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»Mikey?«

»Ja?«

»Ich liebe dich, Mann.«

»Gleichfalls!«

»Okay. Halt die Ohren steif.«

»Piep-piep, Richie.«

Er lachte. »Ja, ja, immer den armen Richie auslachen, das war von jeher eure Lieblingsbeschäftigung!«

Er legte den Hörer auf, und ich ebenfalls. Und dann ließ ich meinen Kopf aufs Kissen sinken und lag lange Zeit mit geschlossenen Augen da.

7. Juni

Rademacher ist tot, Polizeichef Rademacher, der das Amt Ende der sechziger Jahre von Borton übernommen hatte. Es war ein seltsamer Unfall, den ich unwillkürlich mit all dem assoziiere, was in Derry vorgegangen ist... was in Derry erst vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist.

Das Gerichtsgebäude, in dem auch die Polizei untergebracht ist, steht am Rande jenes Stadtgebiets, das in den Kanal gestürzt ist, und obgleich es nicht eingebrochen ist, muß die Erschütterung - oder die Überschwemmung - am Gebäude schwere Schäden angerichtet haben, ohne daß jemand das bemerkt hatte.

Rademacher arbeitete gestern noch spät abends im Büro, wie jeden Abend nach der Unwetterkatastophe - so steht es in der Zeitung. Das Büro des Polizeichefs befindet sich im vierten Stock, der allgemein als oberster Stock bezeichnet wird. Aber das stimmt nicht ganz, es gibt noch einen fünften Stock, ein Dachgeschoß, wo alle möglichen alten Akten und alter Plunder aufbewahrt werden - unter anderem auch verschiedenes Zeug, das irgendeinen Bezug zur Stadtgeschichte hat. Zu diesen Gegenständen gehörte auch der von mir bereits beschriebene >Landstreicher-Stuhl<. Er war aus Metall und wog über 400 Pfund.

Der Dachboden wurde bei dem Unwetter am i. Juni aufgrund des undichten Dachs überschwemmt, und dadurch soll der Fußboden des Dachgeschosses schwer gelitten haben (so steht es jedenfalls in der Zeitung). Auf alle Fälle brach der schwere >Landstreicher-Stuhl< durch den Fußboden durch und fiel direkt auf Rademacher, der am Schreibtisch saß. Er war auf der Stelle tot. Der diensthabende Polizeibeamte, Bruce Andeen, hörte den ohrenbetäubenden Krach, stürzte in Rademachers Büro und fand ihn. Er lag zwischen den Überresten des total zerschmetterten Schreibtisches, den Kugelschreiber noch in der Hand. Und der >Landstreicher-Stuhl< thronte über ihm wie ein bösartiges eisernes Idol.

Habe wieder mit Bill telefoniert. Audra nimmt ein bißchen feste Nahrung zu sich, aber sonst ist ihr Zustand nach wie vor unverändert. Ich fragte ihn, ob Eddie unter Asthma oder Migräne gelitten habe.

»Asthma«, erwiderte er sofort. »Erinnerst du dich denn nicht mehr an seinen Aspirator?«

»Doch«, sagte ich, und das stimmte auch - nachdem Bill es erwähnt hatte.

»Mike?«

»Ja?«

»Wie hieß er mit Nachnamen?«

Ich warf einen Blick auf mein Adreßbuch, das auf dem Nachttisch lag, aber ich schaute nicht nach. »Ich erinnere mich nicht so recht daran.«

»Es war so was Ähnliches wie Kerkorian«, sagte Bill leicht verstört, »aber doch nicht ganz. Aber du hast alles schwarz auf weiß notiert, stimmt's?«

»Ja.«

»Gott sei Dank!«

»Hast du irgendwelche Ideen in bezug auf Audra?«

»Ich hatte eine Idee«, sagte er, »aber sie ist so total verrückt, daß ich lieber nicht darüber reden möchte.«

»Bist du sicher?«

»Ja.«

»Okay.«

»Mike, es ist ein bißchen furchterregend, findest du nicht auch - dieses Vergessen, meine ich?«

»Ja«, sagte ich. Und das ist es wirklich.

8. Juni

Raytheon, eine Firma, die geplant hatte, im Juli in Derry mit dem Bau einer Zweigniederlassung zu beginnen, hat offensichtlich in letzter Minute beschlossen, ihre Fabrik statt dessen in Waterville zu bauen. Der Leitartikel auf Seite i der >Derry News< drückt seine Empörung darüber aus... aber zwischen den Zeilen glaube ich auch Befürchtungen herauszulesen, und zwar nicht zu knapp.

Ich glaube, ich weiß, was für eine Idee Bill hat. Er wird rasch handeln müssen, sonst wird er sie noch vergessen... und sonst könnte auch die letzte Magie aus dieser Stadt verschwunden sein. Falls das nicht bereits der Fall ist.

Etwas geschieht mit den Namen und Adressen der anderen in meinem Adreßbuch. Sie verblassen. Die Tinte sieht so aus, als wären diese Eintragungen 50 oder 75 Jahre vor allen anderen gemacht worden. Das ist in den letzten vier oder fünf Tagen passiert, und ich bin überzeugt davon, daß spätestens im September diese Namen ganz verschwunden sein werden.

Ich könnte sie natürlich immer wieder abschreiben. Aber ich bin auch überzeugt davon, daß sie jedesmal von neuem verblassen würden, und daß es schon nach kurzer Zeit eine völlig sinnlose Beschäftigung wäre - so als müßte man als Strafarbeit 5Oomal schreiben: Ich darf im Klassenzimmer nicht mit Papierbällen werfen. Ich würde Namen abschreiben, die mir überhaupt nichts sagen, aus einem Grund, an den ich mich nicht erinnern könnte.

Laß es sein, Mikey, laß es sein.

Bill, handle rasch... aber sei vorsichtig!

9.    Juni

Bin mitten in der Nacht von einem schrecklichen Alptraum aufgewacht, an den ich mich nicht mehr erinnern konnte; geriet in Panik, bekam keine Luft. Griff nach der Klingel, klingelte dann aber doch nicht. Hatte eine schreckliche Vision, daß Mark Lamonica auf mein Klingeln hin auftauchen könnte... oder Henry Bowers mit seinem Messer.

Ich griff nach meinem Adreßbuch und rief Ben Hanscom in Nebraska an... die Adresse und Telefonnummer sind noch mehr verblaßt, aber gerade noch lesbar. Hatte jedoch keinen Erfolg. Eine Stimme vom Band teilte mir mit, unter dieser Telefonnummer gäbe es keinen Anschluß mehr.

War Ben fett, oder hatte er so etwas Ähnliches wie einen Klumpfuß?

Lag bis zur Morgendämmerung wach.

10.    Juni

Die Ärzte sagen, ich könnte morgen entlassen werden.

Ich rief Bill an und berichtete ihm das - ich nehme an, ich wollte ihn warnen, daß die Zeit, die ihm noch zum Handeln bleibt, immer knapper wird. Bill ist der einzige von ihnen, an den ich mich noch deutlich erinnern kann, und ich bin überzeugt davon, daß ich der einzige bin, an den er sich noch deutlich erinnern kann. Vermutlich, weil wir beide noch in Derry sind.

»In Ordnung, Mike«, sagte er. »Gut. Wir werden deine B-B-Bude räumen.«

»Bleibt ihr noch in Derry?«

»Nein«, sagte er. »Wir werden morgen nicht mehr hier sein, so oder so.«

»Hältst du immer noch an deiner Idee fest?«

»Ja. Sieht so aus, als sei jetzt die Zeit gekommen, um sie auszuprobieren.«

»Bill... sei vorsichtig.«

Er lachte. »W-Wenn ich vorsichtig b-b-bin, wird die S-Sache nicht funktionieren, das wissen wir doch b-b-beide.«

»Und wie werde ich erfahren, wie die Sache ausgegangen ist, Bill?«

»Du wirst es einfach wissen«, sagte er und legte den Hörer auf.

Mein Herz ist bei dir, Bill, ganz egal, wie diese Sache ausgehen wird. Mein Herz ist bei ihnen allen, und ich glaube, selbst wenn wir einander vergessen, so werden wir uns doch in unseren Träumen erinnern.

Dieses Tagebuch dürfte jetzt fast abgeschlossen sein - und ich vermute, daß es niemals etwas anderes als ein Tagebuch sein wird und daß die Geschichte von Derrys alten Skandalen und sonderbaren Ereignissen außerhalb dieser Seiten nichts zu suchen hat. Und das ist mir jetzt auch sehr recht; ich glaube, wenn ich morgen entlassen werde, dürfte die Zeit gekommen sein, um über irgendeine neue Lebensweise nachzudenken... obwohl mir noch unklar ist, wie sie aussehen könnte.

Meine Freunde, ich liebte euch alle.

Ich liebte euch so sehr.

EPILOG

Bill Denbrough schlägt den Teufel - II