Sie blickte zu ihm auf, mit flehenden, verständnislosen Augen. Du kannst mich dazu zwingen, sagten ihre Augen, aber bitte tu's nicht. Tu's nicht, Tom, bitte, ich liebe dich... kann es nicht vorüber sein?
Sag es.
Ich habe vergessen, daß ich in deiner Gegenwart nicht rauchen soll, Tom.
Gut. Und jetzt sag: Es tut mir leid.
Es tut mir leid, sagte sie tonlos.
Die Zigarette lag glimmend auf dem Pflaster. Leute, die aus dem Kino kamen, schauten zu ihnen herüber, zu dem Mann, der in der offenen Autotür stand, zu der Frau, die im Auto saß, und deren Haar im Standlicht golden funkelte.
Er trat die Zigarette mit dem Fuß aus.
Jetzt sag: Ich werde es nie wieder ohne deine Erlaubnis tun.
Ich werde... werde es n-n-n-
Sag es!
.. .nie wieder ohne deine Erlaubnis tun.
Er schlug die Tür zu, ging wieder ums Auto herum, setzte sich ans Steuer und fuhr in sein Apartment in der Innenstadt. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Zur Hälfte war ihre Beziehung nun geklärt; die andere Hälfte folgte.
Sie wollte nicht mit ihm schlafen (zumindest sagte sie das; in ihren Augen
glaubte er aber etwas anderes lesen zu können). Er überredete sie dazu. Küßte sie. Liebkoste sie. Schmeichelte und drohte ihr. Aber es war keine Vergewaltigung.
Und während des Liebesakts war er zärtlich. Er bewegte sich in ihrem Rhythmus, er benutzte sie, aber er ließ sich auch von ihr benutzen, und von einem bestimmten Zeitpunkt an begann sie hilflos unter ihm zu zucken, ihre Hüften immer stärker an ihn zu pressen (damals war kein Bierbauch im Wege gewesen, zumindest kein so großer); sie grub ihre Nägel in sein Fleisch, zerkratzte ihm den Rücken. Und gegen Ende schrie sie an seinem Hals zweimal auf.
Wie oft ist es dir gekommen? fragte er hinterher.
Sie wandte ihr Gesicht ab. So etwas fragt man nicht, sagte sie leise.
Er nahm ihr Gesicht in die Hand - drückte ihr den Daumen in eine Wange, wölbte die Handfläche um ihr Kinn, drückte die Finger in ihre andere Wange.
Sag es Tom. Hörst du mich, Bev? Sag es Papa.
Dreimal, sagte sie widerstrebend.
Gut, sagte er und lächelte. Du kannst eine Zigarette rauchen.
Sie sah ihn mißtrauisch an. Ihr rotes Haar war über beide Kissen ausgebreitet. Wenn er nur ihr Haar so ausgebreitet sah, stieg die Erregung wieder in ihm auf. Er nickte.
Rauch ruhig, sagte er. Es ist okay.
Drei Monate später wurden sie standesamtlich getraut. Zwei seiner Freunde wohnten der Zeremonie bei; von Bevs Bekannten kam nur Kay McCall, die Tom >diese Scheiß-Emanze< nannte.
All das rollte nun blitzartig vor seinem geistigen Auge ab, wie ein Film mit Zeitraffer, während er auf der Schwelle stand und sie beobachtete. Sie war jetzt bei der untersten Schublade ihrer - wie sie sich manchmal ausdrückte ->Wochenendkommode < angelangt und warf Unterwäsche in den Koffer -nicht jene Art von Unterwäsche, die er liebte, glattes Satin und schimmernde Seide; dies war Baumwollzeug, das meiste davon verblichen, manches gestopft. Ein Baumwollnachthemd. Sie wühlte weiter in der Schublade herum.
Tom Huggins schlich währenddessen barfuß auf dem dicken Teppich zu seinem Schrank. Er beobachtete jede ihrer Bewegungen - sie hatte immer noch die Zigarette zwischen den Lippen, und dünne Rauchwolken stiegen auf. Es hatte lange gedauert, bis sie jene erste Lektion vergessen hatte. Seitdem hatte es weitere gegeben, sehr viele sogar, und an manchen Tagen hatte sie langärmelige Blusen getragen, Wollwesten an heißen Tagen, Sonnenbrillen an grauen, regnerischen Tagen. Aber jene allererste Lektion war so spontan, so grundlegend wichtig gewesen...
Sie nun rauchen zu sehen, verwirrte ihn mehr als der Anruf. Sie rauchen zu sehen bedeutete, daß etwas passiert war, wodurch sie Tom Huggins zeitweilig vergessen hatte. Was das war, spielte keine Rolle (er nahm an, daß jemand in ihrer Familie, von der sie nur sehr selten sprach, gestorben war oder im Sterben lag). Solche Dinge durften in diesem Hause nicht vorkommen.
An einem der Haken auf der Innenseite der Schranktür hing ein Gürtel ohne Schnalle. Die Schnalle hatte er vor langer Zeit abgemacht. Es war einfach ein breiter schwarzer Lederriemen, der an jenem Ende, wo die Schnalle gewesen war, doppelt lag und eine Schlinge bildete, durch die Tom Huggins jetzt seine Hand schob.
Tom, du warst ungezogen, hatte seine Mutter manchmal gesagt- nun ja, >manchmal< war vielleicht nicht das richtige Wort, >oft< hätte vielleicht besser gepaßt. Komm her, Tommy. Ich muß dir eine Tracht Prügel verabreichen. Im College, als er schließlich von Zuhause weg, als er endlich in Sicherheit war, hatte er im Traum manchmal ihre Stimme gehört: Komm her, Tommy, Ich muß dir eine Tracht Prügel verabreichen. Muß dir eine Tracht Prügel verabreichen. Prügel... Prügel... Prügel...
Tom war das älteste von vier Kindern gewesen. Drei Monate nach der Geburt seiner jüngsten Schwester Cory war Ralph Huggins gestorben - na ja, auch >gestorben< war vielleicht nicht ganz das richtige Wort, >hatte Selbstmord begangen< wäre wohl der korrektere Ausdruck gewesen. Jedenfalls hatte seine Mutter wieder angefangen zu arbeiten, und Tom mußte mit seinen elf Jahren auf seine Geschwister aufpassen. Und wenn er irgend etwas falsch machte - wenn er vergaß, Cory an der Ecke der Broad Street auf dem Weg zum Kinderhort zu bekreuzigen, und diese neugierige Mrs. Gant sah es... oder wenn er sich im Fernsehen > American Bandstand< anschaute, und der siebenjährige Joey aus dem Fenster im ersten Stock aufs Verandadach kletterte, und jene neugierige Mrs. Eggert sah es... oder wenn er vergaß, darauf zu achten, daß Beryl ihre Vitaminpillen nahm (sie versteckte sie manchmal unter ihrem Teller und erzählte ihm, sie hätte sie geschluckt), und seine Mutter sie dann fand, wenn sie von der Fabrik heimkam, wo sie in einem Nebengebäude Stoffreste und Ausschußware verkaufte... Dann wurde der Rohrstock hervorgeholt, und sie rief die Einleitungsformeclass="underline" Komm her, Tommy, ich muß dir eine Tracht Prügel verabreichen...
Er erinnerte sich gern daran, wie er es Beverly abgewöhnt hatte, in seiner Gegenwart zu rauchen, aber diese andere Erinnerung war unangenehm und verwirrend.
Der Gürtel hing jetzt von seiner geballten Faust herab wie eine tote Natter und schwang sachte durch die Luft. Und sein Kopfweh war wie durch ein Wunder verschwunden.
Sie hatte inzwischen ganz hinten in der Schublade gefunden, was sie noch gesucht hatte - einen alten weißen Baumwoll-BH mit verstärkten Körbchen. Ganz flüchtig war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, ob ihr nächtlicher Anruf nicht von einem Liebhaber sein könnte... aber das war natürlich lächerlich. So etwas würde sie niemals wagen. Und außerdem packte eine Frau, die zu ihrem Liebhaber fahren will, nicht gerade ihre älteste abgetragene Unterwäsche ein.
»Beverly«, sagte er leise, und sie zuckte zusammen, richtete sich sofort auf und drehte sich nach ihm um, mit wehenden langen Haaren und weit aufgerissenen Augen.
Die Hand, die den Riemen hielt, zögerte... senkte sich etwas. Er starrte sie an, und wieder stieg dieses leichte Unbehagen in ihm auf, das fast schon an Furcht grenzte. Ja, genauso hatte sie vor den großen Modenschauen ausgesehen, und damals hatte er sich ihr lieber nicht in den Weg gestellt, denn
er begriff, daß sie mit einer Mischung aus Angst und Aggressivität so angefüllt war, daß ein falsches Wort oder eine falsche Bewegung auf sie die gleiche Wirkung haben würde wie ein Funken in einem mit Leuchtgas gefüllten Raum; sie würde einfach explodieren. Sie hatte die Modenschauen nicht nur als Chance betrachtet, sich von >Delia Fashions< lösen und ihren Lebensunterhalt (oder vielleicht sogar ein Vermögen) selbständig verdienen zu können, sondern als eine Art Oberexamen, das sie vor grimmigen Lehrern ablegen mußte. Wäre sie ein Rennpferd gewesen, so wäre es für die Stallburschen fast unmöglich gewesen, sie in ihre Box zu bringen.