellte sich bildhaft vor, wie sie das Fenster lautlos einen Spalt weit öffnete, ihre Hand durchschob und Belch Huggins kräftig in den Hintern kniff, während er dort oben saß, Selbstgespräche führte und kicherte. Sie mußte ihr Gesicht fest an Bens Brust pressen, um nicht laut herauszulachen.
»Psssst«, flüsterte Ben. »Um Gottes will, Bev...«
»Wird sie's aushaken?« flüsterte sie zurück.
»Wenn er nicht furzt«, erwiderte Ben, und kurze Zeit später ließ Belch wirklich einen - ein lauter Trompetenstoß über ihren Köpfen. Sie umklammerten einander noch fester, um so ihr hysterisches Kichern zu dämpfen. Beverlys Bauch tat vom Lachen so weh, daß sie glaubte, bald einen Schluckauf zu bekommen.
»Was?« schrie Belch und sprang auf, wodurch ein neuer Erdregen auf Ben und Bev niederging. »Was ist, Henry?«
Henry brüllte etwas, aber Beverly konnte nur die Wörter Ufer und Büsche versehen.
»Okay!« rief Belch und überquerte die Decke des Klubhauses ein letztes Mal. Diesmal knackte es viel lauter, und ein Holzsplitter landete auf Bevs Schoß. Sie schaute hoch und sah einen diagonalen narbenartigen Riß in einem der Stützbalken.
»Höchstens noch fünf Minuten«, flüsterte Ben. »Länger hätte sie auf keinen Fall mehr gehalten. Gott sei Dank, daß wir die Mahagonitür hatten.«