Und all das stand ihr auch jetzt im Gesicht geschrieben.
Nein, nicht nur im Gesicht. Es war eine fast sichtbare Ausstrahlung um ihre ganze Gestalt, eine Hochspannung, die sie plötzlich reizvoller und gefährlicher als seit Jahren auf ihn wirken ließ. Er hatte vielleicht Angst, weil sie vor ihm stand, ihr eigentliches Ich, das sich grundlegend von der Frau unterschied, die Tom in ihr sehen wollte, zu der er sie gemacht hatte.
Sie sah geschockt und ängstlich aus. Zugleich wirkte sie aber irrsinnig aufgekratzt. Ihre Wangen glühten hektisch, unter den Unterlidern hatte sie weiße Flecken, die fast wie ein zweites Augenpaar aussahen, und ihre glänzende Stirn reflektierte das Licht.
Sie hatte ihre Zähne so fest in den Zigarettenfilter gegraben, als wollte sie ihn durchbeißen.
Die Zigarette. Diese verdammte Zigarette! Allein dieser Anblick ließ die dumpfe Zorneswelle wieder in ihm hochsteigen. Ganz dunkel und schwach erinnerte er sich an etwas, das sie eines Nachts im Dunkeln zu ihm gesagt hatte, mit dumpfer, tonloser Stimme: Eines Tages wirst du mich umbringen, Tom. Weißt du das? Eines Tages wirst du einfach zu weit gehen, und das wird das Ende sein. Du wirst überschnappen.
Und er hatte darauf geantwortet: Du brauchst nur zu tun, was ich will, Bev, dann wird dieser Tag nie kommen.
Und nun fragte er sich, bevor die Wut jeden klaren Gedanken auslöschte, ob dieser Tag vielleicht gekommen war.
Die Zigarette. Es ging jetzt nicht um den Anruf, um ihr Packen, um ihren Gesichtsausdruck. Er würde sie nur für die Zigarette bestrafen, und dann würde er sie ficken, und dann konnten sie über den Rest diskutieren.
»Tom«, sagte sie. »Tom, ich muß...«
»Du rauchst«, sagte er. Seine Stimme schien aus einiger Entfernung zu kommen, wie über ein gutes Radio. »Es sieht so aus, als hättest du's vergessen, Baby. Wo hattest du sie versteckt?«
»Sieh mal, ich werf sie ja weg«, sagte sie und ging zur Badezimmertür. Sie warf die Zigarette - er konnte die Abdrücke ihrer Zähne auf dem Filter sehen - ins WC. Fsss. Sie kam wieder heraus. »Tom, das war ein alter Freund. Ein alter alter Freund. Ich muß...«
»Halt die Klappe!« brüllte er sie an, und sie verstummte. Aber die Angst, die er sehen wollte - die Angst vor ihm - stand ihr nicht im Gesicht geschrieben. Da war zwar Angst, aber sie zielte in irgendeine andere Richtung. Es war fast so, als würde sie den Riemen nicht sehen, als würde sie ihn nicht sehen, und wieder spürte er jene verwirrte Angst in seiner eigenen Brust aufsteigen und in seinem Magen rumoren. Es war so, als sei sie... mit ihren
Gedanken völlig woanders. Er geriet immer mehr in Rage. Er war Tom Huggins, Tom Huggins, bei Gott, und wenn sie das jetzt nicht wußte, so würde sie es bald erfahren.
»Ich muß dir eine Tracht Prügel verabreichen«, sagte er. »Tut mir leid, Baby!«
Was hatte er vorhin gedacht? Daß die Mischung aus Angst und Aggressivität in ihr so leicht entflammbar war wie Leuchtgas? Vor der letzten Modenschau für Einkäufer im Jahre 1982, der Modenschau Mitte September, wenn die Einkäufer ihre gewichtigen Vorweihnachtsbestellungen machen, hatte er gesehen, wie sie über eine Näherin hergefallen war, die schlampige Arbeit geleistet hatte, wie sie diese Näherin in ihrer Wut so angebrüllt hatte, daß diese - einer Hysterie nahe - davongerannt war. Später hatte Bev sich entschuldigt und die Sache bereinigt, aber in jenem Moment hatte sie einer wilden Dschungelkatze geglichen, die ihr Territorium, ihr Leben bedroht glaubt.
Jetzt richtete sich ihre Aggressivität gegen ihn; zum erstenmal richtete sie sich jetzt gegen ihn.
»Leg den Gürtel hin«, sagte sie. »Ich muß zum O'Hare-Flughafen.«
Er ließ den Gürtel wie ein Pendel hin und her schwingen, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Bev«, sagte er mit großem Nachdruck, »du wirst nirgends hingehen außer ins Bett.«
»Tom, jetzt hör mir mal zu! In meiner Heimatstadt gibt es Probleme. Schlimme Probleme. Ich hatte dort damals gute Freunde. Einer von ihnen wäre vermutlich so was wie mein fester Freund geworden, wenn wir dafür nicht noch zu jung gewesen wären. Er war damals ein elfjähriger Junge, der furchtbar stotterte. Heute ist er Schriftsteller. Du hast, glaube ich, sogar eines seiner Bücher gelesen.. . >The BlackRapids<. Dieses Buch lag wochenlang hier, herum, aber ich habe es nie in Verbindung gebracht mit meinem Kinderfreund Bill. Das alles lag so weit zurück - ich habe seit einer Ewigkeit nicht mehr an Derry gedacht. Na ja, jedenfalls hatte Bill einen Bruder, George, und der wurde ermordet - das war, bevor ich Bill kennenlernte. Und im Sommer darauf...«
Aber Tom hatte jetzt endgültig genug von diesem ganzen Blödsinn. Er bewegte sich rasch auf sie zu und hob den rechten Arm wie ein Speerwerfer. Der Riemen pfiff durch die Luft. Beverly versuchte ihm auszuweichen, aber ihre rechte Schulter streifte den Türrahmen, und der Riemen schlug klatschend auf ihrem linken Unterarm auf und hinterließ eine weiße Strieme, die sofort rot anlief.
»Muß dich verprügeln«, sagte Tom. Seine Stimme klang bedauernd, aber ein gefrorenes Lächeln entblößte seine weißen Zähne. Er wollte jenen Ausdruck in ihren Augen sehen, jenen herrlichen Ausdruck von Angst und Schrecken und Scham - jenen Ausdruck, der besagte: Ja, du hast recht, ich hab 's verdient - bevor sie die Augen senken würde. Später dann Liebe und Freundlichkeit. Später konnten sie sogar, wenn sie wollte, darüber reden, wer angerufen hatte, was überhaupt los war. Denn er liebte Bev. Aber das alles mußte warten. Jetzt brauchte sie erst mal wieder eine Lektion. Die gute alte zweiteilige Lektion. Erst eine Tracht Prügel, dann einen Fick.
»Tut mir leid, Baby.«
»Tom, nicht!«
Wieder holte er weit aus und schlug zu. Der Riemen schlang sich um ihre Hüfte und klatschte auf ihren Hintern. Und... du lieber Himmel, sie packte den Gürtel]
Einen Augenblick lang war Tom Huggins so perplex über diese unerhörte Auflehnung, daß der Riemen ihm entglitten wäre, wenn er die Schlinge nicht fest um die Knöchel seiner rechten Hand gewickelt hätte.
Er riß ihn zurück.
»Versuch nie wieder, mir etwas wegzunehmen!« sagte er heiser. »Hörst du mich? Wenn du es je wieder versuchen solltest, wirst du einen Monat lang nicht sitzen können.«
»Tom, hör auf!« rief sie, und allein ihr Ton versetzte ihn in Wut - sie klang wie ein Spielplatzaufseher, der einem kleinen Jungen sagt, die Pause sei vorbei. »Ich muß fort. Das ist kein Scherz. Menschen sind tot... Menschen sind tot, und ich habe vor langer Zeit ein Versprechen gegeben...«
Tom hörte nichts von alldem. Er brüllte auf und rannte mit gesenktem Kopf auf sie los wie ein Stier. Er holte mit dem Gürtel weit aus, schlug zu, vertrieb sie von der Badezimmertür und verfolgte sie entlang der Schlafzimmerwand. Er holte aus, schlug zu, holte aus, schlug zu, holte aus, schlug zu. Am nächsten Tag konnte er seinen Arm kaum über Augenhöhe hinaus heben, aber im Augenblick konnte er an nichts anderes denken als an die Tatsache, daß sie ihm trotzte; sie hatte nicht nur geraucht, sondern auch noch versucht, ihm den Gürtel zu entreißen. Sie hatte ihn in höchstem Maße provoziert, und er konnte vor dem Thron des Allmächtigen beschwören, daß sie dafür büßen würde.
Er trieb sie die Wand entlang und ließ Schläge auf sie herniederhageln. Sie hielt die Hände hoch, um ihr Gesicht zu schützen. Der Riemen traf ihre Brüste, ihren Bauch, ihr Gesäß, ihre Beine. In dem stillen Zimmer hörte sich das an wie das Knallen einer Ochsenpeitsche. Aber Beverly schrie nicht wie sonst manchmal, und sie bat ihn auch nicht aufzuhören, was sie früher meistens tat. Was aber am schlimmsten war - sie weinte nicht, und das tat sie sonst immer. Das einzige Geräusch, vom Klatschen des Gürtels abgesehen, waren die Atemzüge - seine schwer und keuchend, ihre leicht und rasch.