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Weil Lust und Lärm der kleinen Schar

Dem ernsten Kind zuwider war.

XXVIII

Vor Tagesanbruch stand sie gerne

Schon am Balkon, vom Schlaf erfrischt,

Wenn nach und nach der Chor der Sterne

Am bleichen Horizont verlischt,

Die fernen Hügel rot zerfließen,

Frühwinde sanft den Morgen grüßen

Und dann im Glanz der Tag erwacht.

Im Winter selbst, wenn tiefe Nacht

Noch hüben in den Tälern schlummert

Und drüben blaß und still der Mond

Auf dunklen Wolkenschleiern thront,

Der graue Osten träge schlummert –

War sie gewohnt bei Kerzenschein

Schon zeitig aus dem Bett zu sein.

XXIX

Dem stillen jungen Mädchen galten

Romane längst als höchste Lust;

Rousseaus und Richardsons Gestalten

Belebten ihre Schwärmerbrust.

Ihr Vater, der als komisch trister,

Beschränkter Kauz und Hausphilister

Nie Bücher las, deshalb den Kram

Für harmlos leichten Plunder nahm,

Versäumte, weil er nichts entdeckte,

Beizeiten auf der Hut zu sein,

Welch Schmöker seinem Töchterlein

Nachtsüber unterm Kissen steckte;

Obzwar ja doch Mama sogar

Durch Richardson ganz närrisch war.

XXX

Die hielt auf ihn so große Stücke,

Nicht weil sie selbst ihn etwa las,

Und Lovelace, diesen Schuft voll Tücke,

Mit Grandison, dem Edlen, maß;

Nein, bloß weil einstmals die Kusine

In Moskau, die Komteß Pauline,

Von beiden gar so oft erzählt.

Da war sie selbst noch unvermählt,

Verlobt zwar, aber glomm in Schmerzen

Für einen andern jungen Mann,

Der ihre Neigung rasch gewann,

Ein Grandison nach ihrem Herzen,

Ein Spieler, dabei sehr galant,

Ein Geck und Gardeleutenant.

XXXI

Sie trug sich, wie dies Wunderwesen,

Stets ganz modern und höchst geziert,

Ward aber ohne Federlesen

Doch mit dem ersten kopuliert.

Der fuhr in wohlerwogner Eile,

Damit ihr wundes Herzchen heile,

Mit ihr davon aufs stille Gut.

Dort kam zunächst die Tränenflut,

Sie sträubte sich und schrie und stöhnte,

Bis allgemach nach Zwist und Zank,

Beschwichtigt durch den Wirtschaftsgang,

Ihr Trotz sich friedsam eingewöhnte.

Hat Gott doch dem, der Glück entbehrt,

Gewohnheit als Ersatz beschert.

XXXII

Sie half den Kummer überwinden,

Der andern Balsam von sich wies,

Und lehrte bald ein Mittel finden,

Das jeden Schmerz vergessen ließ:

Und zwar die Kunst, durch feine Schlingen

Den Gatten unters Joch zu zwingen,

Um selbst das Räderwerk zu drehn.

Und gleich ging alles wunderschön:

Sie zankte mit den Ackerleuten,

Schor Köpfe, salzte Pilze ein,

Nahm alles selbst in Augenschein,

Ließ samstags sich ihr Bad bereiten,

Ohrfeigte ab und zu die Magd

Und ließ den Gatten ungefragt.

XXXIII

Wenn vormals sie den Schwarm nur kannte,

Mit Blut ins Album Verse schrieb,

Das Bäschen süß »Pauline« nannte,

Die Stimme bis zum Flöten trieb,

Die Taille ganz unglaublich schnürte

Und unser N, das ungezierte,

Französisch durch die Nase sprach –

Ließ jetzt solch Unfug gründlich nach:

Korsett und Album nebst »Pauline«,

Das Näseln, das Gebildettun

Ward abgetan, sie rief auch nun

Kurzweg Akulka statt »Seline«

Und trug zu guter Letzt im Haus

Nur Haube noch und Watteflaus.

XXXIV

Ihr Mann, gewohnt, sich still zu schicken,

Stets sanft und liebreich im Verstehn,

Vertraute ihr in allen Stücken

Und ließ sich nur im Schlafrock sehn.

Sein Tag verfloß in Ruh' und Frieden,

Und kamen abends, froh beschieden,

Die Nachbarn zum Besuch kutschiert,

Dann ward gemütlich diskutiert,

Der liebe Nächste vorgenommen,

Ein heitres Späßchen laut belacht

Und prächtig so die Zeit verbracht,

Bis Olga mit dem Tee gekommen,

Hernach geschmaust, die Uhr befragt

Und schließlich gute Nacht gesagt.

XXXV

Sie hielten sich im schlichten Rahmen

Altbiedrer Art behaglich frisch;

Stets in der Fastnachtwoche kamen

Die fetten Plinsen auf den Tisch,

Und zweimal jährlich ging man beichten.

Der Mummenschanz und Christmarkt reichten

Zu ihrer Kurzweil völlig aus.

Am Pfingsttag, wenn im Gotteshaus

Die Bauern gähnend Messe hören,

Vergossen sie so rührsam nett

Paar Tränchen auf ihr Pfingstbukett.

Bei Tisch kam stets der Kwaß zu Ehren,

Und Gästen ward, wie sich's gebührt,

Genau nach Stand und Rang serviert.

XXXVI

So kamen beide in die Jahre,

Bis eines Tags der Alte starb

Und, friedlich schlummernd auf der Bahre,

Sich einen neuen Kranz erwarb.

Er starb ein Stündchen vor dem Essen,

Von allen Nachbarn unvergessen

Und Weib und Kindern laut beweint,

Als treue Seele, niemand feind.

Er war als Herr so sanft und gnädig,

Und über seinem Totenschrein

Verkündet ein Gedächtnisstein:

»Hier ruht in Gott, der Sünden ledig,

Erlöst von aller Erdenqual,

Herr Dmitri Larin, General.«

XXXVII

Alsbald, nachdem er heimgekommen,

Trat Lenski vor die stille Gruft,

Die teure Ruhstatt dieses Frommen,

Und machte sich in Seufzern Luft,

War sturmbewegt und weinte lange.

»Poor Yorick!« sprach er wehmutsbange:

»Auf seinen Armen trug er mich;

Ließ oft das Knäblein väterlich

Mit seinen blanken Orden spielen;

Er hatte Olga mir geweiht,

Er sprach: ›Erleb' ich noch die Zeit?‹«

Und übermannt von Schmerzgefühlen,

Schrieb Lenski mit erhabnem Sinn

Ein Verschen auf den Grabstein hin,

XXXVIII

Um gleichen Ortes unter Zähren

Auch seiner Eltern Trauermal

Mit einem ernsten Spruch zu ehren ...

Ach, hier im bunten Erdental

Ist kurz Erblühn und schnell Erkalten

Nach unerforschtem Schicksalswalten

Das Erbteil aller Kreatur,

Und eine folgt der andern Spur ...

So sprießt in kurzen Erdentagen

Die Menschensaat und welkt hinab,

Zu ihrer Ahnen dunklem Grab.

Auch uns wird bald die Stunde schlagen,

Da unsern Leib, wie's Gott so lenkt,

Der Enkel in die Grube senkt!

XXXIX

Drum, Freunde, schlürft in vollen Zügen

Des Lebens kurzbemeßne Lust!

Ich freilich kenne seine Lügen,

Bin mir der Täuschung kühl bewußt

Und mag den Irrwahn nicht mehr teilen.

Ein leiser Wunsch nur quält zuweilen

Mein Herz mit ungewisser Pein:

Ich möchte nicht verurteilt sein,

Ganz spurlos aus der Welt zu scheiden;

Begehre keinen eitlen Ruhm –

Nur soll mein Erdenpilgertum

Sich noch in solchen Schimmer kleiden,

Daß freundlich, wenn auch matt beschwingt,