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»Geht es Ihnen gut, Sir?« fragte der Mann gegenüber.

»Ja«, sagte Eddie. »Ich hatte einen Alptraum, und das hat einen Asthmaanfall ausgelöst.«

»Oh. Das tut mir leid.« Er vertiefte sich wieder in seine Zeitung.

Eddie blickte aus dem großen Fenster in die Dunkelheit hinaus. Hier und da war ein Haus, und die warmen gelben Lichter jedes Hauses schienen ihn zu verhöhnen: Irrlichter im Dunkeln.

Endlich erinnere ich mich an meine Kindheit, dachte er dumpf. Und er spürte, daß er sich jetzt an alles würde erinnern können, woran er nur wollte; daß er jetzt jede beliebige Szene würde vor Augen führen können.

Aber er wollte nicht. O Gott, dachte er, wenn ich doch nur wieder alles vergessen könnte.

Er blickte aus dem Fenster, den Aspirator mit einer Hand umklammernd wie einen religiösen Talisman, und beobachtete, wie die Nacht den Zug umfing. Er fuhr nach Norden...

Nicht nach Norden, dachte er. Es ist kein Zug; es ist eine Zeitmaschine. Die Zeit dreht sich zurück.

Eddie Kaspbrak umklammerte seinen Aspirator und schloß die Augen, denn ihm schwindelte.

5. Beverly Huggins bekommt eine Tracht Prügel

Tom war schon fast eingeschlafen, als das Telefon läutete. Er richtete sich etwas auf und fühlte dann Beverlys Brust auf seiner Schulter, als sie über ihn hinweg nach dem Hörer griff. Er ließ den Kopf wieder aufs Kissen sinken und überlegte vage, wer wohl an ihre private Nummer herangekommen war, die nicht im Telefonbuch stand. Er hörte Beverly »Hallo« sagen, dann schlummerte er wieder ein. Während der Übertragung des Baseballspiels hatte er drei Sechserpackungen Bier getrunken, und er war ziemlich erledigt.

Er schlummerte ein, aber dann sagte Beverly plötzlich so scharf »Was?«, daß er die Augen wieder öffnete. Er versuchte sich aufzusetzen, und die Telefonschnur schnitt in seinen dicken Hals ein.

»Schaff mir dieses verdammte Ding vom Hals, Beverly«, knurrte er, und sie stand rasch auf und ging um das Bett herum, die Schnur hochhaltend. Ihre Haare waren tiefrot und fluteten über ihr weißes Nachthemd fast bis /ur Taille hinab. Ihre Augen flatterten nicht unruhig zu seinem Gesicht, um seine Stimmung daran abzulesen, und das gefiel Tom Huggins nicht. Er richtete sich auf. Sein Kopf schmerzte.

Er ging ins Bad, urinierte endlos und beschloß dann, daß er sich eigentlich noch ein Bier holen könnte, nachdem er ohnehin schon aufgestanden war.

Auf dem Weg zur Treppe rief er - ein Mann in weißen Boxershorts, die wie Segel unter seinem Bierbauch hingen, mit Armen wie dicke Würste (er glich mehr einem Hafenarbeiter als einem Public-Relations-Geschäftsfüh-rer, der seine Chicagoer Firma verlassen hatte, um das Geschäft seiner Frau, Beverly Fashions, zu managen - nein, verdammt, ihr gemeinsames Geschäft) - ihr zu: »Wenn es diese Bulldogge von Leslie ist, dann sag ihr, daß sie sich irgendein Mannequin aufgabeln und uns in Ruhe lassen soll.«

Beverly blickte kurz hoch, schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß es nicht Leslie war, und starrte dann wieder aufs Telefon. »Wie kannst du sicher sein?« fragte sie in den Hörer hinein. Entlassen! Milady hatte ihn entlassen! Auch das mißfiel ihm. Vielleicht brauchte sie einen Auffrischungskurs in >Wer-ist-hier-Herr-im-Haus<. Wieder einmal. Sie lernte sehr langsam.

Er ging nach unten, öffnete den Kühlschrank und stellte erstaunt und wütend fest, daß kein Bier mehr da war. Keine einzige Dose. Seine Blicke schweiften zu den Flaschen auf dem Regal über der Bar - Gin, Wodka, Whisky und Scotch -, und dann ging er wieder auf die Treppe zu, denn er wußte genau, daß er morgens noch schlimmeres Kopfweh haben würde, wenn er jetzt etwas von dem Zeug trank. Er warf einen Blick auf die alte

Pendeluhr im Flur und sah, daß es nach ein Uhr war. Das trug nicht gerade zur Hebung seiner Laune bei, die ohnehin nicht besonders gut gewesen war.

Er stieg langsam die Treppe hinauf und spürte, wie schwerfällig sein Herz arbeitete. Poch, poch, poch. Es machte ihn ganz nervös, daß er es nicht nur in der Brust, sondern auch in den Ohren und in den Handgelenken pochen hörte. Und diese verdammte Nutte telefonierte immer noch.

»Nun, ich verstehe das, Mike, aber... ja, ich weiß... ja, ich...«

Ein längeres Schweigen.

»Bill Denbrough?«

Tom stand oben an der Treppe und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Poch, poch, poch, und wenn man nicht aufpaßte, war es eines Tages poch, poch, poch, fang, die Trauergäste werden gebeten, von Blumenspenden Abstand zu nehmen. Wie bei Buck Davis, der erst 42 gewesen war.

Tom Huggins stand da, hörte seine Frau etwas sagen und spürte den vertrauten alten dumpfen Zorn in sich aufsteigen. Als er sie vor vier Jahren in einer Bar für Singles kennengelernt hatte, war sie Modezeichnerin bei >De-lia Fashions< gewesen. Sie waren leicht ins Gespräch gekommen, denn das >Delia<, das hauptsächlich die führenden Geschäfte in der Chicagoer Gegend mit modischer Kleidung für junge Leute belieferte, hatte seine Geschäftsräume im Brands Building, wo auch die PR-Firma untergebracht war, in der Tom arbeitete.

Er hatte sich mit der instinktiven gnadenlosen Sicherheit eines Raubtiers vorgetastet, das Schwäche spürt. Nicht daß an der Oberfläche etwas davon zu sehen gewesen wäre; Beverly Marsh war ein Prachtweib, schlank, aber mit üppigen Brüsten - so viele schlanke Mädchen hatten Brüste wie die Knöpfe zum Öffnen einer Schreibtischschublade. Sie trugen dünne Blusen, und ihre Brustwarzen machten einen ganz verrückt, aber wenn man ihnen diese Blusen dann auszog, stellte man fest, daß außer den Brustwarzen nichts da war.

Beverly war wirklich ein Prachtweib gewesen - schlank, mit tollen Kurven und langem rotem Haar, das einer Flamme glich. Aber sie war schwach... irgendwie war sie schwach. Er hätte nicht sagen können, woher er das wußte, aber er wußte es von Anfang an. Es gab gewisse Anhaltspunkte - die Tatsache, daß sie zuviel rauchte (davon hatte er sie inzwischen fast kuriert), ihr unruhig schweifender Blick, ihre nervösen Hände, die rastlos mit dem Weinglas spielten. Ihre Fingernägeclass="underline" ganz kurz geschnitten -vermutlich, weil sie sie abbiß.

Löwen denken nicht, zumindest nicht auf die Art und Weise, wie Menschen das tun; aber sie haben scharfe Augen. Und wenn die Antilopen sich von der Wasserstelle entfernen, aufgeschreckt durch den Geruch des nahenden Todes, können die Großkatzen sehen, welche Antilope hinter den anderen etwas zurückbleibt, vielleicht weil sie lahmt, vielleicht weil sie von Natur aus langsamer ist... oder weil ihr Instinkt für Gefahren nicht so stark ausgeprägt ist. Möglicherweise wollen manche Antilopen - und manche Frauen - aber insgeheim auch erlegt werden.