VIII
Er war gescheit und welterfahren,
Drum lud Eugen, dem überdies
Sein Geist und Witz willkommen waren,
Zumal er Schwächen gelten ließ,
Den Nachbarn, dessen Ton ihm paßte,
Sehr oft und gern zu sich zu Gaste,
Weshalb es ihn nicht wundernahm,
Daß er so früh schon zu ihm kam.
Doch schien, der sonst'gen Art entgegen,
Sarezki heut verstockt zu sein,
Ging auf Gespräch nicht weiter ein
Und überreichte halb verlegen
Ein Schreiben von des Freundes Hand.
Eugen erbrach es, las – und fand:
IX
Mit dürren Worten angedeutet,
Nach allen Regeln – ein Kartelclass="underline"
Kalt-förmlich, nur von Haß geleitet,
Entbot ihn Lenski zum Duell.
Sogleich und ohne Überlegung
Beschied Eugen in erster Regung
Den Bringer dieser Neuigkeit:
Er sei natürlich stets bereit.
Der schien es bündig aufzufassen,
Erhob sich, schützte da und dort
Geschäfte vor und eilte fort.
Doch kaum mit sich allein gelassen,
Empfand Eugen auf einmal klar,
Wie unklug sein Verhalten war.
X
Denn strenggenommen, vorm Gewissen,
War sein Betragen gestern schlecht,
Er hätte sich entschuld'gen müssen.
Zuerst mal war es schon nicht recht,
Der zarten Neigung des Poeten
So spöttisch dreist zu nah zu treten.
Und zweitens, wenn ein junger Tor
Von achtzehn Jahr'n den Kopf verlor,
So war's verzeihlich. Er dagegen,
Dem Freunde doch von Herzen gut,
Er durfte nicht aus Wankelmut
Sich gleich nach Knabenart erregen,
Gleich blindlings raufen wollen – nein,
Er mußte männlich, maßvoll sein.
XI
Er durfte sich vernünftig wehren,
Jedoch nicht sinnlos borstig tun;
Er hätte Lenskis Zorn beschwören,
Entwaffnen müssen. »Freilich nun –
Nun (denkt er) ist's zu spät, hat leider
Doch schon der alte Ehrabschneider
Und Duellant sich eingemischt,
Der gar zu gern im trüben fischt.
Was käme dann wohl zur Erscheinung,
Wenn der's herumträgt, bissig-scharf,
Und jeder Tölpel spotten darf ...!«
Da seht: die öffentliche Meinung,
Den Götzen, der die Ehre zwingt,
Dem alle Welt ihr Opfer bringt!
XII
Daheim harrt Lenski Stund um Stunde,
Von Ungeduld und Haß verzehrt,
Bis triumphierend mit der Kunde
Der Nachbar endlich wiederkehrt.
O wie das wohltat seinem Drange!
Schon war der Eifersücht'ge bange,
Der freche Spötter könnte ihn,
Um vor der Waffe feig zu fliehn,
Mit einem schnöden Vorwand prellen.
Doch nun sind alle Zweifel fort:
Gleich morgen, bei der Mühle dort,
Ist's abgemacht, sich einzustellen,
Und dann wird, wie's die Hand befiehlt,
Auf Schenkel oder Stirn gezielt.
XIII
Er will fortan die Falsche hassen,
Vorm Zweikampf nicht zu Olga gehn,
Kann abends aber doch nicht lassen,
Verstohlen nach der Uhr zu sehn,
Um schließlich – ach, was sind Bedenken! –
Zu seinen Larins abzuschwenken.
Er dachte: »Tret' ich so herein,
Wird Olga wie zerschmettert sein.«
Welch Irrtum! Frank und ungezwungen,
Die flücht'ge Hoffnung in Person,
So kam sie vor der Haustür schon
Auf unseren Dichter zugesprungen,
Beglückt und harmlos, frisch und klar,
Kurz – niedlich, wie sie immer war.
XIV
Ihr erstes Wort ist: »Sag, weswegen
Gingst gestern du so früh nach Haus?«
Ihn überläuft's, er steht verlegen
Und weiß vor Scham nicht ein noch aus.
Vor dieser Augen heller Güte,
Der Anmut dieser Mädchenblüte,
Vor dieser offnen Herzlichkeit
Flieht Groll und Argwohn, schmilzt sein Leid: Fürwahr, er hat umsonst gelitten,
Sie liebt ihn noch mit ganzer Huld!
Schon fühlt er reuig seine Schuld,
Schon will er um Verzeihung bitten,
Bebt, ringt nach Worten, zaudert, weilt –
Und ist beseligt, fast geheilt ...
XV/XVI/XVII
Und wiederum, die Stirn in Falten,
Steht Lenski trüb und zweifelnd da
Und wagt nicht, Olga vorzuhalten,
Was gestern auf dem Ball geschah.
Er überlegt: »Ich will sie retten,
Sie des Verführers Schmeichelketten
Entreißen, der mit Trug und List
Nach ihrer Unschuld lüstern ist,
Will hindern, daß mit gift'gem Bisse
Der Wurm den Liliensproß zersticht,
Auf daß die holde Blüte nicht,
Noch kaum entfaltet, welken müsse.«
Natürlich war damit gemeint:
Ich schieße mich mit meinem Freund.
XVIII
Ach, daß kein Blick ihm offenbarte,
Was Tanja litt in tiefster Brust!
Sie selbst das Unheil nicht gewahrte!
Sonst hätte, wenn sie drum gewußt,
Daß sich Eugen und Lenski grollten
Und morgen blutig kämpfen wollten,
Nach ihrer Liebe Kraft vielleicht
Der Freunde starren Sinn erweicht!
Doch, leider, niemand wußte eben
Um ihre stille Leidenschaft,
Onegin schwieg gewissenhaft,
Und sie verschloß sich stumm ergeben.
Nur vor der Amme Angesicht
Lag's offen, doch erriet sie's nicht.
XIX
Freund Lenski war den Abend heute
Sehr aufgeregt und wunderlich,
Bald trüb, bald froh – wie Dichtersleute
Nun einmal sind: erst ließ er sich
Mit düstrer Stirn am Piano nieder,
Griff Mollakkorde, seufzte wieder,
Sah dann verzückt nach Olga hin
Und hauchte: »Wie ich glücklich bin!«
Es wurde spät, der Abschied drängte.
Da war's, als wenn mit einemmal
Ein Übermaß von Seelenqual
Sein sorgenschweres Herz zersprengte.
Sie will ihn halten: »Hör, ein Wort –
Was fehlt dir?« – »Nichts.« So stürzt er fort.
XX
Kommt heim, sucht gleich sein Paar Pistolen
Vom Schrank hervor, prüft Hahn und Lauf,
Ist rasch entkleidet, schürt die Kohlen
Und schlägt im Bett den Schiller auf.
Doch kann sein Geist nicht Ruhe finden,
Sein Herz die Angst nicht überwinden,
Denn unbeschreiblich süß und mild
Umschwebt ihn Olgas Engelsbild.
Er muß das Buch vor Wehmut schließen,
Greift flugs zur Feder, um sein Leid
Und seiner Liebe Seligkeit
In Versen schmachtend auszugießen,
Und deklamiert sie voller Glut
(Wie oft im Rausch Freund Delwig tut).
XXI
Sie wurden später aufgefunden;
Hier folgt die Abschrift, wortgetreu:
»Wohin, wohin bist du entschwunden,
Du meiner Jugend güldner Mai?
Was bringt er mir, der künft'ge Morgen,
Des Antlitz, tief in Nacht verborgen,
Annoch unfaßbar meinem Blick?
Gleichviel, gerecht ist das Geschick.
Und fall' ich auch, ins Herz geschossen,
Soll mir das Blei vorübergehn –
Schlaf oder Wachen, mag geschehn,
Was droben über mich beschlossen.
Willkommen sei des Lebens Not,
Willkommen auch ein früher Tod!