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Vertieft sich ihre Leidenschaft,

Und wieder nach Eugen begehren

Die Sinne mit erneuter Kraft.

Allein, sie muß ja von ihm lassen,

Sie muß den Brudermörder hassen,

Darf nie ihn wiedersehn ... Jedoch,

Wer weiß denn heut vom Dichter noch?

Er starb ... Schon längst gewann zur Ehe

Ein andrer seines Bräutchens Hand;

Sein flüchtig Angedenken schwand

Gleichwie Gewölk in blauer Höhe;

Und nun bewahren, trüb und stumm,

Es wohl zwei Herzen nur ... Warum?

XV

Am Abend war's, zur Dämmerstunde.

Bleich stand der Mond; der Strom ging sacht;

Die Käfer summten in der Runde;

Ein Fischerfeuer war entfacht;

Vom Dorf her schallte muntrer Reigen.

Und unterdessen, tief im Schweigen,

Streift einsam unsre Träumerin,

Tatjana, durch die Felder hin.

Weit, weit ... Da taucht vor ihren Schritten

Am Wiesenhang ein Landsitz auf

Und, klar umspielt vom Wasserlauf,

Ein dunkler Park, ein Schloß inmitten.

Und wie sie hinschaut – unbewußt

Pocht laut das Herz ihr in der Brust.

XVI

Unschlüssig schwankt sie, voll Erwarten:

»Was tu' ich? ob ich's wagen kann?

Er ist ja fort ... Auf Haus und Garten

Ein Blick – mich kennt man nicht; wohlan!«

Verhaltnen Atems steigt sie nieder,

Bleibt stehn, kommt näher, zögert wieder,

Schaut lange ratlos um sich her ...

Und schlüpft durchs Tor: der Hof ist leer.

Da plötzlich kläfft es ihr entgegen,

Ein Hundeschwarm – ihr lauter Schrei

Lockt eine Knabenschar herbei,

Die hurtig mit Geschrei und Schlägen

Die Köter auseinanderjagt

Und nach des Fräuleins Wünschen fragt.

XVII

»Wird man das Schloß wohl ansehn können?«

Ein kleiner Bursch war gleich so flink,

Zur alten Pförtnerin zu rennen,

Bei der des Hauses Schlüssel hing.

Bald war Anisja selbst zur Stelle,

Und schon steht Tanja auf der Schwelle,

Die stummen Räume öffnen sich,

Daraus Eugen erst jüngst entwich.

Sie schaut: noch Spuren sind geblieben,

Am Billard ein vergeßnes Queue,

Im Saal dort auf dem Kanapee

Die Gerte ... »Am Kamin da drüben«,

Fällt nun die Alte tonlos ein,

»Saß unser Gnäd'ger oft allein.

XVIII

Hier speisten im vergangnen Winter

Der weiland Lenski mit dem Herrn.

Und hier, belieben, gleich dahinter,

Sein Kabinett. Hier hat er gern

Vorm Aufstehn Kaffee eingenommen,

Hat dann vom Vogt Rapport bekommen

Und früh gelesen. Eben hier

War auch des alten Herrn Quartier ...

Des Sonntags saßen Seine Gnaden

Am Fenster, setzten feierlich

Die Brille auf und ließen mich

Zu einem Spielchen Schafskopf laden.

Gott gebe seiner Asche Ruh'

Und ew'ge Seligkeit dazu.«

XIX

Voll Rührung, wie in stiller Feier,

Schaut unsre Tanja ringsumher,

Es deucht ihr alles wert und teuer,

Füllt ihre Seele mehr und mehr,

Je tiefer sie darein versponnen,

Mit schmerzlich-süßen, scheuen Wonnen!

Der Tisch, die kleine Lampe drauf,

Die vielen Bücher, Hauf an Hauf,

Das schlichte Decktuch überm Bette,

Der Blick ins dämmerfahle Land,

Lord Byrons Bildnis an der Wand

Und dort, geformt zur Statuette,

In heldisch ernster Positur

Des finstren Korsen Erzfigur.

XX

In diesem modisch eignen Zimmer

Steht Tanja lange wie verzückt.

Schon wich des Abends letzter Schimmer,

Es dunkelt, traumhaft ferngerückt

Ruht Fluß und Hain im Nebelspiele;

Der Mond versank; nun mahnt die Kühle,

Daß unsre Pilgerin vor Nacht

Sich eiligst auf die Wandrung macht.

Und noch bestürmt von Herzensnöten,

Die sie nur seufzend bergen kann,

Schickt Tanja sich zum Heimweg an,

Nachdem sie Freiheit sich erbeten,

Hier öfters aus und ein zu gehn,

Um all die Bücher anzusehn.

XXI

Am Hoftor schied sie von der Alten.

Doch anderntags schon, wie im Traum,

Betrat, vor Sehnsucht nicht zu halten,

Sie wieder jenen stillen Raum

Und spann sich hier im Kabinette,

An der von ihm verlaßnen Stätte,

In ihren Gram versunken ein

Und weinte lang für sich allein.

Dann endlich fing sie an zu lesen:

Zwar erst mißfiel ihr alles noch,

Weil fremd und seltsam; bald jedoch

Ergriff sie dieses andre Wesen,

Und langsam in der Stunden Lauf

Ging eine neue Welt ihr auf.

XXII

Obschon Eugen, wie wir ihn kennen,

Nicht viel Geschmack an Büchern fand,

War dennoch manches Werk zu nennen,

Das hoch in seiner Schätzung stand:

So Byrons Schriften, des Titanen,

Nebst einer Auswahl von Romanen,

Worin die nackte Wirklichkeit,

Zumal der Mensch der heut'gen Zeit,

Sich scharfumrissen widerspiegelt,

Wie er, moralisch ohne Halt,

Voll Egoismus, nüchtern-kalt,

Beständig in Phantasmen klügelt,

An bittrer Weltverachtung krankt

Und inhaltslos durchs Leben wankt.

XXIII

Auf vielen Seiten waren Stellen

Vom Fingernagel angemerkt,

Und Tanja ward in solchen Fällen

Im Eifer nur noch mehr bestärkt.

So wird sie voll Bewundrung inne,

An welchem Ausdruck, welchem Sinne

Sich einst Eugen betroffen stieß,

Und was er schweigend gelten ließ;

Wird seiner scharfen Bleistiftzüge

Mit Staunen überall gewahr:

Aus allem spricht unmittelbar

Sein Geist in Urteil, Lob und Rüge,

Bald durch ein Kreuz, ein kurzes Wort,

Bald Fragezeichen hier und dort.

XXIV

Und nun beginnt ihr ganz allmählich

Schon mehr Verständnis aufzugehn

Für ihn, der, ach, unwiderstehlich

Ihr armes Herz bezwang, durch den

Zu leiden ihr bestimmt die Götter.

Doch dieser Sonderling und Spötter,

Den Himmel oder Hölle schuf,

Mit Engelsfittich, Teufelshuf –

Was stellt er vor? Ein bloßes Schemen,

Ein Trugbild? Ist er, wie's geschieht,

Ein Moskowitergeck, bemüht,

Childe Harolds Maske anzunehmen?

Ein Phrasenheld, der andern gleicht?

Nur eine Parodie vielleicht? ...

XXV

Ob wohl das rechte Wort gefunden,

Des Rätsels Sinn gedeutet ist?

So träumt sie oft; es fliehn die Stunden,

Längst wird sie schon daheim vermißt,

Allwo Mama mit noch zwei Alten

Ernst ihretwegen Ratschlag halten.

Frau Larin seufzt: »Man sieht doch klar,

Sie ist kein Kind mehr, Olga war

Die jüngre; täglich wird es schlimmer,

Was fang' ich mit dem Mädel an?

Die Zeit ist da, ihr fehlt ein Mann,

Kommt aber wer, dann heißt es immer:

›Ich mag nicht!‹ Jedem kommt sie dumm

Und schmollt und streift im Wald herum.«

XXVI

»Vielleicht verliebt?« – »Dann möcht' ich wissen, In wen? Bujanow schlug sie aus,