Mich längst ... Das war kein Traum, o nein!
Sowie Du eintratst, gleich erkannte
Mein Herz Dich wieder, jauchzte, brannte
Und rief: er ist's, er muß es sein!
War's nicht Dein Hauch, der mich umwehte,
Mir zusprach, wenn ich einsam stand,
Wenn ich der bittren Armut Nöte
Zu lindern ging, wenn im Gebete
Die bange Seele Tröstung fand?
War's nicht Dein Bildnis, glanzumwoben,
Das nächtlich dann vom Himmel droben
Herabglitt in mein Schlafgemach,
Sich flüsternd an mein Kissen schmiegte
Und mich mit süßen Worten wiegte,
Aus denen sel'ge Hoffnung sprach?
O komm und löse meine Zweifeclass="underline"
Wer bist Du, Engel oder Teufel,
Versucher oder Schutz und Freund?
Ach, wenn nun Träume nur mich narren,
Mein töricht' Herz vergeblich weint,
Und andre Lose meiner harren ...?
Gleichviel! Es ruht ja mein Geschick
Von nun an doch in Deinen Händen,
Dich sucht mein tränenfeuchter Blick,
Nur Du vermagst mir Trost zu spenden ...
O sieh: hier steh' ich ganz allein,
Niemand versteht mich, unbeachtet
Verwelkt mein Herz, mein Geist verschmachtet, Ich muß vergehn in stummer Pein.
O komm: der Seele banges Hoffen
Belebt ein einz'ger Blick von Dir;
Wenn anders – dann zernichte mir
Dies Wahngebilde hart und offen!
Ich schließe! Wie mich Wort um Wort
Schon reut – ich fühle Scham und Grauen ...
Doch Ihre Ehre sei mein Hort:
Ihr will ich frei mich anvertrauen ...«
XXXII
Nun holt sie Atem, tief erschüttert,
Und bebt und seufzt aus Herzensgrund;
Die ros'ge Briefoblate zittert
An ihrem fieberheißen Mund.
Sie neigt das Haupt in bangem Sinnen
Und merkt kaum, daß das zarte Linnen
Von ihrer weißen Schulter glitt ...
Schon naht des Morgens leiser Schritt:
Der Mond verblaßte, Nebel wallen,
Aus lichten Schleiern grüßt das Tal;
Vom Fluß her blitzt ein Silberstrahl;
Man hört das Horn des Hirten schallen;
Es tagt – das Dorf ist längst erwacht:
Tatjana hat auf gar nichts acht,
XXXIII
Bleibt von der Morgenröte Schimmer
Wie unberührt, sitzt stumm gebückt
Und hat das Petschaft auch noch immer
Dem kleinen Brief nicht aufgedrückt.
Da knarrt die Tür: behutsam leise
Erscheint Filipjewna, die greise,
Und bringt den Morgentee herein.
»Wach auf, wach auf, mein Töchterlein!
Ei, sieh doch, munter schon? Willkommen,
Du kleine Frühaufsteherin!
Du bist gesund, wie froh ich bin!
Gottlob, mir ist die Angst genommen,
Das böse Fieber ist entflohn,
Die Wänglein frisch wie roter Mohn!«
XXXIV
»Ach, Amme, tu mir eine Liebe ...« –
»Gern, gern, mein Schatz.« – »Versprich mir noch: Denk ja nicht ... wirklich ... ich betriebe ...
Glaub mir ... indes ... o tu es doch!« –
»Kind, was es sei, ich will's erfüllen.« –
»Schick deinen Enkel denn im stillen
Mit diesem Brief zu O ... nun ja,
Zum Nachbarn ... Sag, er soll mir da
Kein Wort verraten, mich nicht nennen,
Soll unbedingt verschwiegen sein.« –
»Schön, doch zu wem, mein Töchterlein?
Ich weiß mich da nicht auszukennen.
Dazu ist mein Verstand zu dumm –
Es gibt viel Nachbarn hier herum.« –
XXXV
»Ach, Amme, kannst du denn nicht fassen?« –
»Geliebtes Kind, bin schon so alt,
Da will der Kopf zu nichts mehr passen;
Ja, früher, da verstand ich bald:
Die Herrschaft durfte bloß befehlen ...« –
»Ach, Amme, nur nicht lang erzählen,
Was braucht es denn viel Kopf dafür?
Du siehst ja doch, dies Briefchen hier
Soll zu Onegin.« – »Ah, nun eben.
Sei drum nicht bös, du weißt ja, Kind,
Wie täppisch alte Leute sind ...
Doch wie du blaß wirst, süßes Leben!« –
»Belanglos! Sorg dich nicht um mich;
Nur schnell den Boten, spute dich.«
XXXVI
Doch keine Antwort, nichts ... So scheidet
Der Tag; am nächsten – wieder nichts!
Seit frühem Morgen angekleidet,
Harrt Tanja bleichen Angesichts.
Wladimir kommt am Nachmittage;
Mama empfängt ihn mit der Frage:
»Wo steckt denn eigentlich Ihr Freund?
Der Herr vergaß uns, wie mir scheint.«
Tatjana fühlt ihr Herz erkalten ...
»Er sagte mir, er käme heut«,
Entgegnet Lenski ihr zerstreut,
»Vielleicht hat Post ihn aufgehalten.«
Erschrocken schaut Tatjana fort:
Ihr klingt's wie Vorwurf aus dem Wort.
XXXVII
Schon dämmert's; drinnen summt beschaulich
Der Samowar sein Abendlied;
Im bunten Teetopf brodelt's traulich,
Und weißer Dampf zischt auf und sprüht.
Der duftig-goldne Trank, bereitet
Von Olgas Händen, quillt und gleitet
In blanke Tassen; nebenbei
Gibt's süßen Rahm und Näscherei.
Tatjana bleibt am Fenster sitzen,
Haucht stumm die kalten Scheiben an
Und sinnt und seufzt und zeichnet dann
Mit ihren zarten Fingerspitzen
Aufs trübe Glas in ernstem Weh
Die teuren Chiffren O und E.
XXXVIII
Und härmt sich; ihre Augen schwimmen,
Ihr ist die Brust wie zugeschnürt.
Horch: Hufschlag ... nah und näher ... Stimmen ...
Ihr Herz erstarrt: dort galoppiert
Onegin auf den Hof! Sie flüchtet
Blind fort durch Haus und Diele, richtet
Zur Gartentür in Hast den Lauf,
Rennt, rennt und schaut vor Angst kaum auf,
Springt über Beete, Rasen, Steige,
Läuft durch den Lindengang zum Hain,
Am Weiher hin, zertritt am Rain
Die Blumen, knickt die Fliederzweige,
Flieht atemlos den Bach entlang –
Und sinkt erschöpft auf eine Bank ...
XXXIX
»Er hier, Eugen!« Sie stöhnt und wimmert;
»Mein Gott, was hat er wohl gedacht!«
Ein letztes Fünkchen Hoffnung schimmert
Durch ihrer Seele trübe Nacht:
Sie bebt und horcht, die Wangen glühen –
Nichts regt sich ... Nur von ferne ziehen
Vertraute Klänge an ihr Ohr:
Dort sang der fleiß'gen Mägde Chor
Beim Beerenpflücken muntre Lieder
(Wie strengstens anbefohlen war,
Damit kein Mäulchen aus der Schar
Sich unterm Strauch so hin und wieder
Am Obst der Herrschaft gütlich tat:
Ja, kluge Gutsherrn wissen Rat!).
Gesang der Mädchen
»Mädchen, frisches junges Blut,
Herzensmädchen, lieb und gut,
Laßt am muntren Spiel uns freun,
Frohen Sinns und lustig sein!
Stimmt ein Liedchen an und singt,
Daß es hell ins Weite klingt.
Und den Burschen jung und schlank
Lockt euch her zu Spiel und Sang.
Merkt er auf und tappt herbei,
Hurtig dann und mit Juchhei
Flieht und lacht und werft dem Tropf
Rote Beeren an den Kopf,
Rote Kirschen über ihn,
Muß der Schelm von dannen ziehn.