Sich um ihr Taschentuch bemühn –
Schon das beglückt, beseligt ihn!
XXXI
Doch all sein Eifer, all sein Drängen
Ist nutzlos: sie bemerkt ihn nicht,
Kaum daß sie bei den Hausempfängen
Mit ihm drei flücht'ge Worte spricht.
Bald grüßt sie ihn mit leichtem Nicken,
Bald ist er Luft vor ihren Blicken.
Trotzdem kein Hauch Koketterie –
Denn Vornehmheit verabscheut sie.
Eugen wird stündlich bleicher, trüber;
Sie sieht's nicht, übergeht es wohl.
Er magert ab, wird schlaff und hohl,
In seinen Augen flackert Fieber.
Man warnt ihn allseits, drängt und rät
Zu Badereisen, Kur, Diät.
XXXII
Er aber sträubt sich, will nicht weichen,
Dann eben noch zum Tod bereit.
Auch jetzt von ihr kein Mitleidszeichen
(So hart ist oft die Weiblichkeit!).
Jedoch sein Starrsinn kann's nicht fassen,
Will nicht die Hoffnung sinken lassen,
Und dreist in kranker Leidenschaft
Entschließt er sich mit letzter Kraft,
Sein Herz ihr brieflich auszuschütten,
Obschon er sonst doch, wie bekannt,
Das Schreiben dumm und zwecklos fand;
Allein die Qual, die er gelitten,
Der Liebeswahnsinn riß ihn fort.
Hier steht's zu lesen, Wort für Wort:
Onegins Brief an Tatjana
»Ich weiß im voraus: dieser Brief
Voll bittren Wehleids wird Sie kränken.
Sie werden niedrig von mir denken
Und zürnen – ach, ich fühl' es tief!
Was will ich auch? Wie darf ich wagen,
Den Schrein des Busens unbedacht
Hier aufzuschließen, statt zu fragen,
Wie sehr mich dies verächtlich macht!
Einst führte Zufall uns zusammen.
Ich sah Ihr Herz in keuschen Flammen
Für mich erglühn – und trat zurück,
Zu kühl, um Wünschen nachzugeben.
Ich wollte frei sein – eitles Streben! –
Und schlug es aus, das holde Glück.
Dann hat noch eines uns geschieden:
Freund Lenski starb durch meine Hand ...
Da hab' ich ohne Ruh' und Frieden
Mein Herz von allem, was mich band
Und was mir lieb war, losgerissen.
Nun sollte Freiheit, wie zum Spott,
Mir Glück ersetzen ... Großer Gott,
Wie furchtbar hab' ich büßen müssen!
Nein: immerwährend um Sie sein,
Beständig Ihren Reiz vor Augen,
Ihr Lächeln, Ihrer Anmut Schein
Mit heißer Inbrunst in sich saugen,
Durchdrungen sein von Ihrem Wert,
Zu Ihren Füßen niedergleiten
Und wunden Herzens, qualverzehrt
Erlöschen – das sind Seligkeiten!
Und mir versagt ... Auf Ihrer Spur
Zieh' ich wie blind umher und leide;
Mein Leben zählt nach Tagen nur,
Und ich verschwende noch, vergeude
Der flücht'gen Stunden kurze Frist,
Die schon an sich bloß Trübsal ist.
Drum muß, so hilflos ich verderbe,
Soll nicht zu früh mein Hauch vergehn,
Mir jeder Morgen, eh ich sterbe,
Gewißheit schenken, Sie zu sehn ...
Nur bangt mir, daß in meinen Klagen
Ihr Unmut schnöde List entdeckt,
Mein leiser Wunsch Ihr Mißbehagen,
Mein Seufzer Ihren Zorn erweckt!
O könnten Sie die Pein empfinden,
Wenn man, nach Liebe sehnsuchtsvoll
Verlangend, mit Verstandesgründen
Das heiße Blut beschwicht'gen soll –
Wenn Ihre Knie man umfassen,
Aufschluchzen möchte, allem Leid
In Tränen freien Lauf zu lassen,
Zu stammeln, was im Herzen schreit –
Und doch der strengen Form sich schicken
Und martern muß, in leichtem Ton
Zu plaudern, ja – zu allem Hohn –
Sie höflich lächelnd anzublicken! ...
Wohlan denn, sei es drum: mir schwand
Die letzte Kraft zu widerstreben;
An Ihrem Urteil hängt mein Leben,
Mein Schicksal ruht in Ihrer Hand!«
XXXIII
Kein Antwortbrief. Er schreibt zum zweiten-,
Zum drittenmal – verlorne Müh'.
Da endlich unter Fürstlichkeiten
Auf einem Ball erblickt er sie:
O wie sie ausweicht, kühl ihn schneidet,
Ihn keines Wortes würdigt, meidet!
In ihrer Haltung ihm so feind,
Von eis'gem Hauch umgeben scheint!
Wie dieser stolze Mund Bewegung
Und innern Unmut meistern kann!
Onegin starrt sie sprachlos an:
Wo sind die Spuren von Erregung,
Von Mitleid, Tränen, Zorn? – Nein, nein,
Dies Angesicht ist kalt wie Stein!
XXXIV
Wie, oder spielt sie nur die Rolle,
Damit ihr Mann und dieser Kreis,
Nichts von Vergangnem ahnen solle,
Davon nur er, Onegin, weiß? ...
Ach, eitler Wahn! Er eilt von hinnen,
Flucht seinen blindbetörten Sinnen,
Ihr Sklave dennoch fort und fort,
Und schließt zu Haus sich ein, um dort
Nun wiederum die Welt zu meiden.
Und hier in stummer Einsamkeit
Gedenkt er nun der frühern Zeit,
Da ihn inmitten lauter Freuden
Der graue Trübsinn nicht verließ
Und in den dunklen Winkel stieß.
XXXV
Jetzt fing er wieder an zu lesen,
Las kunterbunt Chamfort, Rousseau,
Manzoni, Herder, Gibbons Thesen,
Madame de Staël, Bichat, Tissot,
Den skeptisch ernsten Bayle im Fluge,
Dann Fontenelle in einem Zuge,
Griff endlich, mürrisch wie er war,
Zu unsern Russen, ja sogar
Zu Almanachen nebst Journalen,
Wo man uns heut mit Bildung speist
Und mich so arg herunterreißt,
Mich, den man dort in Madrigalen
Noch jüngst so pries als neuen Stern ...
E sempre bene, meine Herrn!
XXXVI
Doch nur sein Auge war gebunden,
Die Seele schweifte weit im Raum,
Verzehrt von Sehnsucht, krank an Wunden,
Gequält von blindem Hoffnungstraum.
Dem Schoß der engbedruckten Seiten
Entstiegen andre Wesenheiten,
Vom Geistesauge nur erschaut,
Geheimnisvoll und doch vertraut:
Vergeßne Märchen, Zaubersagen
Der Kindheit, Spuk und allerhand
Bedrohlich Dunkles, wirrer Tand,
Manch krauser Wahn aus frühen Tagen,
Verheißnes, das im Busen schlief –
Und eines Mädchens Liebesbrief.
XXXVII
Solch dumpfem Brüten hingegeben,
Betäubt sein Geist sich mehr und mehr,
Und immer neue Bilder schweben,
Phantastisch wechselnd, um ihn her:
Er sieht im Schnee mit starren Zügen
Den Körper eines Jünglings liegen,
Umstrahlt vom ersten Morgenrot,
Und Stimmen flüstern: »Also tot!«
Vorüber wallen die Gespenster,
Die Freunde, Feinde, Schar um Schar,
Manch treulos blitzend Augenpaar,
Ein Dorfidyll – durchs offne Fenster
Schwingt eine Abendmelodie:
Ein Mädchen harrt – Sie, ewig sie!
XXXVIII
Ihn bannte diese Zaubersphäre
So völlig, daß er fast verrückt,
Ja fast Poet geworden wäre
(Wie Gott denn solche Strafen schickt).
Erschloß sich ihm durch Magnetismus
Doch fast der ganze Mechanismus
Von Rußlands neuster Poesie ...