Die Uferböschung tauchte so plötzlich vor ihm auf, daß er nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte und - obwohl er wild mit den Armen ruderte, um das Gleichgewicht zurückzuerlangen - den steilen Abhang zum schnell dahinströmenden Wasser auf dem Hosenboden hinabschlitterte, wobei sein Hemd hochrutschte und nasser Lehm an seinem Rücken kleben blieb.
Bill rannte fast in ihn hinein und zog ihn dann hoch.
Nacheinander kamen nun auch die anderen aus dem Gebüsch am Rand der Uferböschung gestürzt und kletterten den Abhang hinunter: Bev, Stan, Mike, Richie und zuletzt Eddie. Richie schlang ungeschickt einen Arm um Eddies Taille, um ihm hinabzuhelfen; seine nasse Brille hing nur noch an seiner Nasenspitze.
»W-W-Wo?« schrie Bill Ben zu.
Ben schaute nervös nach links und nach rechts, sich nur allzu deutlich der Tatsache bewußt, daß die Zeit furchtbar knapp war. Der Fluß schien bereits gestiegen zu sein, und der wolkenverhangene Regenhimmel hatte ihm eine bedrohliche, schiefergraue Farbe verliehen. Seine Ufer waren mit Büschen und verkümmerten Bäumen überwuchert, die jetzt zu den Melodien des Windes einen wilden Tanz aufführten.
»W-W-Wo?«
»Ich weiß ni...«, setzte er an, und dann sah er die durch Erosion entstandene Höhle, in der er sich damals versteckt hatte, und die ihm so behaglich erschienen war. Er war eingeschlafen, und etwas später, nachdem er wieder aufgewacht war, hatte er dann Bills und Eddies Bekanntschaft gemacht.
Glaubt mir, Jungs, es war ein richtiger Kleinkinderdamm.
»Dort!« rief er. »Da lang!«
Ein Blitz zerriß den Himmel, und diesmal konnte Ben ihn hören - ein Summen und Brummen wie von einem überbeanspruchten Eisenbahntransformator. Der Blitz schlug in den Baum ein, und blauweißes elektrisches Feuer schoß zischend durch seinen Stamm; Holzsplitter flogen umher, die sich gut als Zahnstocher für einen Märchenriesen geeignet hätten. Der Baum stürzte mit ohrenbetäubendem Krachen in den Fluß; Wasserfontänen spritzten hoch.
Ben nahm einen heißen, wilden, unangenehmen Geruch wahr und hielt vor Schrecken die Luft an. Ein Feuerball rollte am Stamm des ertrunkenen Baumes entlang, flammte noch einmal grell auf und erlosch. Donner explodierte, nicht über ihnen, sondern um sie herum, so als stünden sie genau im Zentrum des Donnerschlags. Der Regen prasselte auf sie hernieder.
Bill stieß ihn in den Rücken und riß ihn aus seiner Erstarrung. »L-L-L-Los!«
Ben stolperte am Ufer entlang; er war jetzt so durchnäßt, daß er nicht mehr unterscheiden konnte, ob er noch an Land war oder durchs Wasser platschte. Er erreichte den umgestürzten Baum - die kleine, durch Erosion entstandene Höhle war vernichtet worden - und kletterte darüber hinweg, grub seine Zehen in die nasse Rinde, schürfte sich an den Ästen die Hände und Unterarme auf.
Bill und Richie hoben Eddie hinauf; er rutschte auf dem Baumstamm aus, und als Ben ihn auffangen wollte, fielen sie beide hin. Eddie stöhnte.
»Alles in Ordnung?« schrie ben.
»Ich glaub' schon«, schrie Eddie zurück und stand auf.
Richie kletterte über den Baumstamm hinweg, dann Stan und Mike. Bill schob Beverly hoch, und Ben und Richie fingen sie auf der anderen Seite auf. Ihre Haare klebten am Kopf, und unter der durchnäßten Bluse zeichneten sich ihre kleinen Brüste ab.
Bill erklomm als letzter den Baumstamm und sah Henry und die beiden anderen Jungen kommen. Während er sich auf der unteren Seite vom Stamm herabließ, schrie er: »Sch-Sch-Steine! Werft Steine!«
Hier am Ufer lag genügend Munition herum, und der vom Blitz getroffene, umgestürzte Baum bildete eine ausgezeichnete Barrikade. Sie warfen Steine auf Henry, Victor und Belch, die den Baum fast schon erreicht hatten. Die drei Burschen brüllten vor Schmerz und Wut, als Steine ihre Gesichter, ihre Brustkörbe, ihre Arme und Beine trafen und sie zurückweichen mußten.
»Ihr wolltet uns doch lehren, Steine zu werfen!« schrie Richie triumphierend und schleuderte einen hühnereigroßen Stein nach Victor. Er traf ihn mit voller Wucht an der Schulter, und Victor schrie auf. »Los, bringt es uns ruhig bei! Wir lernen sehr schnell!«
»Jaaa, jaaa!« brüllte Mike. »Wie gefällt euch das? Wie gefällt euch das?«
Die drei zogen sich aus der Gefahrenzone zurück, steckten die Köpfe zusammen und berieten sich. Gleich darauf kletterten sie die Uferböschung hinauf, wobei sie sich an Ästen festhielten, um auf dem glitschigen, nassen Lehm, durch den schon kleine Regenbäche flössen, nicht auszurutschen und hinzufallen.
Sie verschwanden im Gebüsch.
»Sie wollen uns austricksen, von hinten an uns rankommen, Big Bill«, sagte Richie, während er seine Brille hochschob.
»Das m-macht n-n-nichts«, erwiderte Bill. »Los, w-w-weiter, Ben. Wir f-folgen dir.«
Ben trottete am Ufer entlang, blieb kurz stehen, um sich zu orientieren (er rechnete damit, daß Henry und seine Freunde jeden Moment direkt vor seiner Nase auftauchen würden) und sah die Pumpstation etwa 20 Yards weiter unten. Er ging darauf zu, und die anderen folgten ihm. Am anderen Ufer konnten sie zwei weitere Betonzylinder erkennen, einen ziemlich genau gegenüber, den anderen etwa 40 Yards stromaufwärts; aus den dazugehörenden Rohren stürzten schmutzig-trübe Wasserfluten in den Kenduskeag.
Aber aus dem Rohr, das unterhalb des dicht vor ihnen liegenden Zylinders ein Stück über den Fluß hinausragte, sickerte nur ein dünnes Rinnsal. Ben bemerkte, daß auch kein Summen aus ihm zu hören war. Die Pumpe mußte defekt sein.
Er betrachtete Bill nachdenklich und etwas ängstlich.
Bill schaute währenddessen Richie, Stan und Mike an. »W-W-Wir müssen den D-D-D-Deckel hochheben«, sagte er. »Helft m-mir.«
Der Deckel hatte einen vorstehenden Rand, aber er war glitschig vom Regen, und der Deckel selbst war unglaublich schwer. Ben zwängte sich neben Bill, und Bill schob seine Hände etwas zur Seite, damit Ben mit anpak-ken konnte. Ben hörte aus dem Innern des Zylinders das Tröpfeln von Wasser - ein hallendes, unangenehmes Geräusch, das ihn an Brunnen - an Morlock-Brunnen - erinnerte.
»J-J-Jetzt!« rief Bill, und sie zogen zu fünft mit vereinten Kräften. Der Dek-kel bewegte sich knirschend.
Beverly packte jetzt neben Richie mit an, und auch Eddie schob mit seinem gesunden Arm.
»Eins, zwei, drei hau ruck\« kommandierte Richie. Der Deckel schabte ein Stückchen über den Zylinderrand. Ein sichelförmiger Streifen Dunkelheit tat sich auf.
»Eins, zwei, drei, hau ruckl«
Der Streifen wurde breiter.
»Eins, zwei, drei, hau ruck\«
Ben schob mit aller Kraft; rote Sterne flimmerten vor seinen Augen, und sein Rücken schmerzte.
»Aufgepaßt!« schrie Mike. »Jetzt ist's soweit!«
Sie traten beiseite, und der schwere runde Deckel rutschte vollends herunter, schlug eine tiefe Kerbe in die nasse Erde und blieb mit der unteren Seite nach oben liegen. Insekten krochen und sprangen von ihm ins Gras.
»Uff!« sagte Eddie.
Bill spähte in den Zylinder hinein. Eisensprossen führten an einer Wand in die Tiefe, zu einer runden schwarzen Wasserfläche, die jetzt mit Regentropfen gesprenkelt war. Die defekte Pumpe ragte in der Mitte etwas aus dem Wasser heraus. Rechts davon sah er aus einem Abflußrohr Wasser in die Pumpstation fließen, und mit rasendem Herzklopfen dachte er: Dorthin müssen wir. In dieses Rohr hinein.
»E-E-Eddie! Halt dich an m-mir f-f-fest!«
Eddie starrte ihn verständnislos an.
»Ich nehm' d-dich h-h-huckepack. Du b-brauchst dich n-nur mit deinem h-h-heilen Arm festzuhalten.« Er demonstrierte es. Eddie begriff nun, aber er zögerte noch.
»Sch-Sch-Schnell!« rief Bill. »S-Sie werden b-b-bald da sein!«
Eddie legte seinen Arm um Bills Nacken; Stan und Mike hoben ihn etwas hoch, bis er seine Beine um Bills Taille schlingen konnte. Als Bill sich schwerfällig über den Rand des Zylinders schwang, sah Ben, daß Eddie seine Augen fest zugekniffen hatte.