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»Ich habe eine Idee«, sagte ich. »Vielleicht taugt sie auch nichts, und wenn sie dir nicht paßt, kannst du's ja ruhig sagen.«

»Und was wäre das?«

»Ich muß noch eine Woche hier im Krankenhaus bleiben«, sagte ich. »Anstatt Audra nach Bangor zu bringen, könntest du diese Woche mit ihr in meinem Haus verleben. Rede mit ihr, auch wenn sie nicht antwortet. Ist sie... ich meine... kann sie auf die Toilette gehen?«

»Nein«, sagte Bill tonlos.

»Und könntest du... könntest du...«

»Ihr sozusagen die Windeln wechseln?« Er lächelte, und es war ein so gequältes Lächeln, daß ich meinen Blick abwenden mußte. So hatte auch mein Vater gelächelt, als er mir von Butch Bowers und den vergifteten Hühnern erzählte. »Ja. Ich glaube, das könnte ich. Schließlich bin ich ja an ihrem Zustand schuld.«

»Es hätte wenig Sinn, dir zu sagen, du solltest dir nicht zuviel Vorwürfe machen, weil du sie dir ja trotzdem machst«, sagte ich, »aber vergiß folgendes bitte nicht - du selber hast mir zugestimmt, daß vieles oder sogar alles von dem, was geschehen ist, vorherbestimmt war. Dazu gehört mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auch Audras Rolle bei dieser Sache.«

»Ich hätte meinen M-M-Mund halten s-sollen; ich hätte ihr nicht sagen dürfen, wohin ich f-f-fuhr.«

Manchmal ist es besser, nichts zu sagen - also schwieg ich.

»In Ordnung«, sagte er schließlich. »Wenn dein Angebot wirklich ernst gemeint ist...«

»Das ist es«, sagte ich. »Hier hast du meine Hausschlüssel. in der Gefriertruhe müssen noch ein paar Steaks liegen. Vielleicht war auch das vorherbestimmt«, fügte ich lächelnd hinzu.

»Sie nimmt hauptsächlich weiche Nahrungsmittel und F-F-Flüssigkeiten zu sich.«

»Vielleicht«, sagte ich immer noch lächelnd, »wird es einen Grund zum Feiern geben. Auf dem obersten Regal in der Speisekammer steht eine gute Flasche Wein. Ein Mondavi. Einheimisch, aber gut.«

Er trat an mein Bett und drückte mir die Hand. »Danke, Mike.«

»Keine Ursache, Big Bill.«

Er ließ meine Hand los. »Richie ist heute morgen nach Kalifornien zurückgeflogen.«

Ich nickte. »Ich nehme an, ihr werdet in Verbindung bleiben.«

»Vielleicht«, sagte er. »Jedenfalls eine Zeitlang. Aber...« Er sah mich niedergeschlagen an. »Ich glaube, es wird wieder passieren.«

»Was? Das Vergessen?«

»Ja. Es hat schon begonnen. Bisher sind es nur Kleinigkeiten. Details. Aber ich glaube, es wird weitergehen, sich immer mehr ausbreiten.«

»Vielleicht ist es so am besten.«

»Vielleicht.« Er blickte aus dem Fenster, spielte immer noch mit seiner Soda-Dose herum und dachte bestimmt an seine Frau, die so schön, aber so regungslos daliegt. Katalanisch. Das hört sich an wie eine Tür, die ins Schloß fällt und verriegelt wird. Er seufzte. »Vielleicht hast du recht.«

»Und was ist mit Ben und Beverly?« fragte ich.

Er schaute mich lächelnd an. »Ben hat sie eingeladen, mit ihm nach Nebraska zu gehen, und sie hat ja gesagt, zumindest für eine Weile. Weißt du über ihre Freundin Bescheid? In Chicago?«

Ich nickte. Beverly hat es Ben erzählt, und Ben hat es mir gestern erzählt. Wenn man es sehr milde ausdrücken will, so war Beverly nicht ganz ehrlich, als sie uns von ihrem wundervollen, fantastischen Ehemann Tom vorschwärmte. Und dieses >nicht ganz ehrlich< ist die Untertreibung des Jahrhunderts! Dieser wundervolle, fantastische Tom hat Bev in den letzten fünf Jahren oder so offensichtlich in emotionaler, psychischer und oft auch in physischer Hinsicht tyrannisiert. Sie hat nach meinem Anruf ihr Haus verlassen, nachdem er sie mit brutaler Gewalt davon abhalten wollte, nach Derry zu fahren. Sie hat die Nacht dann bei einer feministisch eingestellten Freundin verbracht. Tom Huggins hat das vermutet und diese Freundin bedroht und übel zugerichtet, um von ihr zu erfahren, wohin Beverly gefahren ist. Beverly wollte sofort zu dieser Freundin fliegen, als sie erfuhr, was passiert war, aber ihre Freundin überzeugte sie davon, daß das nicht nötig sei, daß Beverly lieber selbst auf der Hut vor Tom sein solle.

»Bev hat mir erzählt, daß diese Freundin sie heute morgen wieder angerufen hat«, berichtete Bill. »Bev hat ihr gesagt, daß Tom immer noch nicht hier aufgetaucht sei, und daß sie die nächsten paar Wochen mit einem Freund verbringe. Falls Tom bis dahin nicht wieder aufgetaucht sei, würde sie nach Chicago fliegen und eine Vermißtenanzeige aufgeben.«

»Ganz schön raffiniert«, sagte ich. »Kein Mensch wird ihn jemals finden. .. dort unten, wo er liegt.«

»Höchstwahrscheinlich nicht«, sagte Bill. »Und ich wette, daß Ben sie begleiten wird, wenn sie zurückfliegt. Aber es ist kein Schachzug von ihr. Sie glaubt wirklich, daß Tom nie hier in Derry aufgetaucht ist.«

»Bist du sicher?«

»Ziemlich s-s-sicher.«

Wir sahen einander an, und keiner von uns beiden war eigentlich überrascht.

»Sie hat es vergessen«, sagte ich.

»Ja, auch bei ihr hat der Prozeß des Vergessens bereits eingesetzt«, sagte Bill. »Ich selbst kann mich beispielsweise nicht mehr daran erinnern, wie jene Tür aussah. Die Tür zu seiner Behausung. Ich versuche, sie mir ins Gedächtnis zurückzurufen, und dann passiert mir etwas ganz Verrücktes

- ich habe G-Geißlein vor Augen, die eine Brücke überqueren. Aus jenem Märchen >The Three Billy-Goats' Gruf<, wo es heißt: >Wer trippelt und trappelt da über meine Brücke?< - Verrückt, nicht?«

»Man wird Tom Huggins' Spur aber doch bestimmt nach Derry verfolgen, wenn Bev Vermißtenanzeige erstattet. Mietwagen, Flugticket und so.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Bill und zündete sich eine Zigarette an. »Ich nehme fast an, daß er sein Flugticket bar bezahlt und einen falschen Namen angegeben hat. Und hier hat er sich dann vielleicht ein billiges Auto gekauft oder eines gestohlen.«

»Wozu denn das alles?«

»Na, überleg mal«, sagte Bill. »Glaubst du, er hat den ganzen weiten Weg gemacht, nur um ihr eine Tracht Prügel zu verabreichen?«

Wir blickten einander in die Augen, dann erhob er sich. »Hör mal, Mike...«

»Du willst mir sagen, daß du jetzt gehen mußt«, sagte ich. »Ich werd's überleben.«

Darüber mußte er herzlich lachen, und als er sich wieder beruhigt hatte, sagte er: »Danke, daß du uns dein Haus zur Verfügung stellst, Mi-key.«

»Ich kann natürlich nicht beschwören, daß es was helfen wird. Soviel ich weiß, hat mein Haus keine therapeutischen Eigenschaften.«

»Na ja... dann geh' ich jetzt.«

Und dann tat er etwas Seltsames, aber sehr Schönes. Er beugte sich vor und küßte mich auf die Wange.

»Gott segne dich, Mikey. Ich lass' mich bald wieder sehen.«

»Vielleicht kommt alles in Ordnung«, sagte ich. »Gib die Hoffnung nicht auf, Bill. Vielleicht kommt doch noch alles in Ordnung.«

Er nickte lächelnd, aber ich glaube, uns dröhnte beiden dasselbe Wort in den Ohren: Katalanisch.

5. Juni 1985

Ben und Beverly waren heute hier, um sich zu verabschieden. Sie fliegen nicht - Ben hat bei Hertz einen großen Cadillac gemietet, und sie wollen sich auf der Fahrt nach Nebraska Zeit lassen. Wenn sie einander anschauen, leuchten ihre Augen auf eine ganz besondere Art und Weise... und ich würde meine ganze Pension darauf verwetten, daß sie - falls sie es jetzt noch nicht tun - so doch spätestens in Nebraska miteinander schlafen werden.

Beverly umarmte mich, sagte, ich solle mich möglichst rasch erholen und weinte dann.