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Er stand schwerfällig auf, wobei das Lederwams sich über dem Bauch spannte. »Wie ein verängstigtes Kaninchen!«, sagte er. »Du hast doch den weiten Weg gemacht, um mich zu finden und nicht umgekehrt. Und ich sehe auch, obwohl du mich so eklig findest, rennst du nicht weg. Wieso bist du also gekommen?«

Sie stand reglos da und starrte ihn an. Sie vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen, als ob ein Felsbrocken auf sie gefallen wäre und auf den Boden drücken würde. Obwohl sie sich innerlich für diese Begegnung gewappnet hatte und in ihrer Vorstellung Herrin der Lage war, kam es nun doch ganz anders als gedacht.

»Keine Antwort?«, sagte er. »Dann sag ich’s dir. Du willst etwas von mir.« Er kam auf sie zu und ließ den Blick über ihren Körper schweifen. »So verdiene ich meinen Lebensunterhalt. Jeder will irgendetwas. Und wenn ich erst einmal herausgefunden habe, was das ist, bringe ich jeden dazu, das zu tun, was ich will.«

»Wie Acta Bier will«, brachte sie mühsam hervor.

Er grinste. »Du hast es kapiert. Gut. Wie Acta willst du also etwas von mir. Aber du wirst es nicht kriegen, kleines Mädchen, solange du nicht weißt, was ich von dir will.« Er ging um sie herum und fuhr ihr mit den Fingern übers Hinterteil. »Du bist zu dürr für meinen Geschmack. Mager. Kommt wohl daher, dass du immer den wilden Ziegen hinterher jagst.« Er gähnte, streckte sich und ließ den Blick in die Ferne schweifen. »Ehrlich gesagt, Kind, ich bin noch ganz fertig davon, es deiner fetten Mutter zu besorgen…«

Impulsiv zog sie ihr Hemd hoch und zeigte ihm den Bauch.

Verblüfft strich er ihr mit der Hand über den Leib und spürte die Wölbung. Er hatte eine eigentümlich weiche Hand ohne Schwielen. »Wusste ich’s doch«, sagte er schwer atmend, »dass irgendetwas mit dir los war. Ich muss gute Instinkte haben. Nun weißt du Bescheid. Meine seltsame Vorliebe für schwangere Säue, das ist meine einzige Schwäche…« Er strich sich übers Kinn. »Aber ich weiß immer noch nicht, was du willst. Ich glaube nicht, dass es der verlockende Gedanke meines dicken Bauchs auf deinem Rücken ist…«

»Das Baby«, platzte sie heraus. »Sie haben es getötet.«

»Welches Baby?… Ach so. Das deiner Mutter. Sie durfte ihr Kalb nicht behalten, eh? Ich weiß, dass ihr Tiere das macht, eure Jungen zu töten. Man sagt sogar, ihr würdet die zarten kleinen Körper auffressen.« Er musterte sie berechnend. »Ich glaube, ich verstehe. Wenn du dein Kind bekommst, werden sie es dir auch wegnehmen. Deshalb bist du also einem gierigen Sack wie mir nachgelaufen – um dein ungeborenes Kind zu retten.« Es erschien ein flüchtiger Ausdruck in seinem Gesicht, den sie als Sympathie deutete.

»Man sagt…«, murmelte sie.

»Ja?«

»Man sagt, bei euch würden keine Babys getötet.«

Er zuckte die Achseln. »Wir haben reichlich Nahrung. Wir müssen nicht den ganzen Tag damit zubringen, Kaninchen hinterher zu jagen, wie ihr Leute das tut. Deshalb müssen wir unsre Kinder nicht ermorden.«

Sie fragte sich, wie dieses Wunder wohl zustande kam: Cahls Leute mussten wirklich einen mächtigen Schamanen haben.

Doch diese kurze Aufhellung in Cahls Gesicht war schon wieder verschwunden und einer Art verzweifelter Gier gewichen. Er ging zu ihr hin, fasste ihr an die Brust und kniff sie so fest, dass sie aufschrie. »Wenn du mit mir kommst, wird es hart für dich werden. Unsre Art zu leben« – er wies mit ausladender Geste auf die offene Ebene – »ist anders als das hier. Mehr, als du dir vorzustellen vermagst. Und du wirst tun müssen, was ich sage. So läuft das bei uns.«

Sie roch seinen Atem, schloss die Augen und blendete sein pockennarbiges Mondgesicht aus. Sie wusste, dass das der entscheidende Punkt war. Sie vermochte sich noch immer umzudrehen und nach Hause zurückzulaufen. Aber das wäre dann das Todesurteil für ihr Baby. Wenn Acta und Pepule es herausfanden, würden sie vielleicht sogar versuchen, es aus ihr herauszuprügeln.

»Ich will tun, was du sagst«, beeilte sie sich zu sagen. Was konnte es Schlimmeres geben?

»Gut«, sagte er. Sein Atem ging in kurzen heißen Stößen. »Und nun lass uns zur Sache kommen. Knie dich hin!«

So begann es, hier im Dreck. Sie war nur froh, dass niemand, der ihr etwas bedeutete, sie so sah.

II

Er lud ihr das Fleisch auf, den Beutel mit den Wurzeln und den leeren Biersack. Er sagte, so sei das üblich, bei ihm zu Hause. Die Last war nicht schwer – das Fleisch war nicht mehr als die mickrige Beute, die die Männer gestern mitgebracht hatten –, aber es mutete Juna doch seltsam an, dass sie mit dem Fleisch über der Schulter hinter Cahl hertrotten sollte, während er voranging und linkisch ihren Speer schwenkte.

Bald hatten sie ihr vertrautes Territorium hinter sich gelassen. Es wurde ihr mulmig bei der Vorstellung, dass sie nun ein Land betrat, in das wahrscheinlich keiner ihrer Vorfahren je den Fuß gesetzt hatte. Tiefverwurzelte Tabus, durch die wohlbegründete Furcht inspiriert, durch die Hände von Fremden umzukommen, lagen im Widerstreit mit dem Bestreben, voranzukommen. Und sie ging auch weiter, denn sie hatte keine andere Wahl.

Sie mussten eine Nacht im Freien verbringen. Er führte sie in den Schutz einer Felswand, in eine Nische, die er offensichtlich schon einmal benutzt hatte, denn sie sah ringsum Kothaufen. Er ließ es aber nicht zu, dass sie vom Fleisch aß oder auf die Jagd ging. Offensichtlich traute er ihr nicht genug. Immerhin gab er ihr ein paar von den dünnen stinkenden Wurzeln, die sie getragen hatte.

Als es dunkel wurde, nahm er sie erneut. Verglichen mit dem brutalen Akt erschien ihre kindliche Fummelei mit Tori geradezu zärtlich. Zu ihrer Erleichterung war Cahl aber schnell fertig – er hatte sich an diesem Tag nämlich schon verausgabt – und schlief schnell ein, nachdem er sich von ihr heruntergerollt hatte.

Sie massierte sich die gequetschten Schenkel und hing den Gedanken nach.

Am Morgen stiegen sie dann vom trockenen Hochplateau in ein weites Tal ab. Hier war das Land grüner; es war dicht mit Gras bewachsen, und sie erkannte das blaue Band eines trägen Flusses mit einem aus Bäumen bestehenden grünen Ufersaum. Das wäre ein guter Platz zum Leben, sagte sie sich, besser als das trockene Hochland; und hier musste es auch reichlich Wild geben. Während sie abstiegen, erhaschte sie aber auch nur Blicke auf Kaninchen, Mäuse und Vögel. Es gab keine Anzeichen von Fährten größerer Tiere, keine ihrer charakteristischen Spuren.

Schließlich machte sie eine große braune Narbe nahe dem Flussufer aus. Rauch stieg an einem Dutzend Stellen auf, und sie erkannte Bewegung, ein fahles Wimmeln wie Maden in einer Wunde. Aber die Maden waren durcheinander wuselnde Leute, die durch die große Entfernung so winzig wirkten.

Allmählich verstand sie. Das war eine große, ausgedehnte Siedlung, eine Stadt. Sie war erstaunt. Sie hatte noch nie eine menschliche Siedlung in diesem Maßstab gesehen. Das flaue Gefühl im Bauch wurde immer stärker, je näher sie der Ansiedlung kamen.

Noch bevor sie die Siedlung erreichten, trafen sie auf die Leute.

Sie waren alle kleinwüchsig, dunkelhäutig und gebeugt. Und Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen bearbeiteten den Boden. Juna hatte etwas Derartiges noch nie gesehen. An einer Stelle hatten sie sich gebückt und kratzten mit in Holz gefassten Steinwerkzeugen auf dem kahlen Boden. Ein Stück weiter war eine üppige Wiese, wo die Leute Grashalme auszupften und in Körben und Schalen legten. Ein paar schauten auf, als sie vorbeikam und zeigten eine trübe Neugier.

Cahl sah ihren staunenden Blick. »Das sind Felder«, sagte er. »Von ihnen ernähren wie unsre Kinder. Siehst du? Man säubert den Boden. Man pflanzt Samen. Man vernichtet das Unkraut und lässt das Getreide wachsen. Dann fährt man die Ernte ein.«