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»B-B-Beverly, ruf die anderen an«, sagte Bill. »Ich glaube, ich kann E-Ed-dies Arm b-b-b-behelfsmäßig schienen.«

Sie sah ihn nachdenklich an, dann schweiften ihre Blicke wieder zu der Leiche auf dem Fußboden. Sie dachte, daß das Bild, das dieses Zimmer bot, jedem halbwegs intelligenten Polizeibeamten eine völlig klare Geschichte erzählen müßte. Das angerichtete Chaos. Eddies gebrochener Arm. Der Tote. Es war ein eindeutiger Fall von Notwehr gewesen, Notwehr gegen einen nächtlichen Einbrecher. Und dann erinnerte sie sich plötzlich an den

Mann auf der Veranda - den Mann, der nachgeschaut hatte, was auf der Straße vorging, und der dann einfach seine Zeitung gefaltet und ins Haus gegangen war.

Sobald wir rausgehen... sobald wir uns an die Stadt wenden...

Und dabei fiel ihr ein, wie Bill als Junge mit bleichem, erschöpftem und nicht mehr allzuweit vom Wahnsinn entfernten Gesicht gesagt hatte: Derry ist Es. Versteht ihr mich? Wohin wir auch gehen mögen... wenn Es uns schnappen will, wenn Es uns umbringt, werden sie nichts sehen, sie werden nichts hören, sie werden nichts wissen. Seht ihr nicht, wie es ist? Wir können nur eins tun - versuchen zu vollenden, was wir begonnen haben.

Während sie jetzt dastand und auf Henrys Leiche blickte, dachte Beverly: Sie sagen beide, daß wir alle wieder zu unsichtbaren Gespenstern geworden sind. Daß sich auch das wiederholt, wie alles andere. Als Kind konnte ich das ertragen, weil Kinder ohnehin fast Gespenster, Geister sind. Aber...

»Seid ihr sicher?« fragte sie verzweifelt. »Bill, bist du ganz sicher?«

Er saß neben Eddie auf dem Bett und tastete vorsichtig dessen Arm ab. »D-Du etwa n-n-nicht?« fragte er. »N-Nach a-a-a-allem, was heute p-p-pas-siert ist?«

Ja. Alles, was passiert war. Die gräßliche Überraschung, die sie am Ende des Mittagessens erlebt hatten. Die schöne alte Frau, die sich vor ihren eigenen Augen in eine kreischende Hexe verwandelt hatte

(mein Vater war auch meine Mutter)

und abends in der Bücherei die verschiedenen Geschichten mit den übernatürlichen Begleiterscheinungen. All diese Dinge. Und trotzdem... ihr Verstand schrie ihr verzweifelt zu, das jetzt zu beenden, sich mit Vernunft zu wappnen, weil sie sich andernfalls mit Sicherheit noch in dieser Nacht in die Barrens begeben und eine ganz bestimmte Pumpstation finden würden und...

»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich... ich weiß es einfach nicht. Trotz allem, was passiert ist, Bill, glaube ich, daß wir die Polizei rufen könnten. Vielleicht.«

»R-R-Ruf die anderen an«, sagte er wieder. »W-Wir w-w-w-wollen hören, w-was sie m-m-meinen.«

»Okay«, sagte sie.

Sie rief zuerst in Richies und dann in Bens Zimmer an. Beide sagten, sie würden sofort heraufkommen, ohne zu fragen, was geschehen sei. Sie fand Mikes Nummer im Telefonbuch und wählte sie. Niemand nahm den Hörer ab, und sie legte nach dem zwölften Klingeln auf.

»V-Versuch's in der B-B-Bücherei«, sagte Bill. Er hatte die kurzen Gardinenstangen vom kleineren der beiden Fenster abgenommen und band sie mit dem Gürtel von Eddies Bademantel an dessen Arm fest.

Noch bevor Beverly die Nummer der Bücherei gefunden hatte, klopfte es an der Tür. Ben und Richie waren zusammen gekommen, Ben in Jeans und einem nicht zugeknöpften Hemd, Richie in einer grauen Baumwollhose und Pyjamaoberteil. Seine Augen hinter der Brille blieben bestürzt auf Eddie haften.

»Du lieber Himmel, Eddie, was ist denn mit dir...«

»Mein Gott!« schrie Ben. Er hatte Henry auf dem Fußboden entdeckt.

»Seid sch-sch-still!« sagte Bill scharf. »Und macht die T-Tür zu!«

Richie schloß sie, während auch er jetzt auf die Leiche starrte. »Henry?« fragte er.

Ben ging drei Schritte auf die Leiche zu und blieb dann stehen, so als hätte er Angst, daß sie ihn beißen könnte. Er sah Bill fragend an.

»Erz-z-z-zähl d-du«, sagte Bill zu Eddie. »Das v-v-verdammte Sch-Sch-Stottern wird immer sch-schlimmer.«

Eddie berichtete kurz, was geschehen war, während Beverly die Nummer der Bücherei heraussuchte und wählte. Sie rechnete damit, daß Mike dort eingeschlafen war - vielleicht hatte er sogar eine Schlafcouch in seinem Büro. Er war Junggeselle, und sie vermutete, daß seine Arbeit ihm mehr als fast alles andere bedeutete. Womit sie überhaupt nicht gerechnet hatte, war, daß der Hörer am anderen Ende der Leitung nach dem zweiten Klingeln abgenommen wurde und eine ihr völlig unbekannte Stimme »Hallo« rief.

»Hallo«, sagte sie und gab den anderen durch ein Zeichen zu verstehen, sie sollten still sein. »Hallo... ist Mr. Hanion da?«

»Wer spricht dort?« fragte die Stimme.

Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Bill sah sie forschend an, und auch Ben und Richie hatten sich umgedreht. Sie war jetzt zutiefst beunruhigt.

»Wer sind Sie denn?« konterte sie. »Sie sind nicht Mr. Hanion.«

»Ich bin Polizeichef Louis Rademacher«, erklärte die Stimme. »Mr. Hanion befindet sich im Krankenhaus. Er ist vor kurzem überfallen und schwer verletzt worden. Und jetzt sagen Sie mir bitte, wer Sie sind. Ich möchte Ihren Namen wissen.«

Aber sie hörte ihn kaum noch. Riesige Wellen des Entsetzens brachen über ihr zusammen, alle ihre Muskeln erschlafften, und absurderweise schoß ihr durch den Kopf: Auf diese Weise muß es passieren, wenn Leute sich in die Hosen machen. Klar. Man verliert einfach jede Kontrolle über seine Muskeln...

»Wie schwer ist er verletzt?« hörte sie sich mit zittriger, flüsternder Stimme fragen, und dann war plötzlich Bill neben ihr und legte ihr seine Hand auf die Schulter, und Ben war da, und Richie, und sie war ihnen dafür unendlich dankbar. Sie streckte ihre freie Hand aus, und Bill ergriff sie. Richie legte seine Hand über Bills, Ben legte seine Hand auf Richies. Eddie trat zu ihnen und legte seine Hand zuoberst.

»Sagen Sie mir bitte, wer Sie sind«, rief Rademacher jetzt barsch in den Hörer, und fast hätte sie ihm erklärt: Ich bin Beverly Marsh, und ich befinde mich im Derry Town House. Bitte schicken Sie Mr. Nell hierher. Hier liegt ein toter Mann, der zur Hälfte immer noch ein Junge ist, und wir fürchten uns alle sehr.

Sie sagte: »Ich... ich befürchte, das kann ich nicht. Zumindest im Moment nicht.«

»Was wissen Sie von dieser Sache?«

»Nichts«, erwiderte sie erschrocken. »Ich habe nur...« Sie verstummte. Nur was? Was konnte sie sagen, das sich nicht verdächtig oder aber total verrückt anhören würde?

»Sie haben nur die Angewohnheit, jeden Morgen gegen halb vier in der

Bücherei anzurufen«, sagte Rademacher sarkastisch. »Ich frage Sie jetzt noch einmaclass="underline" Was wissen Sie von dieser Sache?«

Sie schloß die Augen, umklammerte Bills Hand mit aller Kraft und fragte wieder: »Wie schwer ist er verletzt? Bitte sagen Sie es mir.«

»Er ist sehr schwer verletzt. Vielleicht stirbt er. Und jetzt möchte ich endlich wissen, Miß, wer Sie sind und weshalb...«

Wie im Traum beobachtete sie, wie ihre Hand sich langsam senkte und den Hörer auflegte. Sie blickte zu Henry hinüber und hatte das Gefühl, als hätte eine kalte Hand ihr scharf ins Gesicht geschlagen. Eines von Henrys Augen hatte sich geschlossen. Das andere hing noch immer glasig aus der Höhle heraus.

Henry schien ihr zuzuzwinkern.

4. Die Entscheidung

Richie rief im Krankenhaus an. Beverly war dazu nicht imstande. Bill |; führte sie zum Bett, und sie setzte sich neben Eddie und starrte ins Leere. Sie dachte, sie würde weinen, aber es kamen keine Tränen. Sie wünschte sich momentan einzig und allein, daß jemand Henry Bowers zudecken würde. Ansonsten war sie wie versteinert.