XXII
Wenn mit der Morgenröte Prangen
Der neue Tag herniederlacht,
Bin ich vielleicht schon eingegangen
Ins Schattenreich der Grabesnacht;
Versenkt in Lethes finstren Gründen,
Wird des Poeten Namen schwinden
Und bald verwehn. Nur du allein,
O Engel, wirst mir Tränen weihn,
Zu meiner Urne seufzend wallen
Und sinnen: ach, er war mir gut,
Sein ganzes Herz, in junger Glut,
In Glück und Harm war mein vor allen! ...
O komm, Geliebte, komm zu mir,
Dein Freund – dein Gatte ruft nach dir! ...«
XXIII
So schrieb er schwülstig, trist und fade (»Romantisch« wird das heut genannt,
Doch mit Romantik hat's gerade
Nicht viel zu tun; was soll der Tand?),
Um kurz vor Tag mit matten Blicken
Schlaftrunken langsam einzunicken,
Und flüstert' schlafend noch einmal
Das Modewörtchen »Ideal«.
Ein Labsal, das nicht lange währte,
Weil gleich darauf der Kamerad
Geräuschvoll in sein Stübchen trat
Und seinen kurzen Frieden störte:
»Die Uhr ist sechs, auf, auf, mein Sohn,
Geschwind, Onegin wartet schon!«
XXIV
Er täuschte sich: noch tief im Traume
Lag unser Held, den Pflichten fern.
Schon dämmert's leis am Himmelssaume.
Der Hahn begrüßt den Morgenstern –
Noch ruht das Weltkind schlafumfangen.
Schon ist die Sonne aufgegangen
Und überstreut mit weißem Glanz
Kristallner Flocken Wirbeltanz –
Er aber träumt noch mit der Miene
Der Unschuld sanft im Schlafgemach.
Doch jetzt auf einmal wird er wach,
Gähnt, reckt sich, teilt die Bettgardine
Und schaut – bis plötzlich er gewahrt:
Es ist ja höchste Zeit zur Fahrt!
XXV
Er schellt: sofort erscheint am Bette
Guillot, ein Franzmann, sein Lakai,
Hilft emsig bei der Toilette
Und bringt Habit und Schuh' herbei.
Onegin schlüpft in seine Sachen
Und heißt Guillot sich fertigmachen,
Um mitzufahren; als Gepäck
Verlangt er nur sein Schießbesteck.
Der Schlitten jagt, wie anbefohlen,
Zur Mühle hin; dort irgendwo
Wird haltgemacht, dann muß Guillot,
Im Arm die grausen zwei Pistolen,
Dem Kavalier zur Seite gehn.
Der Schlitten bleibt beim Wäldchen stehn.
XXVI
Längst harrte Lenski bei der Schleuse
Voll Ungeduld; sein Kamerad
Besah derweil nach Kennerweise
Den Mechanismus. Endlich naht
Eugen, bedauert sein Verspäten
Und grüßt. Sarezki fragt betreten:
»Wo aber bleibt Ihr Sekundant?«
Denn er als alter Duellant
War für System in derlei Dingen
Und hielt darauf, den Menschen nur
Streng klassisch, wie die Kunst verfuhr,
Nach allen Regeln umzubringen,
Getreu dem Brauch, wie sich's gehört
(Das war unstreitig lobenswert).
XXVII
»Mein Sekundant?« Eugen wird heiter:
»Hier mit Verlaub: Monsieur Guillot,
Mein Freund; man fragt ja wohl nicht weiter
Nach Herkunft, noch warum, wieso;
Er ist ein Diener von Manieren
Und darf als Ehrenmann passieren.«
Sarezki schaut verdutzt und schweigt.
Onegin drauf: »Man scheint geneigt,
Kann's also losgehn?« – »Nach Belieben«,
Wirft Lenski hin. Die vier im Schritt
Ziehn querfeldein; Sarezki tritt
Nebst seinem Ehrenmann da drüben
Im ernsten Zwiegespräch zurück.
Die Gegner senken stumm den Blick.
XXVIII
Die Gegner! Nach so wenig Stunden
Durch grimmen Blutdurst schon entzweit?
Sind sie nicht jüngst noch eng verbunden,
Zwei gute Freunde, jederzeit
Mit ganzer Seele eins gewesen?
Und wollen nun, betört vom Bösen,
In unbegreiflich wilder Wut,
Erbfeinden gleich, mit kaltem Blut
Einander ins Verderben schicken –
Statt aufzulachen, froh zu sein,
Daß noch die Hand von Frevel rein,
Und sich versöhnt ans Herz zu drücken? ...
O falscher Ehrbegriff der Welt,
Der Schamgefühl für Schwäche hält!
XXIX
Schon wird geladen, Läufe blitzen;
Der feste Pfropfen wird vom Stahl
Gehämmert, bis die Kugeln sitzen;
Es knackt der Hahn zum erstenmal.
Dann streut man Pulver auf die Pfannen
Und eilt, das Drehschloß anzuspannen,
Das mit dem scharfen Feuerstein
Den Funken schlägt. Vor Angst und Pein
Verkriecht Guillot sich unterdessen.
Das Paar wirft rasch die Mäntel ab,
Sarezki, schweigsam wie ein Grab,
Hat zweiunddreißig Schritt vermessen,
Und jeder Gegner wählt den Stand
Und harrt, die Waffe in der Hand.
XXX
»Jetzt los!« Und bittren Ernstes schreiten
Zwei Feinde, noch den Hahn in Ruh',
Bedächtig, stumm, von beiden Seiten
Vier Schritte aufeinander zu.
Vier Schritte, die zum Jenseits führen.
Nun hebt in stetem Avancieren
Onegin, schweigend wie zuvor,
Ganz langsam sein Pistol empor.
Fünf Schritt noch sind zurückzulegen.
Jetzt hat auch Lenski haltgemacht,
Legt an und zielt – da plötzlich kracht
Onegins Schuß ... mit dumpfen Schlägen
Entschied das Los: der Dichter wankt,
Sein Arm versagt, die Waffe schwankt,
XXXI
Er führt die Linke still zum Herzen
Und fällt ... sein mattes Auge spricht
Von sanftem Sterben, ohne Schmerzen.
So von der Bergwand löst sich, bricht
Und stürzt, zerstäubt im Sonnenstrahle,
Die Schneelawine jäh zu Tale.
Ein eis'ger Schauer packt Eugen –
Er eilt herzu, er will ihn sehn,
Kniet nieder, ruft ihn an – vergebens:
Es ist vorbei, der Würfel fiel,
Der Jüngling fand ein frühes Ziel;
Es hat die Blüte dieses Lebens
Der Sturm geknickt im Morgenrot.
Das reine Licht erlosch im Tod.
XXXII
Da lag er, starr, mit bleichem Munde,
Entseelt, entrückt dem Erdenweh.
Noch immer troff aus seiner Wunde
Das Herzblut dampfend in den Schnee.
Und eben erst, noch vor Minuten,
Glomm dieses Herz in heil'gen Gluten,
Noch eben schlug's in junger Kraft
Für Liebe, Haß und Leidenschaft:
Und nun ist jeder Ton verklungen,
Wie im verlaßnen, leeren Haus –
Rings totenstill, die Lichter aus,
Die Fenster übertüncht, zersprungen,
Die Läden zu, kein Mensch darin,
Die Wirtin fort, Gott weiß wohin.
XXXIII
Dem Feind mit scharfen Epigrammen
Zu Leibe gehn ist eine Lust;
Ein Labsal, wenn in Zornesflammen
Der Tölpel, seiner Schmach bewußt,
Sich schämt, zum Spiegel hinzublicken,
Weil ihn verdiente Hörner schmücken;
Und köstlich, wenn er wütend flennt
Und seine Fratze selbst erkennt!
Weit schöner noch, sich kühl zu rächen,
Dem Kerl die Maske fortzuziehn
Und vornehm schweigend über ihn