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Aber, mein Gott, was Adrian Mellon passiert ist, hat solche Ähnlichkeit mit dem, was dem Bruder von Stotter-Bill im Herbst 1957 zugestoßen ist.

Wenn es tatsächlich wieder begonnen hat, werde ich sie anrufen müssen.

Ich werde es tun müssen. Aber noch ist es zu früh. Deshalb warte ich ab und fülle die Wartezeit mit Aufzeichnungen aus; und manchmal betrachte ich mich lange im Spiegel, betrachte den Fremden, in den der Junge von einst sich verwandelt hat. Dieser Junge hatte das schüchterne Gesicht eines Bücherwurms; der Spiegel zeigt mir einen Mann, der aussieht wie ein Bankkassierer in einem Western, der immer eine farblose Gestalt ist und nichts weiter zu tun hat als ängstlich auszusehen und die Hände hochzunehmen, wenn die Bankräuber das befehlen.

Und meistens wird er erschossen, während die Bankräuber fliehen.

Derselbe alte Mike. Leichte dunkle Ringe unter den Augen, ein bißchen abgespannt vom unruhigen Schlaf, jedoch nicht so, daß es jemandem stark auffallen würde. Wenn jemand einen flüchtigen Blick auf mich wirft, während ich sein Buch abstemple, wird er höchstens denken: Er liest zuviel von seinen eigenen Büchern - vermutlich die heißen Stellen. Aber das ist auch schon alles. Niemand würde auf die Idee kommen, daß der Mann im weißen Hemd mit dezenten roten Streifen, den man seinem Gesicht nach eher auf 45 als auf 37 schätzen würde, der Mann ohne Ringe an den Fingern, der Mann mit einer Nickelbrille auf der Nase - daß dieser Mann gegen eine panische Angst ankämpft, die ihn nicht mehr losläßt.

Wenn ich anrufe, könnte diese Nachricht einige von ihnen umbringen.

Das gehört zu den Dingen, die mich während der langen Nächte beschäftigen, wenn ich nicht schlafen kann, wenn ich in meinem hellblauen Pyjama im Bett liege, meine Brille und ein Glas Wasser neben mir auf dem Nachttisch. Ich frage mich, woran sie sich noch erinnern mögen, und irgendwie bin ich überzeugt davon, daß sie sich an gar nichts mehr erinnern können. Ich bin der einzige, der die Stimme der Schildkröte hört, der sich erinnert, weil ich der einzige bin, der hier in Derry geblieben ist, wo alles sich ereignete. Und weil sie in alle vier Winde verstreut sind, können sie auch nichts von den identischen Mustern ihres Lebens wissen. Sie zurückholen, ihnen jenes Muster aufzeigen... es könnte einige von ihnen umbringen, es könnte sie alle umbringen.

Ich denke immer und immer wieder darüber nach; ich denke an sie und versuche zu entscheiden, wer von ihnen am verletzbarsten ist. Tozier, glaube ich manchmal, Tozier, der so oft von Criss und Huggins und Bowers schikaniert wurde (Bowers, in erster Linie war es Bowers, vor dem Richie Angst hatte); wenn ich ihn anriefe - würde das für ihn so eine Art schrecklicher Wiederkehr seiner Peiniger bedeuten, von denen zwei im Grabe liegen und einer bis zum heutigen Tage im Irrenhaus von Augusta Tobsuchtsanfälle bekommt? Manchmal glaube ich - Kaspbrak. So leicht für ihn, schwach zu sein, ängstlich zu sein, nach Hause zur Mama zu laufen, seinen Aspirator in der einen Hand, seine Tabletten in der anderen. Zuviel Tabletten. Eine Überdosis, wie man es nennt. Und dann keine Träume mehr. Zumindest soviel wir wissen. Oder vielleicht Denbrough, wenn er mit einem Horror konfrontiert wird, den er nicht einfach dadurch bannen kann, daß er die Hülle über seine Schreibmaschine zieht? Stan Uris? Oder Beverly, die immer versuchte, die Starke zu spielen, aber genauso Angst hatte wie wir alle?

Ein rasiermesserscharfes Fallbeil hängt über ihren Köpfen, aber ich glaube nicht, daß sie das wissen. Und ich kann es auf sie niedersausen lassen, einfach indem ich mein Adreßbuch öffne, in dem ihre Telefonnummern stehen, und sie anrufe.

Ich klammere mich an die schwache Hoffnung, daß ich einfach die Angstschreie meines eigenen begrenzten Verstandes fälschlicherweise für die Stimme der Schildkröte halte. Was habe ich denn schließlich in der Hand? Ein Kind, das letzten Oktober tot aufgefunden wurde; ein weiteres, das Anfang Dezember, kurz vor dem ersten Schneefall, ermordet wurde. Vielleicht war es wirklich ein Landstreicher, wie die Zeitungen schreiben. Oder ein Verrückter, der Derry inzwischen verlassen oder Selbstmord begangen hat. Vielleicht. Aber das Albrecht-Mädchen wurde im Witcham Park umgebracht, nur eine Viertelmeile von der Stelle entfernt, wo 27 Jahre zuvor George Denbrough umgebracht wurde... und es geschah am gleichen Tag. Und dann der Johnson-Junge, der verstümmelt auf der Outer Jackson Street lag.

Es könnte Zufall sein. Zufall oder sogar eine Art böses Echo. Ist so etwas möglich? Ja, ich glaube, daß es hier in Derry sehr wohl möglich ist. Vielleicht waren die Ereignisse von 1957 und 1958 so etwas wie ein lauter, schrecklicher Schrei, der in einen wie auch immer gearteten psychischen Canyon drang. 27 Jahre vergehen, und dann kommt das Echo jenes Schreis zurück, reflektiert von irgendeiner Felswand am äußersten Ende der Realität. Zwei Kinder und ein armer Schwuler sterben, und... Schluß. Tout fi-nis.

Möglich?

Wenn man geneigt ist, an Gespenster und Monster und Geisterspuk zu glauben, kann man es vermutlich durchaus für möglich halten.

Aber glaube ich an diese Erklärung?

Nein, Gott steh' mir bei.

Ich glaube, daß es immer noch hier ist, jenes Etwas, das schon früher hier war, 1957 und 1958, jenes Etwas, das 1929 und 1930 hier war, als der >Black Spot< von der Maine Legion of White Decency niedergebrannt wurde, jenes Etwas, das 1902 und 1903 hier war, als die Kitchner-Eisenhütte explodierte, jenes Etwas, das 1875 und 1876 hier war, jenes Etwas, das etwa alle 27 Jahre hier aufgetaucht ist, mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks, dessen Auftauchen sich sehr weit zurückverfolgen läßt, obwohl es natürlich immer verschwommener wird, je weiter man zurückgeht, weil es über jene Zeiten wenig schriftliche Quellen gibt, weil die Mottenlöcher in der Geschichte dieses Ortes größer und größer werden.

Ja, ich glaube, es ist zurückgekehrt. Ich glaube, ich werde anrufen müssen. Wir sind dazu ausersehen: das spüre ich. Irgendwie, entweder durch blinden Zufall oder durch das Wirken eines blinden Schicksals, sind'wir diejenigen, die auserwählt wurden, ihm für immer Einhalt zu gebieten. Oder ist es wieder jene verdammte Schildkröte? Erteilt sie vielleicht auch Befehle? Ich weiß es nicht. Und ich glaube, das ist auch nicht weiter wichtig. Vor vielen Jahren sagte Bilclass="underline" Die Schildkröte kann uns nicht helfen, und wenn es damals so war, so wird es auch jetzt so sein.

Ich denke daran, wie wir dort im Wasser standen, uns bei den Händen hielten und jenen Schwur leisteten zurückzukommen, wenn es jemals wieder beginnen sollte - wir standen fast wie Druiden im Kreis, Handfläche an Handfläche, unser Versprechen mit unserem Blut besiegelnd. Ein unbewußt vollzogenes Ritual, das vielleicht so alt ist wie die Menschheit, ein unbewußter Zapfen, der in den Baum der Allmacht getrieben wurde - jenen

Baum, der an der Grenze all unseres Wissens und dem Land all unserer Vermutungen wächst.

Denn die Ähnlichkeiten...

In meinem Gehirn ist ein Echo am Werk, ein inneres Stottern, das mich veranlaßt, diese Angelegenheit immer und immer wieder durchzugehen -einige wenige Tatsachen und eine Menge unangenehmer Vermutungen; und ich werde immer besessener davon, je mehr Zeit verstreicht. Aber es ist so schwer, auf Ereignisse zu warten.

Diese Aufzeichnungen sind ein Versuch, der Besessenheit ein wenig Herr zu werden - oder vielleicht auch nur, ihren Gesichtskreis zu erweitern, sich auf mehr zu konzentrieren als nur auf sechs Jungen und ein Mädchen, die alle nicht glücklich waren und von ihren Altersgenossen nicht akzeptiert wurden, und die während eines heißen Sommers, als Eisenhower noch Präsident war, in einen Alptraum hineinstolperten. Es ist ein Versuch, die Kamera ein wenig zurückzuschieben, um die ganze Stadt in den Blickpunkt zu bekommen, einen Ort, wo fast 35000 Menschen arbeiten und essen und schlafen und sich lieben und einkaufen und Auto fahren und Spazierengehen und die Schule besuchen und gelegentlich sterben.