Eine Woche später gibt der Lehrer ihm die Geschichte zurück. Über den Titel ist ein >F< geschmiert, und darunter steht in Großbuchstaben: schund.
Bill tippt die erste Seite - die Seite mit dem >F< - noch einmal ab und schickt seine Geschichte an eine Männerzeitschrift namens > White Tie<. Und er ist überrascht und außer sich vor Freude, als der Bellestristik-Redakteur >Das Dunkel< für 200 Dollar kauft und in einem kurzen Brief als »die beste Horrorgeschichte seit Bradburys >The Jar'<« bezeichnet.
Bill Denbrough begibt sich zu seinem Studienberater und läßt sich von diesem die Karte unterschreiben, auf der steht, daß er aus dem Kurs >Kreati-ves Schreiben 5< ausscheiden möchte. Bill Denbrough heftet diese Karte an den Brief des Redakteurs und befestigt beides am schwarzen Brett an der Tür des Lehrers für kreatives Schreiben. In der Ecke des schwarzen Bretts entdeckt er einen Anti-Kriegs-Cartoon. Und plötzlich schreibt er auf den unteren Rand des Cartoons: Wenn Belletristik und Politik austauschbar wären, wie Sie glauben, würde ich mich umbringen. Belletristik schreiben heißt erzählen, nicht politisieren. Ich weiß das, weil die Politik sich laufend ändert, der Wert einer Geschichte hingegen nie. Nach kurzem Zögern fügt er noch hinzu: Ich würde sagen, daß Sie noch eine ganze Menge lernen müssen.
Drei Tage später erhält er die Bescheinigung über sein Ausscheiden mit der Post zugeschickt. Der Lehrer hat sie unterschrieben. An der Stelle, die für die zensur zur zeit des Ausscheidens frei gelassen ist, steht nicht >ab-gebrochen< oder das >C<, das er nach seinen bisherigen Noten verdient hätte, sondern wieder ein >F<.
Bill könnte diese Angelegenheit vor den Dekan für Kunst und Wissenschaften oder vor den Fakultätsleiter bringen, aber er will mit dem Lehrer für kreatives Schreiben nichts mehr zu tun haben - weder mit dem Mann noch mit seiner Friedenspolitik noch mit seiner Klassenzimmerpolitik der allumfassenden intellektuellen Kriegführung.
Er läßt die ganze Angelegenheit fallen, nimmt sein >F< hin und macht Rhetorik zu seinem Hauptfach.
In seinem letzten Studienjahr schreibt er einen Roman... der Roman wird veröffentlicht und verkauft sich gut... und das Märchen nimmt seinen Anfang. Mit 22 Jahren ist Stotter-Bill Denbrough ein Erfolgsautor; drei Jahre später erlangt er - 3000 Meilen vom nördlichen Neuengland entfernt -eine ihm unangenehme Berühmtheit, indem er einen Filmstar heiratet, der fünf Jahre älter ist als er selbst.
Sowohl seine als auch Audras Freunde (und Feinde) prophezeien, daß die Ehe nicht länger halten wird als sieben Monate. Die Klatschkolumnisten sind derselben Meinung; vom Altersunterschied einmal abgesehen, sind sie auch sonst viel zu verschieden. Er ist groß, neigt aber zur Körperfülle, er trägt eine Brille und hat schütteres Haar. Er spricht langsam, und manchmal scheint er sich überhaupt nicht artikulieren zu können. Sie ist schlank, rotblond, schön - weniger eine irdische Frau als vielmehr ein Wesen aus irgendeiner halbgöttlichen Superrasse.
Er ist engagiert worden, das Drehbuch-Expose seines zweiten Romans >The Black Rapids< - >Die schwarzen Stromschnellen< - zu schreiben - hauptsächlich deshalb, weil er ohne diese Chance die Filmrechte nicht verkaufen wollte. Zum allgemeinen Erstaunen - auch zu seinem eigenen - erweist sich sein Drehbuch als ausgezeichnet. Er wird nach Universal City eingeladen, um dort an den Produktionsversammlungen teilzunehmen und gewisse Änderungen vorzunehmen.
Seine Agentin, ein kleines Persönchen namens Susan Browne, das außergewöhnlich energisch ist, rät ihm davon ab. »Überlaß ihnen die Sache«, sagt diese Frau, die genau 5 Fuß groß und 88 Pfund schwer ist und faszinierende braune Augen hat. »Nimm das Geld und lauf weg. Wenn du dich dorthin begibst, werden sie dich erstens deiner Selbstachtung berauben, zweitens deiner schriftstellerischen Fähigkeiten und - last not least - deiner Eier. Du schreibst großartig, aber du bist ein Kind.«
»Ich muß hin«, sagt Bill. »Ich muß von Neuengland wegkommen.«
»Weshalb denn nur, um Gottes willen?«
»Ich weiß nicht. Es muß einfach sein.«
Susan seufzt. Sie liegen zusammen im Bett. Ihre Brüste sind wie kleine Äpfel, süße Äpfel. Sie zündet eine Zigarette an, und vielleicht glaubt sie, daß er ihre Tränen nicht sieht, aber er sieht sie. Er liebt sie zwar nicht, aber er hat sie sehr gern.
»Dann geh«, sagt sie, und als sie sich ihm wieder zuwendet, sind ihre Augen trocken. »Ruf mich an, wenn du fertig bist. Dann komme ich und sammle die Stücke auf, wenn noch welche von dir übrig sein sollten.«
Audra spielt die Hauptrolle in dem Film - Audra Phillips. Und das einzige, was er in Universal City verliert, ist sein Herz.
»Bill«, sagt Audra wieder und brachte ihn damit in die Gegenwart zurück. Er sah, daß sie den Fernseher ausgeschaltet hatte. Er blickte aus dem Fenster - kalter Nebel drückte gegen die Fensterscheiben, Leichenhänden gleich.
»Ich werde dir erklären, soviel ich kann«, sagte er. »Du verdienst es. Aber zuerst bitte ich dich, zwei Dinge für mich zu tun.«
»In Ordnung.«
»Mach dir einen Drink zurecht und erzähl mir, was du von mir weißt. Was du zu wissen glaubst...«
Sie "sah ihn verwirrt an und ging zum Schrank. »Ich weiß, daß du aus Maine stammst«, sagte sie, während sie sich einen schwachen Gin mit Tonic mixte. Sie hatte einen ganz leichten britischen Akzent, obwohl sie keine Britin war; sie brauchte diesen Akzent für ihre Rolle in >Attic Room< - >Dach-zimmer< -, dem Film, den sie hier drehten. Es war Bills erstes Originaldrehbuch. Man hatte ihm auch angeboten, selbst Regie zu führen; Gott sei Dank hatte er das abgelehnt. Sonst hätte es einen noch größeren Krach gegeben, wenn er jetzt plötzlich nach Amerika flog. Es würde ohnehin schon jede Menge Gerede geben. Bill Denbrough hat endlich sein wahres Gesicht gezeigt, würde es heißen. Er ist eben auch nur so ein verdammter Schriftsteller, verrückter als eine Scheißhausratte.
Weiß Gott, im Augenblick hatte er tatsächlich das Gefühl, verrückt zu sein.
»Ich weiß, daß du einen Bruder hattest, den du sehr liebtest, und daß er starb«, fuhr Audra fort. »Ich weiß, daß du mit deinen Eltern von Bangor nach Portland umgezogen bist, als du zwölf warst, und daß dein Vater an Lungenkrebs gestorben ist, als du siebzehn warst. Du hast einen Bestseller geschrieben als du noch auf dem College warst... das muß sehr merkwürdig für dich gewesen sein.«
Er sah es an ihrem Gesicht - ihre plötzliche Erkenntnis, daß es zwischen ihnen Geheimnisse gab.
»Im darauffolgenden Jahr hast du >Die schwarzen Stromschnellen< geschrieben, und ein Jahr später bist du nach Hollywood gekommen, um für Universal das Drehbuch zu schreiben. Und in der Woche vor Beginn der Dreharbeiten fand eine Party statt, und du trafst eine sehr komplizierte junge Frau namens Audra Phillips, die fünf Jahre zuvor noch schlicht und einfach Audrey Philpott geheißen hatte. Und diese junge Frau war am Ertrinken. ..«
»Audra, nicht«, sagte er.
Ihr Blick hielt dem seinigen stand. »Jawohl, am Ertrinken. Zuviel Alkohol, zuviel Aufputschmittel am Morgen und zuviel Beruhigungsmittel am Abend, damit ich - damit sie - einschlafen konnte. Zuviel Interviews, zuviel Sex, zuviel Partys, zuviel gutes Essen. Natürlich waren das alles nur Symptome. Nur Teile des einen großen Syndroms. Weißt du, wie ich es jetzt bezeichne, Bill?«
»Nein.«
Sie nippte an ihrem Drink und lächelte, wobei sie ihm immer noch in die Augen blickte. »Ich nenne es das Freddy-Prinze-Syndrom. Wenn... wenn einfach alles auf einen einströmt. Wie die letzten 15 Minuten von >2001<. Wenn man nicht wegschauen kann. Weißt du, was das für ein Gefühl war?«