Выбрать главу

»Danke«, sagte er.

Belch drehte ihm den Kopf zu - Henry konnte dabei die Sehnen in Belchs Nacken quietschen hören wie rostige Türangeln. Belch betrachtete ihn einen Moment lang mit seinem einen starren Totenauge, und Henry sah erst jetzt, daß der größte Teil seiner Nase fehlte, so als hätte sie ihm jemand abgenagt. Vielleicht ein Hund. Oder Ratten. Ratten waren eigentlich wahrscheinlicher. In den Kanälen, in die sie die kleineren Kinder an jenem Tag gejagt hatten, hatte es von Ratten nur so gewimmelt.

Langsam drehte Belch seinen Kopf wieder nach vorne, worüber Henry sehr froh war. Belchs starrer Blick war schwer zu ertragen gewesen, auch wenn er den Ausdruck in dem einzigen tief in die Höhle eingesunkenen Auge nicht so recht zu deuten vermochte. Vorwurf? Zorn? Oder was sonst?

Hinter dem Steuer dieses Wagens sitzt ein toter Junge.

Henry stellte fest, daß er eine Gänsehaut auf den Armen hatte. Rasch trank er noch einen Schluck aus der Flasche. Eine angenehme Wärme breitete sich in seinem Körper aus.

Der Hudson rollte den Up-Mile Hill hinab und über die große Kreuzung mit Kreisverkehr - nur herrschte um diese Nachtzeit kein Verkehr; alle Ampeln blinkten gelb. Es war so still, daß Henry die Relais im Inneren der Ampeln klicken hören konnte... oder bildete er sich das nur ein?

»Ich hatte nicht vor, dich an jenem Tag im Stich zu lassen, Belch«, sagte

er.

Wieder das Quietschen ausgetrockneter Sehnen. Wieder starrte Belch ihn mit seinem einzigen Auge an. Und seine Lippen verzogen sich zu einem schrecklichen Grinsen, das grauschwarzes Zahnfleisch entblößte, auf dem sich ganze Schimmelkulturen angesiedelt hatte. Was für eine Art von Grinsen ist das? fragte sich Henry, während das Auto die Main Street hinabfuhr. Ist

es ein verzeihendes Grinsen? Das Grinsen eines alten Freundes? Oder ist es ein Grinsen, das besagen wilclass="underline" >Dir werde ich's schon noch geben, Henry. Ich werde mich dafür rächen, daß du mich und Vic im Stich gelassen hast<? Was für eine Art von Grinsen ist es?

»Du mußt verstehen, wie es gewesen ist«, sagte Henry und verstummte gleich wieder. Wie war es denn gewesen? Ihm schwirrte der Kopf, und die Ereignisse gerieten durcheinander wie die Einzelteile eines Puzzles, das gerade auf einen der beschissenen Kartentische im Freizeitraum von Junction Hill ausgeschüttet worden war. Wie war das alles noch gewesen? Sie waren dem Fettkloß und dem Luder fast bis zur Kansas Street gefolgt und hatten dann in den Büschen abgewartet, während die beiden die Böschung zur Straße hochgeklettert waren. Wenn sie außer Sichtweite verschwunden wäre, hätten er, Vic und Belch das Versteckspiel aufgegeben und wären den beiden einfach nachgerannt; zwei wären immerhin besser als nichts gewesen, und den Rest hätten sie sich dann eben später geschnappt.

Aber die beiden Arschlöcher waren nicht verschwunden. Sie hatten sich ans Geländer gelehnt, sich unterhalten und die Straße beobachtet. Ab und zu hatten sie einen Blick nach unten in die Barrens geworfen, doch Henry hatte dafür gesorgt, daß seine Männer und er nicht zu sehen waren.

Der Himmel hatte sich von Osten her allmählich zugezogen; Regen hatte in der Luft gelegen.

Was war dann als nächstes passiert? Was...

Eine knochige lederige Hand packte ihn am Unterarm, und Henry schrie auf. Er war nahe dran gewesen, wieder in jene wolkenweiche Grauzone zu gleiten, aber Belchs schrecklicher Griff und der vom Schreien bohrende Schmerz in seinem Bauch brachten ihn wieder zu sich. Er drehte sich um, und Belchs Gesicht war nicht einmal zwei Zoll von seinem eigenen entfernt; er zog keuchend die Luft ein und wünschte gleich darauf, er hätte es nicht getan. Ein Geruch von Moder und Verwesung ging von Belch aus; es erinnerte ihn wieder an verfaulte Tomaten in irgendeiner dunklen Scheunenecke, und sein Magen rebellierte.

Nein, dachte er unzusammenhängend, nein, ich darf nicht kotzen, nein, huuuh, darf nicht kotzen, wenn ich das tu, verliere ich noch mehr Blut von da, wo der Nigger mich gestochen hat.

Und das brachte ihn erneut in Rage - wieder fühlte er die alte ohnmächtige Wut in sich aufsteigen. Nur war er jetzt nicht mehr ohnmächtig; jetzt hatte er ja sein Messer wieder, und ein Fingerdruck genügte, um eine lange, harte, scharfe Klinge herausspringen zu lassen und an die Arbeit zu gehen. Es hatte ihn aus dem Irrenhaus rausgebracht, Es hatte ihn nach Derry zurückgebracht, und jetzt würde er seinen Auftrag beenden.

Belch deutete auf etwas.

Henry sah, daß sie vor dem Derry Town House angekommen waren, und plötzlich wurde ihm alles klar. Das Town House war das einzige bessere Hotel, das es in Derry noch gab. Früher, im Jahre 1958, hatte es noch den >Eastern Star< am Ende der Exchange Street und das >Clarendon Inn< auf der Torrault Street gegeben. Beide waren im Rahmen der Stadtsanierung abgerissen worden (Henry wußte über all diese Dinge genauestens Bescheid; er hatte in Junction Hill tagtäglich gewissenhaft die >Derry News< gelesen). Jetzt war nur noch das Town House übrig, und die zahlreichen neuen Motels, die seit 1958 gebaut worden waren.

Hier werden sie abgestiegen sein, dachteer. Alle, dieübrigsind. Sie werden jetzt in ihren Betten liegen und süße Träume haben - oder vielleicht auch Alpträume von Abflußkanälen. Und ich werde sie erledigen, einen nach dem anderen werde ich sie umlegen.

Er holte die Flasche wieder heraus und trank noch einen ordentlichen Schluck Whisky. Er fühlte frisches Blut auf seinem Schoß, und der Sitz unter und neben ihm war feucht und klebrig, aber der Whisky half dagegen; der Whisky sorgte dafür, daß es nichts auszumachen schien.

»Hör mal«, sagte er zu Belch. »Es tut mir leid, daß ich weggerannt bin. Ich weiß auch nicht, warum ich weggerannt bin. Bitte... sei mir nicht böse.«

Belch sprach zum ersten und einzigen Mal, aber nicht mit seiner Stimme. Die Stimme, die aus Belchs verwestem Mund drang, war tief und geschlechtslos, kraftvoll, furchterregend. Henry wimmerte bei ihrem Klang auf. Es war die stimme vom Mond, der clown, die schreckliche stimme, die er in seinen Träumen von dunklen Abflußkanälen voll rauschenden Wassers gehört hatte.

»Bring sie um, dann ist alles in Ordnung«, sagte die STIMME.

»Na klar«, winselte Henry. »Na klar, okay, das werd' ich tun, das will ich ja, kein Problem...«

Er legte die Whiskyflasche zurück. Der Flaschenhals schlug klirrend gegen die Kante des Handschuhfachs. Und dort, wo die Flasche gewesen war, befand sich jetzt ein zusammengelegtes Blatt Papier. Er holte es heraus und faltete es auseinander, wobei er an den Ecken blutige Fingerabdrücke hinterließ. Es trug in Scharlachrot folgende Überschrift in erhabener Prägung:

EINE GEDÄCHTNSSTÜTZEVON PENNYWISE!

Und darunter war mit Großbuchstaben gedruckt:

BILL DENBROUGH    311

BEN HANSCOM    404

EDDIE KASPBRAK    609

BEVERLY MARSH    518

RICHIE TOZIER    217

Ihre Zimmernummern. Das war gut. Das sparte viel Zeit. »Danke, Be...« Aber Belch war verschwunden. Der Fahrersitz war leer. Nur die Baseballmütze mit dem schimmeligen Schirm lag noch da. Und auf dem Knopfjdes Schalthebels klebte irgendeine schleimige Masse.

Henry starrte mit wild pochendem Herzen darauf... und dann glaubte er zu hören, daß sich auf dem Rücksitz etwas bewegte. Er riß die Tür auf und stieg so hastig aus, daß er fast aufs Pflaster gestürzt wäre. Dann entfernte er sich rasch von dem alten Hudson, dessen Motor immer noch lief.