Nicht untergehe stumpf und schal
Vor Ekel, Scham und Seelenqual
Im Strudel dieser Weltgenüsse,
In diesem Pfuhl, drin alle wir
Uns wälzen, Freunde, ich und ihr.
Siebentes Buch
O Moskau, Rußlands liebste Tochter,
Wo gibt es eine, die dir gleicht?
Dmitrijew
Moskau nicht lieben, unsern Stolz?
Baratynski
Auf Moskau schimpfen! Ja, das macht das Reisen aus!
Wo ist's denn schöner? –
Wo wir nicht zu Haus.
Gribojedow
I
Schon schmilzt auf allen Bergen droben
Der Schnee im Frühlingssonnenstrahl
Und rinnt, zu trübem Naß zerstoben,
Ins quellenfeuchte Wiesental.
Mit Lächeln grüßt, noch traumbefangen,
Natur des Lenzes frische Wangen:
Der Himmel strahlt in lichtem Blau,
Der Wald beginnt sein kahles Grau
Mit zartem, grünem Flaum zu füllen.
Schon schwärmt aus ihrem Winterhaus
Nach Blütenkost die Biene aus,
Es sprießt die Flur, die Herden brüllen;
Schon singt im Buschwerk überall
Bei Mondenschein die Nachtigall.
II
Wie bangt mir doch bei deinem Kommen,
O Lenz, du Zeit der Liebeslust!
Welch tiefe Schwermut, dumpf beklommen,
Bedrängt, belastet meine Brust!
Mit welch entsagend leiser Trauer
Ergeb' ich mich dem Wonneschauer,
Spür' ich den Hauch der Frühlingszeit
In meines Dörfleins Einsamkeit!
Kann denn mein Herz nicht mitgenießen?
Muß, während alles strahlt und lebt
Und jauchzend nach dem Lichte strebt,
Sich meine Seele stumm verschließen,
Gefühllos bleiben, taub und kalt,
Wo ringsum heller Jubel schallt?
III
Bedenkt sie, statt sich mitzufreuen,
Daß alle Wipfel frisch belaubt,
Des Waldes Stimmen sich erneuen,
Wie schnell der Herbst die Zierde raubt?
Betrübt sie's, während reichgestaltet
Natur sich ewig neu entfaltet,
Daß eigner Jugend Glück und Wert
Mit keinem Lenz je wiederkehrt?
Wacht etwa, zaubrisch sich enthüllend,
Ein andrer, in der Jahre Lauf
Entschwundner, goldner Frühling auf,
Das Herz mit banger Sehnsucht füllend
Nach einem Land im Süden fern,
Mit Wundernächten, Mond und Stern? ...
IV
Wohlauf denn, ihr bequemen Reichen,
Ihr Schwelger ohne Pflicht und Amt,
Ihr Großfeudalen ohnegleichen,
Epikureer allesamt,
Buchwürmer ihr aus Lewschins Samen,
Und ihr, empfindungszarte Damen;
Herbei, der Frühling ist erwacht,
Da alles blüht und webt und lacht,
Die Zeit verschwiegner Promenaden
Und nächtlich süßer Schwärmerei ...
Aufs Land, aufs Land, herbei, herbei!
Geschwind gepackt und aufgeladen,
Kaleschen, Chaisen, Kutschen vor
Und ungesäumt hinaus zum Tor!
V
Auch du, mein Leser, eile, rüste
Und flieh den Lärm der dumpfen Stadt,
Soviel sie auch für Herz und Lüste
Den Winter durch gespendet hat:
Komm, laß poetisch dich geleiten,
Um fern in Waldeseinsamkeiten
Das weltverlorne Dorf zu sehn,
Wo jüngst noch unser Freund Eugen
Als Nachbar Tanjas, meiner stillen,
Geliebten, holden Träumerin,
Den öden, langen Winter hin
Sich stumm vergrub mit seinen Grillen
Und heut, entflohn dem Paradies,
Nur trübe Spuren hinterließ ...
VI
Dann folge mir zu jenen Hügeln,
In deren Halbrund unverweilt
Ein Bach, darin sich Linden spiegeln,
Gekrümmten Laufs durch Wiesen eilt.
Am Hange dort, wo Rosen klettern,
Im Frühling Nachtigallen schmettern
Und Quellen murmeln früh und spät,
Dort bei den Zwillingskiefern steht
Ein Grabmal, halb versteckt im Grünen,
Und eine Inschrift meldet dir:
»Wladimir Lenski schlummert hier,
Hinweggerafft vom Tod der Kühnen,
Des Alters soundso viel Jahr.
Ruh sanft, du junger Dichteraar!«
VII
Aus Zweigen, die im Morgenwinde
Sich niederbeugten übers Grab,
Hing sonst als treues Angebinde
Ein schlichter, kleiner Kranz herab;
Und gegen Abend kamen immer
Beim Pilgergang im Mondenschimmer
Zwei Schwestern her, umarmten sich
Und weinten lang und bitterlich.
Das ist vorüber ... längst verwirrte
Gestrüpp den Pfad zum stillen Ort,
Er liegt verwaist, der Kranz ist fort;
Und nur der alte fromme Hirte
Flicht seine dürftig bastnen Schuh'
Noch heute hier – und singt dazu.
VIII/IX/X
Mein armer Lenski! Olgas Trauer
War anfangs tief, doch bald vorbei;
Ist seinem Schmerz doch auf die Dauer
Ein junges Bräutchen selten treu.
Ein andrer bot sich ihren Blicken,
War bald ihr Tröster, ihr Entzücken,
Und trat als Sieger auf den Plan:
Ein hübscher, flotter Herr Ulan
Hat Herz und Hand im Flug gewonnen ...
Und sieh, schon steht sie am Altar,
Frisch, rosig, wie sie früher war,
Von weißem Schleier zart umsponnen,
Gesenkten Haupts, dem Glück geweiht,
Im Antlitz heiße Seligkeit!
XI
Mein armer Lenski! Ob die Kunde,
Wie wenig Olga sein gedacht,
Ihn wohl betrübte dort, im Grunde
Der wesenlosen Grabesnacht?
War ihm vielleicht zu sanftem Frieden
An Lethes Ufern Schlaf beschieden,
Der allen Erdenjammer stillt
Und in den Bann des Schweigens hüllt?
Ja, trostreich winkt uns das Vergessen
Im Jenseits dort: was Freund und Feind,
Was uns die Liebe nachruft, weint –
Verstummt auf ewig. Währenddessen
Der Erben Gier sich blinderregt
Noch lang um seinen Nachlaß schlägt.
XII
Sehr bald verklang im trauten Kreise
Der Larins Olgas muntrer Ton:
Den Herrn Ulan rief schnöderweise
Die Pflicht zurück zur Garnison.
Die Mutter schwamm in Tränenströmen,
Ihr fiel das bittre Abschiednehmen
Ganz über alle Maßen schwer.
Bloß Tanjas Augen blieben leer;
Ihr bleicher Ernst nur offenbarte,
Wie tief sie seelisch mitempfand.
Und als man dann am Tore stand,
Sich alles dort zusammenscharte,
Zum letzten Scheidegruß bereit,
Gab sie dem Wagen ihr Geleit.
XIII
Und winkte lange noch den Lieben
Umflorten Auges hinterdrein ...
Und nun war sie zurückgeblieben,
Zurückgeblieben ganz allein!
Die Schwester, ihr so treu verbunden,
Die Trautgefährtin froher Stunden,
Das Schicksal trug sie, ach, von Haus
Für immer in die Welt hinaus.
Nun irrt sie durch des Gartens Stille,
Vereinsamt, wie ein Schatten hin,
Nichts freut sie, nirgends weilt ihr Sinn;
Der unterdrückten Tränen Fülle
Vergrößert, steigert nur den Schmerz –
Ein Riß geht mitten durch ihr Herz.
XIV
Und im Alleinsein, im Entbehren,