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Er brüllte vor Schmerz laut auf und schlug sich die Hände vor den Mund, mit weit aufgerissenen, fassungslosen und entsetzten Augen, den Augen eines kleinen Jungen, der gerade mit ansehen mußte, wie sein Hund überfahren wurde. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hindurch und rann ihm über die Handrücken.

»Du hast mir die Zähne eingeschlagen, du Drecksluder!« rief er erstickt. »O Gott, du hast da drin alles zerschlagen!«

Trotzdem gab er nicht auf. Er nahm die Hände vom Mund und versuchte von neuem, sie zu packen. Sein Mund war ein roter Fleck, mit Weiß gesprenkelt. Seine Zähne, dachte sie dumpf. O Tom... Daddy... bitte, nicht mehr, ich werde sonst noch verrückt...

Während jene andere Beverly - jene, die das wahnwitzige Frohlocken eines plötzlich unerklärlicherweise befreiten Galeerensträflings verspürt hatte, als Mike ihr am Telefon die schrecklichen Neuigkeiten berichtete -dachte: gut! schlucksie! erstickdaran!

Es war jene andere Beverly, die nun zum letzten Mal mit dem Gürtel weit ausholte, mit demselben Gürtel, mit dem er in den letzten vier Jahren ihr Gesäß, ihre Beine, ihre Brüste bearbeitet hatte. Eine genau abgestufte Zahl von Hieben für Vergehen von verschiedener Schwere. Für kalt gewordenes Abendessen gab es zwei Hiebe mit dem Riemen. Wenn sie abends noch im Studio arbeitete und vergaß, zu Hause anzurufen, setzte es drei Hiebe. Bei Zigarettenrauch im Haus, wenn er heimkam - einen, quer über die Brüste. Er war gut. Er verletzte sie selten. Es tat nicht einmal so sehr weh; was schmerzte, war die Demütigung. Und am meisten schmerzte das Wissen, daß irgendein kranker und dummer Teil von ihr nach dieser Demütigung verlangte.

Mit diesem letzten Schlag zahlte sie ihm alles heim.

Sie holte aus, zielte tief, und der Riemen sauste auf seine Hoden herab. Das war's. Jede Kampflust entwich schlagartig aus Tom Huggins.

Er kreischte und fiel auf die Knie, als wollte er beten, die Hände zwischen den Beinen, den Kopf zurückgeworfen; seine Halsadern traten wie dicke Stränge hervor, sein Mund war eine Tragödenmaske der Qual.

Sein linkes Knie landete genau auf der großen zackigen Scherbe einer Parfumflasche, und er ließ sich auf eine Seite fallen, riß eine Hand von seinen Eiern los und griff nach dem blutenden Knie.

Das Blut, dachte sie entsetzt. Er blutet überall.

Er wird's überleben, erwiderte jene andere Beverly ganz kalt. Mach lieber, daß du schleunigst hier rauskommst, bevor er auf die Idee kommt, diesen Tanz weiterzuführen. Bevor es ihm einfällt, seine Winchester aus dem Keller zu holen.

Sie machte einige Schritte rückwärts, verspürte einen heftigen Schmerz in ihrem eigenen nackten Fuß, als sie auf eine Glasscherbe des zerbrochenen Bilderrahmens trat und bückte sich nach ihrem Koffer. Sie ließ Tom keinen Moment aus den Augen. Sie ging rückwärts zur Tür, dann den Flur entlang, wobei sie blutige Fußspuren hinterließ.

Sie ging rasch die Treppe hinab, ohne nachzudenken. Sie zwang sich dazu, nicht nachzudenken. Aber sie hatte ohnehin den starken Verdacht, daß sie im Moment keinen zusammenhängenden Gedanken fassen könnte, selbst wenn sie wollte; in ihrem Innern brauste und toste es - es glich einem geborstenen Damm, durch den das Wasser wild hervorschießt.

Sie spürte eine leichte Berührung an einem Bein.

Sie schaute nach unten und sah, daß sie den Riemen noch immer um die Hand gewickelt hatte und daß er an ihrem Bein entlangstreifte. Im trüben Licht auf der Treppe sah er mehr denn je einer toten Schlange ähnlich.

Sie schauderte vor Entsetzen, schleuderte ihn von sich und sah, wie er S-förmig unten auf dem Flurteppich landete.

Im Erdgeschoß angelangt, packte sie den Saum ihres weißen blutbefleckten Spitzennachthemdes und zog es sich über den Kopf. Sie warf es beiseite - es blieb wie ein Fallschirm auf dem Gummibaum am Eingang zum Wohnzimmer hängen - und bückte sich nackt zum Koffer hinunter.

BEVERLY, KOMM SOFORT RAUF!

Sie stieß keuchend den Atem aus. Sie öffnete den Koffer und holte einen Slip, eine Bluse und alte Levis-Jeans heraus. An der Tür stehend, die Treppe ständig im Auge behaltend, streifte sie die Kleidungsstücke über. Aber Tom tauchte oben auf dem Treppenabsatz nicht auf. Er brüllte nur zweimal ihren Namen, und jedesmal zuckte sie bei diesem Laut zusammen, mit gehetztem und zugleich irgendwie furchterregendem Blick.

Sie schloß die Blusenknöpfe, so rasch sie konnte. Die beiden oberen Knöpfe fehlten - es war komisch, sie kam so gut wie nie dazu, ihre eigenen Näharbeiten zu erledigen - und sie vermutete, daß sie ein wenig aussah wie eine Freizeitnutte auf Kundensuche - ohne BH, was deutlich zu sehen war, und mit nacktem Brustansatz. Aber es mußte einfach auch so gehen.

ICH BRINGE DICH UM, DU DRECKSLUDER! Du VERDAMMTES DRECKSLUDER!

Sie warf den Kofferdeckel zu und schloß mit zitternden Händen die Schnallen, ohne darauf zu achten, daß ein Blusenärmel wie eine Zunge aus dem Koffer heraushing. Dann warf sie rasch einen Blick in die Runde -vermutlich würde sie dieses Haus nie wiedersehen.

Es war ein befreiender Gedanke.

Sie öffnete die Tür und trat hinaus.

Sie ging schnell, ohne genau zu wissen wohin, und erst, als sie drei Blocks von ihrem Haus entfernt war, bemerkte sie, daß sie barfuß lief. Der Fuß, mit dem sie in die Scherbe getreten war, pochte dumpf. Sie mußte etwas an die Füße bekommen, und es war fast zwei Uhr morgens. Sie hatte kein Geld. Ihre Brieftasche und ihre Kreditkarten lagen zu Hause. Sie hatte keinen Cent bei sich.

Sie betrachtete diese vornehme Wohngegend - hübsche Häuser, gepflegter Rasen, kultivierte Blumenbeete, dunkle Fenster.

Und plötzlich begann sie zu lachen.

Beverly Huggins saß auf einer niedrigen Steinmauer, den Koffer zwischen ihren nackten, schmutzigen Füßen, und lachte. Die Sterne schienen -wie hell sie waren. Sie warf den Kopf zurück, um sie besser sehen zu können, und lachte und lachte, und jenes verrückte Hochgefühl - jenes undefinierbare Verlangen - durchströmte sie wieder wie eine riesige Flutwelle, die einen emporhebt und trägt; und dieses Gefühl war so stark, so mächtig, daß jeder bewußte Gedanke darin völlig unterging.

Sie lachte zu den Sternen hinauf, verängstigt, aber frei, sie war ganz erfüllt von einem angsterfüllten Jubel wie bei einer Fahrt mit der Berg- und Talbahn; und als im oberen Stockwerk des Hauses, auf dessen Steinmauer sie saß, ein Licht anging, packte sie ihren Koffer und flüchtete - immer noch lachend - in die Nacht hinein.

6. Bill Denbrough nimmt sich etwas Zeit für eine Erklärung

»Wegfahren?« sagte Audra und warf ihm vom anderen Ende des Wohnzimmers aus einen verwunderten Blick zu. In den Räumen war es schon wieder empfindlich kühl, 27. Mai hin oder her. Der Frühling in Südengland war dieses Jahr ungewöhnlich naßkalt gewesen, und bei seinen regelmäßigen Morgen- und Abendspaziergängen hatte Bill Denbrough unwillkürlich mehr als einmal an Maine gedacht... und an Derry. Der Makler hatte die Zentralheizung des Hauses besonders hervorgehoben, aber Bill und Audra hatten schon kurz nach Beginn der Dreharbeiten festgestellt, was die Briten unter Zentralheizung verstanden - nämlich, daß man morgens keine Eisschicht in der Kloschüssel wegpissen mußte.

»Wegfahren?« sagte sie noch einmal, als wäre es ein schwerverständliches Fremdwort. »Bill, du kannst doch nicht einfach wegfahren.«

»Ich muß«, sagte er und ging zum Schrank. Er holte eine Flasche >100 Pi-pers< heraus und schenkte sich ein Glas ein, wobei er etwas verschüttete. »Verdammt!«

»Worüber bist du so beunruhigt?« fragte sie schrill. »Wer war da vorhin am Telefon, Bill?«