Выбрать главу

Sie...

Das ist eine Lüge! versuchte er zu schreien. Das würde sie nicht wagen!

Aber er wußte, daß es keine Lüge war. Die stimme, die stimme von den Mond-Ballons, hatte die Wahrheit gesagt. Sie hatte ihn mit dem Gürtel geschlagen, auf seine

(getreten hat sie mich in die)

Hoden, und sie hatte ihn betrogen, dieses verdammte kleine Drecksstück, dieses Mistvieh hatte ihn tatsächlich betrogen, und - liebe Freunde und Nachbarn - sie würde dafür die Tracht Prügel ihres Lebens bekommen

- sie und dann dieser Denbrough, ihr Schriftsteller-Freund. Und ebenso jeder andere, der versuchen sollte, sich ihm in den Weg zu stellen.

Er beschleunigte sein Tempo, obwohl er ohnehin schon pfeifend atmete und keuchte. Vor sich sah er wieder eine leuchtende Kugel in der Dunkelheit - einen weiteren Mond-Ballon. Er konnte die Stimmen der anderen ein Stück weiter vorne hören, und die Tatsache, daß es Kinderstimmen waren, verwirrte ihn nun nicht mehr. Es war so, wie die stimme gesagt hatte: Es spielte keine Rolle, wann und wer. Aber Beverly war dort vorne, und -

»Los, Jungs, bewegt mal eure Ärsche«, sagte er, und es spielte nicht einmal mehr eine Rolle, daß seine Stimme nicht seine eigene war, sondern die eines Jungen.

Dann, als sie sich dem Mond-Ballon näherten, drehte er sich um und sah, daß seine beiden Gefährten tot waren. Einer hatte keinen Kopf mehr. Das Gesicht des anderen war aufgeschlitzt, wie von einer riesigen Kralle.

»Wir gehen so schnell wir nur können, Henry«, sagte der Junge mit dem aufgeschlitzten Gesicht, und seine Lippen bewegten sich in zwei Teilstük-ken, und groteskerweise nicht einmal synchron, und in diesem Augenblick begann Tom zu schreien, der Traum zerfiel, und er kam wieder zu sich und stellte fest, daß er dicht am Rand eines - wie ihm schien - riesigen leeren Raums hing.

Er versuchte das Gleichgewicht zu halten, verlor es und fiel auf den Boden, wo ein Teppich lag. Trotzdem bereitete der Sturz ihm rasende Schmerzen in seinem verletzten Knie, und er mußte sich in den Unterarm beißen, um einen Schrei zu unterdrücken.

Wo bin ich? Wo zum Teufel bin ich nur?

Traum und Realität waren noch wild vermischt, und er grub seine Finger krampfhaft in den Teppich und biß sich noch fester in den Arm, weil er den Schmerz brauchte. Der Schmerz war die Nabelschnur, die ihn mit der Realität verband.

Er nahm ein schwaches, aber klares weißes Licht wahr, und einen schrecklichen Moment lang glaubte er, wieder in jenem Traum zu sein, das Licht von einem jener verrückten Ballons zu sehen. Dann fiel ihm ein, daß er die Badtür einen Spalt weit offengelassen hatte und daß die Neonröhre dort noch brannte. Das machte er immer so, wenn er an einem fremden Ort übernachtete, um sich nicht die Schienbeine anzuschlagen, wenn er nachts pinkeln mußte.

Das versetzte ihn endgültig in die Realität zurück. Es war ein Traum gewesen, nur ein verrückter Traum, weiter nichts. Er befand sich in einem >Holiday Inn<. Dies war Derry, Maine. Er war seiner Frau hierhergefolgt und mitten in einem verrückten Alptraum aus dem Bett gefallen. Das war alles.

Das war nicht nur ein Alptraum.

Er zuckte zusammen, so als wäre die Stimme, die diese Worte gesprochen hatte, dicht neben seinem Ohr gewesen, als handle es sich nicht um seine eigene innere Stimme. Sie hatte gar nicht wie seine eigene innere Stimme geklungen - sie war kalt, fremd... aber irgendwie hypnotisch und glaubwürdig.

Er richtete sich langsam auf, griff nach einem Glas Wasser, das auf dem Nachttisch stand, und trank es gierig aus. Er setzte sich und fuhr sich mit zitternden Händen durch die Haare. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte zehn Minuten nach drei an.

Schlaf weiter. Warte bis zum Morgen.

Und jene fremde Stimme antwortete: Aber am Morgen werden andere Leute in der Nähe sein - zuviel Leute. Und außerdem kannst du diesmal vor ihnen dort unten sein.

Diesmal kannst du als erster unten sein.

Dort unten? Er dachte an seinen Traum: das Wasser, die tropfende Dunkelheit.

Das Licht schien plötzlich heller zu sein. Er drehte langsam den Kopf, gegen seinen Willen, irgendwie zaghaft. Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust. Am Knopf der Badezimmertür war ein Ballon festgebunden. Er schwebte am Ende einer etwa drei Fuß langen Schnur. Ein gespenstisch weißes Licht schimmerte in seinem Inneren; er sah aus wie ein Irrlicht, das in einem Moor verträumt zwischen Bäumen umherfliegt, die mit dichtem grauem Moos überwachsen sind. Auf die Ballonhaut war ein Pfeil aufgedruckt, ein blutroter Pfeil.

Der Pfeil deutete auf die Tür zum Korridor.

Es spielt eigentlich keine Rolle, wer ich bin, sagte die stimme beruhigend, und Tom begriff jetzt, daß sie weder aus seinem eigenen Kopf kam noch neben seinem Ohr war; sie kam von dem Ballon her, aus der Mitte jenes weichen, seltsamen, herrlichen weißen Lichts.

Das einzige, was eine Rolle spielt, ist, daß ich dafür sorgen werde, daß alles sich zu deiner Zufriedenheit entwickelt, Tom. Ich will, daß sie Prügel bekommt; ich will, daß sie alle Prügel bekommen. Sie haben meinen Weg einmal zu oft gekreuzt... und viel zu spät für sie. Hör mir jetzt gut zu, Tom. Hör mir aufmerksam zu.. .Hör mir zu...

Tom hörte zu. Die stimme aus dem Ballon erklärte.

Sie erklärte ihm alles.

Als sie damit fertig war, platzte der Ballon.

Tom begann sich eilig anzuziehen.

2. Audra

Auch Audra hatte einen Alptraum gehabt.

Sie fuhr aus dem Schlaf hoch und stellte fest, daß sie aufrecht im Bett saß, daß das Leintuch sich ihr um die Taille gewickelt hatte und daß ihre kleinen nackten Brüste sich rasch hoben und senkten.

Wie Toms Traum, so war auch der ihrige ein wirres, qualvolles Erlebnis gewesen. Wie Tom, so hatte auch sie das Gefühl gehabt, jemand anders zu sein - oder vielmehr, ihr eigenes Bewußtsein in einen anderen Körper und einen anderen Geist versetzt zu sehen, teilweise damit zu verschmelzen. Sie war mit mehreren anderen an einem dunklen Ort gewesen, und sie war sich einer schrecklichen Gefahr bewußt gewesen - sie gingen freiwillig dieser Gefahr entgegen, und sie wollte den anderen zuschreien, sie sollten stehenbleiben und ihr erklären, was da eigentlich vor sich ging... aber jene andere Person schien es zu wissen und es für notwendig zu halten.

Sie war sich auch bewußt gewesen, daß sie verfolgt wurden und daß ihre Verfolger allmählich aufholten.

Bill war in dem Traum gewesen, aber sein Bekenntnis, daß er seine Kindheit vergessen hatte, mußte sie unbewußt so stark beschäftigt haben, daß der Bill in ihrem Traum ein Junge von zehn oder zwölf Jahren gewesen war

- er hatte noch alle seine Haare gehabt. In ihrem Traum hielt sie seine Hand und war sich vage bewußt, daß sie ihn sehr liebte, daß ihre Bereitschaft, weiterzugehen, auf dem felsenfesten Glauben basierte, daß Big Bill sie und die anderen beschützen würde, daß Big Bill sie irgendwie durch diese Gefahr und wieder zurück ans Tageslicht bringen würde.

Oh, aber sie hatte so schreckliche Angst.

Sie gelangten an eine Stelle, von der viele Tunnels in verschiedene Richtungen ausgingen, und Bill stand da und schaute ratlos von einem Tunnel zum anderen, und einer ihrer Freunde - ein Junge mit einem Gipsarm in der Schlinge - sagte: »Der hier, Bill. Der dritte von links.«

»B-B-Bist du sicher?«

»Ja.«

Sie schlugen diesen Weg ein, und dann standen sie plötzlich vor einer Tür, einer seltsamen kleinen Holztür, einer Tür wie aus einem Märchenbuch, und auf der Tür war ein Zeichen. Sie konnte sich nach dem Aufwachen nicht erinnern, wie dieses Zeichen ausgesehen hatte, was für eine merkwürdige Rune oder was für ein geheimnisvolles Symbol es gewesen war. Aber dieser Anblick hatte ihr Entsetzen auf den Höhepunkt getrieben, und sie hatte sich aus diesem anderen Körper herausgerissen, aus diesem Körper eines Mädchens, wer immer das auch