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Ein Meteorologe vom Nationalen Wetterdienst erklärte, es handle sich um >ein ungewöhnlich stark ausgeprägtes Tiefdrucksystem<. Das war sehr milde ausgedrückt. In Bangor war der vorhergesagte sonnige blaue Himmel nirgends zu sehen; er war wolkenverhangen, und gelegentlich gingen Regenschauer nieder. Acht Meilen südlich, in Hampden, nieselte es anhaltend. In Etna, etwa acht Meilen südlich von Hampden, regnete es mäßig stark. Aber wenn man von Etna nach Süden fuhr, auf die Stadtgrenze von Derry zu, wurde der Regen von Minute zu Minute heftiger. Auf der Route 7 stand das Wasser stellenweise acht Zoll hoch, und hinter der Rhulin-Farm wurde sie völlig unpassierbar, weil durch einen verstopften Abflußkanal in einer Talsenke die Straße total überschwemmt war. Gegen sechs Uhr mußte die Derry Highway Patrol auf beiden Seiten der Talsenke orangefarbene Umleitungsschilder aufstellen.

Die Menschen, die unter dem schützenden Wartehäuschen an der Main Street auf den ersten Bus warteten, um zur Arbeit zu fahren, blickten über das Geländer hinweg auf den Kanal, der in seinem Betonbett bedrohlich gestiegen war. Natürlich würde es keine Überschwemmung geben; darin stimmten alle überein. Der Wasserstand lag immer noch weit unter dem Hochwasserpegel von 1977. Und selbst in jenem Jahr hatte es keine Überschwemmung gegeben. Aber der Regen strömte unablässig hernieder, und Donner grollte in den tiefhängenden Wolken. Ganze Bäche flössen den Up-Mile Hill hinab und dröhnten in den Rohren und Gullys.

Keine Überschwemmung, das war die allgemeine Meinung, aber auf allen Gesichtern war leichtes Unbehagen zu lesen.

Um 5.45 Uhr explodierte mit einem purpurroten Blitz ein Transformator auf einem Strommast neben dem leerstehenden Lkw-Depot der Gebrüder Tracker; verbogene Metallstücke fielen auf das Ziegeldach. Eines dieser umherfliegenden Metallstücke durchtrennte ein Hochspannungskabel, das ebenfalls aufs Dach fiel, wild hin und her peitschte wie eine Schlange und einen fast flüssigen Funkenstoß ausspie. Trotz des Wolkenbruchs fing das Dach Feuer, und bald stand das Depot in Flammen. Das Hochspannungskabel rutschte vom Dach herunter und fiel auf den unkrautüberwucherten Grasstreifen am Rande des Parkplatzes, wo einst kleine Jungen Baseball zu spielen pflegten. Derry s Feuerwehr rückte an jenem Tag zum erstenmal um 6.02 Uhr aus und kam sieben Minuten später beim brennenden Depot an. Unter den ersten Feuerwehrmännern, die vom Wagen sprangen, war Calvin Clark, einer der Clark-Zwillinge aus Bens Klasse. Beim dritten Schritt trat er mit seinem Lederstiefel auf das stromführende Kabel. Calvin war auf der Stelle tot. Seine Zunge hing aus dem Mund heraus, und sein Feuerwehrmantel aus Gummi begann zu schmoren. Er roch wie brennende Reifen auf einer Müllhalde.

Um 6.05 Uhr registrierten die Bewohner der Merit Street in Old Cape etwas, das sich anhörte und bemerkbar machte wie eine unterirdische Explosion. Teller fielen von Regalen, Bilder von den Wänden. Um 6.06 Uhr explodierten plötzlich alle Toiletten auf der Merit Street in einer Fontäne von Abwässern und Kot, weil in den Rohren, die zur neuen Kläranlage in den Barrens führten, plötzlich irgendein unvorstellbarer, unerklärlicher Rückstau stattgefunden hatte. In einigen Fällen waren diese Explosionen so heftig, daß in die Badezimmerdecken Löcher geschlagen wurden. Eine Frau namens Anne Stuart kam ums Leben, als zusammen mit den Abwässern ein altes Getrieberad aus ihrer Toilette herausgeschleudert wurde. Es durchschlug die Mattglasscheibe der Duschkabine und drang wie eine schreckliche Kugel in ihre Kehle, während sie sich gerade die Haare wusch. Sie wurde fast enthauptet. Das Getrieberad war ein Relikt der Kitchner-Eisen-hütte, das vor etwa einem Dreivierteljahrhundert in die Kanalisation geraten war. Eine weitere Frau wurde getötet, als ihre Toilette plötzlich wie eine Bombe explodierte. Die unglückselige Frau, die gerade auf dem WC gesessen und im aktuellen >Banana-Republic<-Kata\og geblättert hatte, wurde buchstäblich in Stücke gerissen.

Um 6.19 Uhr schlug ein Blitz in die sogenannte Kußbrücke ein. Die HolzSplitter flogen hoch in die Luft, regneten dann in den schnell dahinströmenden Kanal hinab und wurden von den Wassermassen fortgetragen.

Ein Westwind kam auf. Um 6.30 Uhr hatte er, wie am Meßgerät in der Halle des Gerichtsgebäudes abzulesen war, eine Geschwindigkeit von etwas über 15 Meilen pro Stunde. Gegen Viertel vor sieben betrug sie bereits 24 Meilen pro Stunde.

Um 6.24 Uhr kam Mike Hanion in seinem Zimmer im Derry Community Hospital zu sich. Sein Erwachen aus der tiefen Bewußtlosigkeit war eine Art langsamer Übergang - längere Zeit glaubte er zu träumen. Wenn, dann war es ein merkwürdiger Traum... ein Angsttraum, würde sein alter Psychologieprofessor Doc Abelson dazu gesagt haben. Es schien keinen offenkundigen Grund für diese Angst zu geben, aber sie war trotzdem vorhanden; das kahle weiße Zimmer wirkte bedrohlich.

Allmählich wurde er sich bewußt, daß dies kein Traum war. Das kahle weiße Zimmer war ein Krankenhauszimmer. Flaschen hingen über seinem Kopf; eine war mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt, die andere mit einer dunkelroten. Er sah an der Wand einen Fernseher und hörte das einschläfernde Rauschen des Regens. Es war früher Morgen.

Mike versuchte, seine Beine zu bewegen. Bei dem einen gelang es ihm leicht - er sah, wie die Umrisse unter der Bettdecke von links nach rechts gingen -, aber das andere Bein ließ sich überhaupt nicht bewegen. Er hatte auch kaum ein Gefühl in diesem Bein, und dann stellte er fest, daß es in einem engen Verband steckte.

Allmählich fiel ihm alles wieder ein: das Wiedersehen im Restaurant, das Abendessen mit Bill, die Geschichten in der Bücherei. Er hatte sich an den Tisch gesetzt, um sich Notizen zu machen, und Henry Bowers war völlig unerwartet aufgekreuzt. Es hatte einen Kampf gegeben, und...

Henry! Wohin war Henry gegangen? War er zu den anderen gegangen?

Mike griff nach der Klingel über dem Kopfende seines Bettes, und er hatte sie gerade in der Hand, als die Tür sich öffnete. Ein Krankenpfleger betrat das Zimmer. Zwei Knöpfe seines weißen Kittels waren nicht geschlossen, und seine dunklen Haare waren ungekämmt. Er trug ein Chri-stophorus-Amulett um den Hals. Sogar in seinem benommenen Zustand erkannte Mike ihn sofort. Im Jahre 1958 war ein sechzehnjähriges Mädchen namens Cheryl Lamonica in Derry ermordet worden. Es hatte Cheryl ermordet. Das Mädchen hatte einen vierzehnjährigen Bruder gehabt, und dieser Mark Lamonica stand jetzt in seinem Zimmer.

»Mark?« sagte er mit schwacher Stimme. »Ich muß mit Ihnen reden.«

»Pssst!« sagte Mark. Er hatte eine Hand in der Tasche. »Nicht sprechen.«

Er kam auf das Bett zu, und Mike sah mit hoffnungslosem Frösteln, wie leer Marks Augen waren. Sein Kopf war etwas zur Seite geneigt, so als hörte er ferne Musik. Er zog seine Hand aus der Tasche. Seine Faust hielt ein Skalpell umklammert.

»Woll'n doch mal sehen, ob deine Eingeweide so schwarz sind wie deine Haut«, sagte Mark, während er immer näher kam.

11.

»Pssst!« rief Bill plötzlich, obwohl abgesehen von ihren schlurfenden Schritten ohnehin völlige Stille geherrscht hatte.

Richie zündete ein Streichholz an. Die gelbe Flamme erzeugte einen schwachen Lichtkreis von höchstens 20 Fuß Durchmesser. Der Tunnel hatte sich erheblich verbreitert, und die fünf Menschen sahen in diesem riesigen Raum tief unter der Stadt winzig klein aus. Sie drängten sich aneinander, so als wollten sie sich gegenseitig wärmen, und Beverly hatte das traumartige Gefühl eines Dejä-vu-Erlebnisses, als sie die riesigen Fliesensteine auf dem Boden und die herabhängenden Spinnennetze sah. Sie waren jetzt ganz nahe. Sie waren ihrem Schicksal jetzt ganz nahe - welches Schicksal ihnen auch immer beschieden sein mochte.