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»Hast du diesen Furz gehört?« fragte Beverly und begann wieder zu kichern.

»Hat sich angehört wie der Dritte Weltkrieg«, sagte Ben und stimmte in ihr Lachen ein.

Es war eine große Erleichterung, die Spannung endlich abreagieren zu können, und sie lachten wild, versuchten allerdings, dabei möglichst leise zu sein.

Schließlich sagte Beverly, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben, völlig impulsiv: »Danke für das Gedicht, Ben.«

Ben hörte abrupt zu lachen auf und betrachtete sie ernst und etwas mißtrauisch. Er zog ein schmutziges Taschentuch aus seiner Gesäßtasche und wischte sich damit langsam das Gesicht ab. »Gedicht?«

»Das Haiku. Das Haiku auf der Postkarte. Du hast es mir doch geschickt, nicht wahr?«

»Nein«, sagte Ben. »Ich habe dir kein Haiku geschickt. Denn wenn ein Junge wie ich - ein Fettkloß wie ich - so etwas täte, würde das Mädchen ihn bestimmt auslachen.«

»Ich habe nicht gelacht«, widersprach sie. »Ben, ich fand es wunderschön.«

»Ich könnte nie etwas Schönes schreiben«, sagte er. »Bill vielleicht. Ich nicht.«

»Bill wird schreiben«, stimmte sie ihm zu. »Aber er wird nie etwas so Hübsches wie dieses Haiku schreiben. Könnte ich mal dein Taschentuch haben?«

Er gab es ihr, und sie säuberte sich das Gesicht, so gut es ging.

»Woher wußtest du, daß ich es war?« fragte er schließlich.

»Ich kann's nicht erklären«, sagte sie. »Aber ich wußte es einfach.«

Ben schluckte und starrte auf seine Hände. »Ich liebe dich«, gestand er. »Aber ich will nicht, daß das alles verdirbt.«

»Das wird es bestimmt nicht«, erwiderte sie leidenschaftlich. »Gerade jetzt brauche ich all die Liebe, die ich nur bekommen kann.«

»Aber du hast Bill besonders gern.«

»Vielleicht«, gab sie zu. »Doch das spielt keine Rolle. Wenn wir erwachsen wären, würde es vielleicht eine Rolle spielen, zumindest ein bißchen. Aber so - ich mag euch alle besonders gern. Ihr seid die einzigen Freunde, die ich habe. Ich liebe dich auch, Ben.«

»Danke« flüsterte er, kämpfte mit sich und brachte es schließlich heraus, wobei es ihm sogar gelang, ihr in die Augen zu sehen. »Ich habe das Gedicht geschrieben.«

Sie legte den Arm um seine Taille - sie mußte sich dazu sehr anstrengen, aber sie schaffte es; und Ben legte ihr unbeholfen seinen dicken Arm um die Schultern. Sie fühlte sich sicher. Beschützt. Geborgen. Die Bilder, die sie verfolgten - das verzerrte Gesicht ihres Vaters und Henrys funkelndes Messer -, verblaßten ein wenig und verloren etwas von ihrem Schrecken, während sie seine Nähe spürte. Jenes Gefühl der Geborgenheit war schwer zu erklären, und sie versuchte es auch gar nicht; erst viel später begriff sie, wo-

her es kam: Sie war in den Armen eines Menschen, der für sie sterben würde, ohne zu überlegen oder zu zögern. Das wußte sie einfach.

»Die anderen wollten auch wieder herkommen«, sagte Ben plötzlich. »Was ist, wenn sie Henry und seinen Kumpanen über den Weg laufen?«

Sie fuhr erschrocken auf und stellte fest, daß sie fast eingedöst war. Ihr fiel ein, daß Bill Mike Hanion zum Mittagessen eingeladen hatte. Richie hatte bei Stan essen wollen. Und Eddie hatte versprochen, am Nachmittag sein Parcheesi-Brett mitzubringen. Sie würden bald kommen, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, daß Henry und seine Freunde die Barrens unsicher machten.

»Wir müssen sie warnen«, sagte sie.

»Wenn wir jetzt rausgehen und die Kerle gerade zurückkommen...«, begann Ben.

»Ja, aber wir wissen zumindest, daß sie hier sind«, fiel Bev ihm ins Wort. »Die anderen nicht. Und Eddie kann nicht gut rennen; sie haben ihm ja schon den Arm gebrochen.«

»Verflixt«, sagte Ben besorgt. »Wir sitzen ganz schön in der Tinte. Aber du hast recht - wir müssen's versuchen. Wir können sie nicht einfach ahnungslos ins Verderben rennen lassen.«

»Nein. Das geht nicht.« Sie schluckte und warf einen Blick auf ihre Timex. Sie konnte das Zifferblatt nicht gut erkennen, glaubte aber, daß es auf der Uhr kurz nach eins war. »Ben!«

»Was?«

»Henry ist verrückt geworden. Er wollte mich mit seinem Messer töten. Es ist ein großes Schnappmesser, wie das in >The Blackboard Jungle<. Er wollte

mich damit umbringen. Und Vic und Belch hätten ihm dabei geholfen.«

»Ach nein«, sagte Ben. »Henry ist zwar verrückt, aber so verrückt auch wieder nicht. Er ist nur...«

»Nur was?« fragte Beverly. Sie dachte an Henry und Patrick Hockstetter auf dem Autofriedhof in der grellen Sonne. An Henrys völlig ausdruckslose Augen.

Ben gab keine Antwort. Er dachte nach. Die Dinge hatten sich verändert ... Wenn man selbst von diesen Veränderungen betroffen war, konnte man sie nur schwer erkennen. Man mußte ein paar Schritte zurücktreten, sich etwas von den Dingen distanzieren, um die Veränderungen besser erkennen zu können... man mußte das zumindest versuchen. Bei Ferienbeginn hatte er Angst vor Henry gehabt, aber nur, weil Henry größer war, und dazu ein übler Raufbold. Er gehörte zu jener Kategorie von Jungen, denen es Spaß machte, einen Erstkläßler zu packen, ihm den Arm zu verdrehen und ihn weinen zu sehen. Das war aber auch schon alles. Dann war da die Steinschlacht gewesen, und Henry hatte mit seinen M-8o auf ihre Köpfe gezielt. Auf diese Weise konnte man leicht jemanden umbringen. Er hatte sich auch äußerlich verändert - sein Gesicht hatte einen fast besessenen Ausdruck angenommen. Man mußte ständig auf der Hut vor ihm sein, so wie man im Dschungel ständig auf der Hut vor Tigern und Giftschlangen sein mußte. Aber auch daran gewöhnte man sich; man gewöhnte sich so sehr daran, daß es einem zuletzt ganz normal vorkam. Aber Henry war verrückt, oder etwa nicht? Doch. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke - nein, es war mehr als ein Gedanke, es war fast schon eine Gewißheit, und sie ließ ihn schaudern, so schrecklich war sie. Es benutzt Henry. Vielleicht benutzt Es auch die anderen, aber die benutzt Es durch Henry. Und wenn das stimmt, dann hat Bev vermutlich recht. Dann geht es nicht nur um solche Dinge wie Kopfnüsse gegen Ende eines Schultages, wenn alle mit ihren Schulaufgaben beschäftigt sind und Mrs. Douglas vorne am Pult liest; dann geht es nicht nur um Stöße auf dem Spielplatz, so daß man hinfällt und sich die Knie aufschürft. Wenn Es Henry benutzt, dann wird er auch von seinem Messer Gebrauch machen. Dann ist er wirklich imstande, jemanden umzubringen...

(nein, nicht er... Es)

»Eine alte Dame hat gesehen, daß sie mich festhielten und mir weh taten«, berichtete Beverly. »Henry griff auch sie an. Er hat die Rückleuchte an ihrem Auto zerschlagen.«

Das beunruhigte Ben mehr als alles andere. Wie die meisten Kinder, so begriff auch er instinktiv, daß sie unterhalb des Gesichtskreises der meisten Erwachsenen lebten. Wenn ein Erwachsener die Straße entlangging, war er so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt - Gedanken an seine Arbeit, an Verabredungen und Geldsorgen, an Autokäufe und Baseball wetten und woran Erwachsene auch immer denken mochten -, daß er spielende Kinder kaum bemerkte. Raufbolde wie Henry konnten anderen Kindern ungestraft eine Menge zuleide tun, wenn sie nur darauf achteten, außerhalb des Gesichtskreises der Erwachsenen zu bleiben. Ein vorbeigehender Erwachsener raffte sich normalerweise höchstens zu einer Bemerkung wie »Warum läßt du das nicht sein?« auf und ging dann seines Weges. Und der Raufbold brauchte nur abzuwarten, bis der Erwachsene um die Ecke gebogen oder in sein Auto gestiegen und weggefahren war... dann konnte er ungestört weitermachen. Es war so, als wären Kinder für Erwachsene nicht wirklich vorhanden, als glaubten sie, daß das wirkliche Leben erst begann, wenn man fünf Fuß groß war.