Wie seltsam! Nicht einmal die Wangen
Entfärbten sich, ihr Angesicht
Schien gänzlich klar und unbefangen ...
Auch selbst die Lippen zuckten nicht,
Wie auch sein Blick sich forschend mühte:
Von jener scheuen Mädchenblüte
War nichts an dieser Fürstin mehr.
Er wollte sprechen, kämpfte schwer
Und konnte doch kein Wörtchen finden.
Drauf fragte sie, wie lang er aus,
Woher er käme, ob von Haus?
Erhob sich, streifte beim Entschwinden
Den Herrn Gemahl mit müdem Blick ...
Und ließ Eugen betäubt zurück.
XX
Dies sollte Tanja sein? Das Wesen,
Dem er vor langer Zeit einmal
(Ihr habt's im Vierten Buch gelesen)
In ihrem fernen Heimatstal,
Vom Geist des Predigens geleitet,
Moral gepredigt, Weh bereitet?
Sie, deren Brief er noch bewahrt,
Darin ein Herz sich offenbart,
Das keusch nach seiner Liebe schmachtet?
Dies Mädchen – oder war's ein Traum? –
Die Kleine, die er damals kaum
In ihrem Winkel dort beachtet;
Unfaßbar, die bewies ihm heut
Solch überlegne Festigkeit?
XXI
Er flüchtet aus den lauten Räumen,
Fährt grübelnd heim und sinkt ins Bett,
Gequält von schmerzlich süßen Träumen,
Am Morgen weckt ihn ein Billett:
Fürst N. beehrt sich, Dero Gnaden
Zum Abend höflichst einzuladen.
»Zu ihr – O Gott! ... Wohlan, zu ihr!«
Rasch fliegt die Antwort aufs Papier:
Er folge dankbar dem Befehle.
Doch was bedeutet diese Glut?
Erhitzt dies sonst so träge Blut,
Entzündet diese kalte Seele?
Groll? Eitelkeit? Wenn nicht die Kraft
Erwachter Liebesleidenschaft?
XXII
Und wieder kann er's kaum ertragen,
Wie langsam Stund' um Stunde schleicht.
Da endlich hat es zehn geschlagen!
Er hat im Flug ihr Haus erreicht
Und steht, verzehrt von innrem Fieber,
Im Saal der Fürstin gegenüber ...
Sie ist allein, sie nötigt ihn
Zum Sessel. Seine Wangen glühn,
Er stottert mit verlegnem Munde,
Weiß kaum zu sprechen, quält sein Hirn,
Zermartert sich mit finstrer Stirn
Durch eine bange Viertelstunde,
Stiert vor sich hin, gedrückt und scheu –
Und sie bleibt ruhig, kühl und frei.
XXIII
Des Fürsten Zwischenkunft beendet
Dies unbequeme Tête-à-tête.
Er plaudert, zu Eugen gewendet,
Von Jugendstreichen, wird beredt
Und gibt zu lachen. Gäste kommen.
Rasch ist dem Ton der Zwang genommen,
Sprüht Witz und Laune reich empor;
Selbst vor der Hausfrau darf Humor
Ganz ungeniert die Schwingen heben,
Um bald Gesprächen ohne Streit,
Gemeinplatz, Schwulst und Förmlichkeit,
Kurz, ernsten Themen Raum zu geben,
In denen geistreich freie Art
Bewußt des Anstands Grenzen wahrt.
XXIV
Allein, des Adels höchsten Blüten
Sah man auch hier die Streberwelt
Nebst Protzentum und Parasiten,
Die nirgends fehlen, beigesellt:
Da waren alte, gift'ge Damen,
Die scheußlich aufgedonnert kamen;
Gezierte Fräulein, blaß und fein,
Bestrebt, recht fürnehm-steif zu sein;
Ein Diplomat sprach unverdrossen
Vom Reich und dessen Daseinszweck;
Und ein geschminkter alter Geck
Hielt seine greisenhaften Possen,
Worüber heut kein Mensch mehr lacht,
Für äußerst wirksam angebracht.
XXV
Auch war ein Pamphletist erschienen,
Der ewig was zu tadeln fand:
Den Ton der Herrn und ihre Mienen,
Der Damen krassen Unverstand,
Das Plappern von Romanen, Wetter
Und Politik, den Klatsch der Blätter,
Den Haushalt, weil der Tee zu flau,
Und nicht zuletzt die eigne Frau
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XXVI
Auch Herr Prolasow war zugegen,
Die Niedertracht im Ehrenkleid
(Von dir, St.-Priest, der Komik wegen
In allen Albums konterfeit).
Ein andrer Balldiktator lehnte
Gelangweilt an der Tür und gähnte
Und wirkte, in sein Nichts gehüllt,
Als koloriertes Modebild.
Zum Schluß bemühte sich vor allem
Ein Fremder, kürzlich zugereist,
Durch steifen Dünkel, trocknen Geist
Und Plumpheit närrisch aufzufallen:
Ein lächelnd ausgetauschter Blick
Verwies ihm stumm sein Ungeschick.
XXVII
Onegins Augen aber hingen
Nur an Tatjana wie gebannt,
Nicht jenem einstmals so geringen,
Verliebten, scheuen Kind vom Land,
Das er so kalt zurückgestoßen –
Nein, an der Fürstin, an der großen,
Vollkommnen Frau, dem nun so fern
Entrückten, strahlend hellen Stern
Der schönen, kaiserstolzen Newa.
Wie töricht seid ihr Menschen doch!
Euch lockt die Schlange immer noch
Zum Sündenbaum wie Mutter Eva:
Kein Eden hat euch je erfreut,
Wo nicht verbotne Frucht gedeiht!
XXVIII
Wie hatte Tanja sich entfaltet!
Wie schnell den sichren Ton erfaßt,
Der im Salon der Großen waltet,
Dem hohen Rang sich angepaßt!
Wer hätte hier, im goldnen Rahmen,
In dieser Königin der Damen
Die Schüchternheit vom Dorf erkannt?
Und einst war er der Gegenstand
All ihrer Wünsche, all ihr Sehnen!
Sie hatte schlaflos Nacht um Nacht
Mit bangen Seufzern sein gedacht,
Zum blassen Mond in bittren Tränen
Hinaufgeschaut, und ach – so oft
Ein Glück an seinem Arm erhofft!
XXIX
Ein jedes Alter frönt auf Erden
Der Liebe – doch der Jugend nur
Kann ihre Macht zur Wohltat werden,
Wie Lenzgewitter junger Flur:
Der Leidenschaften Maienregen
Entsprießt ein reicher Blütensegen,
Der in des Lebens Erntezeit
Zu voller, süßer Frucht gedeiht.
Doch wehe, wen in späten Tagen
Der Liebeswahnsinn übermannt!
Ihm hinterläßt er totes Land:
Wie wenn im Herbst, vom Sturm zerschlagen,
Der Wald sein welkes Laub verliert
Und Feld und Flur Morast gebiert.
XXX
Kein Zweifel mehr: zu Liebesgluten
Ist jetzt Onegins Herz entfacht,
Nur für Tatjana will es bluten,
Für sie nur schlägt es Tag und Nacht.
Der Einsicht Warnung überhörend
Erscheint er, sich im Wunsch verzehrend,
Nun früh und spät vor ihrer Tür,
Und wie ein Schatten folgt er ihr:
Ja, bloß von ihrem Arm zuweilen
Gestreift sein, sie mit duft'gem Schal
Umhüllen dürfen, vorm Portal
Den bunten Troß der Diener teilen,
Sich um ihr Taschentuch bemühn –
Schon das beglückt, beseligt ihn!
XXXI