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(ich kann dir deine Frau wiedergeben - ich kann es, nur ich - sie wird sich an nichts erinnern, so wie ihr sieben euch an nichts erinnert habt)

Sie waren ihm jetzt schon sehr nahe. Bill konnte riechen, wie Es stank, und erkannte mit plötzlichem übelkeitserregendem Entsetzen, daß das der Geruch der Barrens war, jener Geruch, den sie stets den Abwasserkanälen, dem verschmutzten Kenduskeag und der qualmenden Müllhalde zugeschrieben hatten... aber hatten sie jemals wirklich geglaubt, daß das alles war? Es war sein Gestank, und er mochte in den Barrens am intensivsten gewesen sein, aber er hatte auch wie eine Dunstglocke über ganz Derry gehangen, ohne daß es den Menschen aufgefallen war. Ihnen war es gegangen wie den Zoowärtern im Affenhaus, die sich nach einer Weile so an den Gestank gewöhnen, daß sie sich wundern, warum Besucher die Nase rümpfen. Ihr Geruchssinn war einfach völlig abgestumpft.

»Zusammen!« flüsterte Bill Richie zu, und Richie nickte, ohne seinen Blick von der spinne zu wenden, die nun vor ihnen zurückwich, sich endlich totaler Bedrängnis ausgesetzt sah.

(ich kann euch kein ewiges Leben versprechen, aber ich kann euch berühren, und ihr werdet lange leben, sehr lange - 200 Jahre, 300 Jahre, vielleicht auch 500 - ich kann euch zu Göttern der Erde machen - wenn ihr mich gehen laßt, wenn ihr mich gehen laßt, wenn ihr mich...)

»Bill?« fragte Richie heiser.

Mit einem immer mächtiger anschwellenden Schrei sprang Bill die spinne an, Richie dicht neben ihm. Gleichzeitig schlugen sie mit ihren rechten Fäusten zu, aber Bill begriff, daß sie letztlich nicht mit ihren Fäusten kämpften, sondern mit ihrer vereinten Kraft, verstärkt durch die Kraft jenes letzten anderen; es war die Kraft der Erinnerung und ihrer Wünsche; die Kraft der Liebe und der unvergessenen Kindheit, die sie vorantrieb; es war letzten Endes ihre Geisteskraft.

Der Schrei der spinne dröhnte in Bills Kopf, schien ihm das Gehirn zu sprengen. Er spürte, wie seine Faust und dann sein ganzer Arm bis zur Schulter in eine zuckende Nässe eindrang. Er riß ihn wieder heraus, und sein schwarzes Blut tropfte von seinem Arm und schoß aus dem tiefen Loch hervor, das er in seinen Leib geschlagen hatte.

Er sah Richie in der klassischen Boxer-Stellung fast unter ihm stehen und die Fäuste schwingen, überströmt von seinem dunklen Blut.

Die spinne schlug mit ihren abscheulichen haarigen Beinen nach ihnen -eines davon traf Bill an der Seite, riß ihm das Hemd auf, riß ihm die Haut auf. ihr Stachel peitschte hilflos den Boden. ihre Schreie hallten in Bills Kopf wie Sturmglocken. sie machte einen plötzlichen Ausfall und versuchte, ihn zu beißen, aber statt zurückzuweichen, warf Bill sich jetzt mit seinem ganzen Körper vorwärts wie ein Torpedo. ihr stinkendes Fleisch gab im ersten Moment elastisch nach, so als würde es gleich darauf zurückschnellen und ihn in die Luft schleudern. Mit einem unartikulierten wilden Schrei stemmte er sich mit den Beinen ab und grub seine Hände in ihren Leib. Und plötzlich gelang es ihm, diesen Leib mit seinem Körper zu durchstoßen, und er wurde mit einer heißen, stinkenden Flüssigkeit bespritzt. Sie rann ihm über das Gesicht, in die Ohren. Er schniefte, und diese lebendige Flüssigkeit kroch ihm wie dünne Würmer in die Nase.

Er steckte jetzt bis zu den Schultern in ihrem krampfhaft zuckenden, schwarzen, giftigen, bösen Leib. Und trotz seiner mit der gräßlichen Flüs-

sigkeit verstopften Ohren hörte er nun ein Geräusch, das Ähnlichkeit mit dem gleichmäßigen bum-bum-bum-bum einer großen Baßtrommel an der Spitze einer Zirkusparade hatte.

ihr Herzschlag - sein Herzschlag.

Er hörte, wie Richie einen lauten Schmerzensschrei ausstieß, der in ein keuchendes Stöhnen überging und dann abbrach. Bill ließ seine geballten Fäuste vorschnellen, bohrte sie in seine Eingeweide hinein.

Bum-bum-bum-bum-bum-bum...

Er wühlte mit schleimigen Finger in seinen Eingeweiden herum, zerriß Organe, suchte nach der Ursprungsquelle dieses trommelnden Geräusches und hatte das Gefühl, bald an Luftmangel ersticken zu müssen.

Bum-bum-bum-bum-bum-bum...

Und plötzlich hatte er es zwischen den Händen, ein großes lebendiges Ding, das gegen seine Handflächen pulsierte.

(Nein!Nein!Nein!Nein!Nein!Nein!Nein!)

»ja!« schrie Bill, obwohl er an seinem Giftgestank zu ersticken, in seinen Körperflüssigkeiten zu ertrinken drohte. »Ja! Probier mal, wie das ist! probiermal! WIE GEFÄLLT DIRDAS?«

Er verschränkte seine Finger über seinem Herzen, die Handflächen zu einem auf den Kopf gestellten >V< versteift - und dann drückte er mit aller Kraft zu.

Es stieß noch einen letzten schrecklichen Schrei aus, während sein Herz zwischen Bills Händen zerquetscht wurde, zwischen seinen Fingern auslief.

Bum-bum-bum-bu...

sein letzter Schrei brach ab. Bill spürte, wie sein Körper sich um ihn krampfte wie eine Faust. Gleich darauf erschlaffte alles. sein Spinnenleib neigte sich langsam zu Boden. Bill zog sich rasch daraus zurück. Er drohte das Bewußtsein zu verlieren.

Die spinne brach zusammen und fiel auf die Seite, ein Riesenberg dampfenden Fleisches. ihre Beine zuckten noch krampfhaft, streiften die Tunnelwände, kratzten und schabten auf der Erde herum.

Bill taumelte rückwärts, schnappte keuchend nach Luft, spuckte aus, um den grauenhaften Geschmack aus dem Mund zu bekommen. Er stolperte über seine eigenen Füße und fiel auf die Knie.

Und er hörte ganz deutlich die stimme des anderen; die Schildkröte mochte tot sein, aber wer immer sie erschaffen hatte, lebte.

»MEIN SOHN, DAS HAST DUWIRKLICH GUT GEMACHT!«

Die stimme verklang, und mit ihr schwand auch Bills Kraft. Er fühlte sich schwach und erschöpft, war vor Abscheu und Ekel dem Wahnsinn nahe. Er warf einen Blick über seine Schulter hinweg und sah den schwarzen Alptraum von spinne daliegen und nahm ihre letzten Todeszuckungen wahr.

»Richie!« rief er mit heiserer, brechender Stimme. »Richie, wo bist du, Mann?«

Keine Antwort.

Das Licht war mit seinem Tod erloschen. Bill zog das letzte Streichholzheftchen aus seiner Brusttasche, aber die von seinem Blut durchtränkten Streichhölzer brannten nicht.

»Richie!« schrie er wieder und brach in Tränen aus. Er kroch auf dem Boden vorwärts und tastete mit den Händen im Dunkeln herum. Schließlich stieß er auf eine schlaffe Gestalt und fuhr mit der Hand daran entlang, bis er Richies Gesicht unter seinen Fingern spürte.

»Richie! Richie!«

Keine Antwort. Bill schob einen Arm unter Richies Rücken, den anderen unter seine Knie. Mit Richie in den Armen richtete er sich schwankend auf und stolperte jenen Weg zurück, auf dem sie hergekommen waren.

3. Derry, 10.00 Uhr-10.15 Uhr

Um zehn Uhr schwoll die stetige Vibration in den Straßen der Innenstadt zu einem dröhnenden Rumpeln an. In den >Derry News< würde später zu lesen sein, daß die Träger des unterirdischen Kanalabschnitts durch die sintflutartigen Wassermassen einfach zusammengebrochen wären; aber es gab viele Menschen, die nicht dieser Ansicht waren. »Ich selbst war da, ich weiß Bescheid«, sagte Dave Gardener später zu seiner Frau. »Es stimmt nicht, daß die Träger einfach zusammengebrochen sind. Es war ein Erdbeben. Es war ein gottverdammtes Erdbeben.«

Aber wie auch immer - das Resultat war dasselbe. Als das Dröhnen und Rumpeln immer lauter anschwoll, zerbrachen Fensterscheiben und stürzten Decken ein, und die unmenschlichen Laute brechender Balken und geborstener Mauern bildeten dazu einen furchterregenden Chor. Risse breiteten sich blitzartig von unten nach oben über die ganze Ziegelfassade von Dakins Sport- und Jagdartikelgeschäft aus. Die Pfeiler, auf denen das Vordach des >Aladdin< ruhte, brachen zusammen, und das ganze Vordach stürzte ein. Auf die Richard's Alley ging plötzlich eine Lawine gelber Ziegelsteine nieder, als das 1952 erbaute Norbert Dowd Professional Building einstürzte; eine riesige gelbe Staubwolke stieg empor und wurde vom Wind zu einem dünnen Schleier verteilt.