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Ohne zu überlegen - dazu blieb jetzt keine Zeit; wenn er erst nachgedacht hätte, wäre er ermordet worden -, schlug Eddie die Tür zu. Sie prallte gegen Henrys Unterarm und lenkte dadurch das Messer in eine andere Richtung, so daß es knapp an Eddies nacktem Hals vorbeisauste.

Henrys Arm war zwischen Tür und Türpfosten eingeklemmt. Ein leises Knirschen war zu hören, und Henry stieß einen erstickten Schmerzensschrei aus. Seine Hand öffnete sich, und das Messer fiel klirrend zu Boden. Mit einem Fußtritt beförderte Eddie es unter den Fernseher.

Mit einem leisen Fluch warf sich Henry gegen die Tür. Er war etwa 100 Pfund schwerer als Eddie, und Eddie wurde zurückgeschoben wie eine Puppe. Seine Kniekehlen stießen an die Bettkante, und er fiel auf das Bett. Henry stolperte ins Zimmer, warf hinter sich die Tür zu und schloß ab, während Eddie sich aufsetzte und spürte, wie seine Kehle eng wurde, wie sein Atem zu pfeifen und rasseln begann.

»Okay, du kleiner Schwuler«, sagte Henry. Er ließ seine Blicke über den Boden schweifen, sah aber zu Eddies großem Glück sein Messer nicht. Eddie tastete auf dem Nachttisch herum und griff nach einer der beiden Flaschen Perrier-Wasser, die er sich nachmittags hatte bringen lassen.

Als Henry die Suche nach seinem Messer aufgab und auf ihn zukam, packte Eddie die Flasche am Hals und zerschlug sie an der Nachttischkante. Das Wasser sprudelte schäumend über die Platte und warf einen Großteil der dort stehenden Pillenfläschchen um.

Henrys Hemd und Hose waren blutdurchdränkt; er schwankte auf Eddie zu. Seine rechte Hand hing in sonderbarem, unnatürlichem Winkel herab.

»Baby-Homo!« rief Henry. »Dich werd' ich lehren, Steine zu werfen!«

Er erreichte das Bett und wollte sich auf Eddie stürzen, der immer noch nicht so recht wußte, was eigentlich passiert war. Es war höchstens 40 Sekunden her, daß er die Tür geöffnet hatte. Henry packte ihn, und Eddie stieß ihm die zerbrochene Flasche mit dem ausgezackten unteren Rand ins Gesicht. Sie riß ihm die rechte Wange tief auf und durchstach sein rechtes Auge.

Henry stieß einen hohen, atemlosen Schrei aus und taumelte rückwärts.

Das aufgeschlitzte Auge hing lose aus der Höhle heraus; eine weißlichgelbe Flüssigkeit sickerte aus ihm hervor. Aus seiner Wange schoß eine Blutfontäne. Eddie schrie noch lauter auf als Henry. Er sprang vom Bett auf und ging auf Henry zu - vielleicht, um ihm zu helfen, er war sich nicht ganz sicher -, und Henry stürzte sich wieder auf ihn. Eddie stieß mit der Perrier-Flasche zu wie mit einem Degen, und diesmal drangen die Zacken des grünen Glases tief in Henrys linke Hand ein, und wieder floß Blut - diesmal aus seinen zerschnittenen Fingern. Henry ließ eine Art Grunzen hören und versetzte Eddie mit der rechten Hand einen Schlag.

Eddie flog rückwärts und prallte gegen den Schreibtisch. Er rutschte zu Boden und fiel auf seinen rechten Arm. Ein rasender Schmerz durchfuhr ihn - ein schrecklicher, nur allzu bekannter Schmerz. Er spürte, wie der Knochen an der alten Bruchstelle splitterte, und er mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien.

Ein Schatten verdeckte die Lampe.

Henry Bowers stand schwankend über ihm, riesig wie ein menschlicher Berg. Seine Knie zitterten, und von seiner linken Hand tropfte Blut auf Eddies Morgenrock.

Eddie hatte immer noch die abgebrochene Perrier-Flasche in der Hand, und während Henrys Knie völlig nachgaben, gelang es ihm, die Flasche so auf seiner Brust abzustützen, daß der ausgezackte Rand nach oben wies. Henry stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden und spießte sich auf der Flasche auf. Eddie spürte, wie sie in seiner Hand zersplitterte, und eine neue heftige Schmerzeswelle strahlte von seinem Arm aus, der immer noch unter ihm eingeklemmt war. Etwas Warmes sickerte durch seinen Pyjama, und er war nicht sicher, ob es Henrys Blut oder sein eigenes war.

Henry zuckte wie eine Forelle auf dem Trockenen. Mit seinen Schuhen hämmerte er auf dem Teppich. Eddie roch seinen fauligen Atem. Dann versteifte sich sein Körper und rollte auf den Rücken. Die Flasche ragte grotesk aus seinem Bauch heraus.

»Grrr«, fauchte Henry, dann verstummte er und lag regungslos da, den starren Blick zur Decke gewandt. Eddie glaubte, er wäre tot.

Er kämpfte mit aller Kraft gegen die Schwäche an, die ihn befallen hatte. Zitternd kam er auf die Knie, schließlich auf die Beine. Der Schmerz in seinem gebrochenen Arm war beim Aufstehen so heftig, daß er dadurch einen etwas klareren Kopf bekam. Mühsam nach Luft japsend, erreichte er den Nachttisch, hob seinen Aspirator aus der Wasserpfütze auf und schob ihn in den Mund. Er inhalierte mehrmals tief. Dann drehte er sich um und betrachtete die Leiche auf dem Teppich. Konnte das Henry sein? War das möglich? Ja. Er war alt geworden, hatte mehr graue als schwarze Haare, sein Körper war fett und aufgedunsen, seine Haut ungesund weiß - aber es war unverkennbar Henry. Und Henry war tot - endlich war Henry...

»Grrr«, machte Henry und setzte sich auf. Seine Hände fuchtelten in der Luft herum, so als wollte er sich an nur für ihn sichtbaren Griffen festhalten. Sein ausgestochenes Auge hing ihm auf die Wange herab und

tropfte immer noch. Er sah sich um, entdeckte Eddie, der an die Wand zurückwich, und versuchte aufzustehen.

Er öffnete den Mund, und eine gräßliche Blutfontäne schoß hervor. Henry brach wieder auf dem Boden zusammen.

Mit wildem Herzklopfen wollte Eddie den Telefonhörer abnehmen, aber er stieß mit der Hand dagegen, und der Hörer flog aufs Bett. Er hob ihn auf und wählte die Null. Das Telefon klingelte und klingelte.

Los doch, dachte Eddie, was treibst du Blödhammel dort unten denn - pennst du? Los, bitte, geh doch endlich ans Telefon!

»Empfang«, meldete sich schließlich eine verschlafene, vorwurfsvolle Stimme.

»Verbinden Sie mich mit Mr. Denbroughs Zimmer«, sagte Eddie. »So schnell Sie können.« Mit dem anderen Ohr lauschte er jetzt auf eventuelle Geräusche aus den Nebenzimmern. Hatten Henry und er viel Lärm gemacht? Würde gleich jemand an die Tür klopfen und sich erkundigen, ob alles in Ordnung wäre?

»Sind Sie ganz sicher, daß ich Sie verbinden soll?« fragte der Hotelangestellte. »Es ist zehn nach drei.«

»Nun machen Sie schon!« rief Eddie. Seine Hand, die den Hörer umklammerte, zitterte krampfhaft. Im anderen Arm rumorte der Schmerz. Hatte Henry sich wieder bewegt? Nein, ganz bestimmt nicht.

»Okay, okay«, sagte der Angestellte. »Immer mit der Ruhe, mein Freund.«

Es klickte in der Leitung, und dann war das heisere Surren eines Zimmertelefons zu hören. Los, Bill, los, lo...

Eine furchtbare, sehr plausible Idee schoß ihm plötzlich durch den Kopf. Angenommen, Henry hatte zuerst Bills Zimmer einen Besuch abgestattet? Oder Richies? Oder Bens? Oder Bevs? Oder war er vielleicht in der Bücherei gewesen? Irgendwo mußte er vorher schon gewesen sein; er hatte ja heftig geblutet; und wenn nicht jemand ihn schon vorher verletzt hätte, so würde er - Eddie - jetzt bestimmt tot auf dem Boden liegen, und das Messer würde aus seiner Brust ragen, so wie die Perrier-Flasche nun aus Henrys Eingewei-den ragte. Oder angenommen, Henry war vorher schon bei allen gewesen, hatte sie aus dem Schlaf gerissen und überrumpelt wie ihn selbst? Angenommen, sie waren alle tot?

Und dieser Gedanke war so fürchterlich, daß Eddie glaubte, er würde einen Schreikrampf bekommen, wenn Bill den Telefonhörer nicht bald abnahm.