Muti grinste. »Keer. Das gefällt mir. Ist das gar das Herz der Welt? Aber es sieht doch eher wie der Arsch der Welt aus.« Die beiden lachten, und ihre Halsketten aus Muscheln und Goldklumpen klirrten leise.
Cahl kam zu ihnen. Der Händler stimmte in ihr Gelächter ein; seine Lustigkeit war aber aufgesetzt, und die trüben Schweinsäuglein huschten von einem zum andren. Die Wachen hinter Keram regten sich unmerklich und senkten wachsam die Speere.
»Master Keram«, sagte Cahl. »Es ist mir eine Freude, Euch zu sehen. Wie gut Ihr ausschaut und wie Eure Kleidung im Sonnenlicht glänzt!« Er wandte sich an Muti. »Und ich glaube nicht…«
»Ein zweiter Cousin von Keram«, stellte Muti sich selbst vor. »Cousin und Bundesgenosse.«
Keram erkannte belustigt die allzu deutliche Berechnung in Cahls Blick, als er Mutis Name und Position der Karte hinzufügte, die er offensichtlich von den Machtstrukturen in Cata Huuk anfertigte. Cahl dienerte beflissen, während er sie in die Stadt führte. »Kommt, kommt. Euer Tribut liegt selbstverständlich in meiner Hütte bereit. Ich habe Speisen und Bier für Euch. Werdet Ihr über Nacht bleiben?«
Keram sagte: »Wir müssen noch viele Orte besuchen, ehe…«
»Aber Ihr müsst unsere Gastfreundschaft genießen. Eure Männer auch. Wir haben Mädchen, Jungfrauen, die Euch zu Diensten sein werden.« Er schaute Muti augenzwinkernd an. »Oder auch Knaben. Was immer Ihr wünscht. Ihr seid unsere Gäste, solange Ihr bei uns zu bleiben wünscht…«
Während sie vorsichtig über den schlammigen, mit Fäkalien bedeckten Boden gingen, beugte Muti sich zu Keram hinüber. »Was für ein fetter Widerling.«
»Er ist nur auf seinen Vorteil aus. Er ist nicht einmal der Häuptling dieser kleinen Schar von Dreckschweinen. Und er hat ein paar interessante Schwächen, insbesondere für dicke Frauen. Vielleicht erinnern sie ihn an die Schweine, auf die er in Wirklichkeit steht. Aber er ist nützlich. Leicht zu manipulieren.«
»Ob er jemals nach Cata Huuk kommen wird?«
Keram schnaubte. »Was glaubst du denn, Cousin?«
Sie näherten sich Cahls Hütte. Zwar zählte sie zu den ›repräsentativsten‹ der Stadt, war in den Augen der jungen Männer aber doch nur ein Dreckshaufen.
»Willst du ein Weilchen bleiben?«, fragte Keram Muti und deutete mit einem Nicken auf die vier Wachen. »Ich lasse die Hunde normalerweise für eine Weile aus dem Zwinger. Und Cahl ist auch in dieser Hinsicht nützlich, dass er die attraktiveren Säue aus diesem Stall aussucht. Manchmal macht die Verzweiflung, die sie in diesem Dreckloch verspüren, sie… interessant. Es macht Spaß, ist aber auch irgendwie anstrengend. Sehr reinlich sind sie jedenfalls nicht.«
»Was ist das?«, fragte Muti abwesend.
Eine junge Frau war aus Cahls Hütte gekommen. Sie war ganz anders als die dunklen, korpulenten Frauen der Stadt. Sie war schlank und offensichtlich von Sorgen geplagt, aber sie war auch groß – so groß wie Keram –, schlank und hatte blondes Haar, das trotz des darin hängenden Schmutzes golden glänzte. Sie war vielleicht sechzehn oder siebzehn.
Cahl schien über ihr Erscheinen empört zu sein. Er schlug ihr mit seiner fleischigen Faust gegen die Schläfe, dass sie zu Boden stürzte. »Was machst du da? Geh wieder in die Hütte.
Wir sprechen uns noch.« Und dann trat er die hilflos am Boden Liegende.
Mit einer fließenden Bewegung packte Muti Cahls fetten Arm und drehte ihn ihm auf den Rücken. Cahl heulte auf.
Keram reichte der jungen Frau die Hand und half ihr auf die Füße. An der Schläfe bildete sich bereits ein Bluterguss. Nun sah er, dass auch ihre Beine und Arme von Blutergüssen übersät waren. Sie zitterte, hielt sich aber aufrecht und schaute ihm ins Gesicht. »Wie ist dein Name?«, fragte er.
Cahl blaffte: »Herr, sprecht nicht mit ihr…« Muti bog den Arm noch etwas weiter um. »Au!«
»Juna.« Sie hatte einen starken, fremdartigen Akzent, aber die Worte waren deutlich. »Mein Name ist Juna. Ich bin aus Cata Huuk«, sagte sie verwegen. »Ich bin wie du.«
Keram lachte ungläubig ob dieser Worte, doch das Lachen verging ihm, als er sie näher betrachtete. Auf jeden Fall waren ihre Größe, Eleganz und ihre relativ gute Verfassung ein Indiz dafür, dass sie nicht zu den Schweinen von Keer gehörte. »Wenn du aus der Stadt bist, was hat dich dann hierher verschlagen?«
»Sie hatten mich als Kind entführt. Diese Leute, diese Leute von Keer. Sie haben mich unter den Hunden und den Wölfen aufgezogen. Deshalb spreche ich nicht so wie ihr. Aber…«
»Sie lügt«, stieß Cahl hervor. »Sie weiß nicht einmal, was Cata Huuk überhaupt ist. Sie ist eine Wilde von den Stämmen im Westen und gehört zu den Tiermenschen, mit denen ich mich abgeben muss. Ihre Mutter ist eine fette Schlampe, die ihren Körper für Bier verkauft. Und…«
»Ich sollte nicht hier sein«, sagte Juna ungerührt und schaute Keram an. »Nehmt mich mit euch.«
Keram und Muti wechselten unsicher Blicke.
Wütend riss Cahl sich von Muti los. »Ihr wollt bei ihr liegen. Ist es das?« Er zerrte an Junas schlichtem Kleid und riss es ihr vom Leib. »Schaut! Die Sau ist voller Ferkel. Wollt Ihr so etwas stechen?«
Keram runzelte die Stirn. »Ist das Kind von Cahl?«
Sie zitterte heftiger. »Nein. Obwohl mein Bauch ihn reizt und er mich benutzt. Das Kind ist von einem Mann aus Cata Huuk. Er kam hierher. Er hat mich benutzt. Er hat mir seinen Namen nicht gesagt. Er hat mir versprochen…«
»Sie lügt!«, zeterte Cahl. »Sie war schon schwanger, als ich sie fand.«
»Ich bin nicht für diesen Ort bestimmt«, sagte Juna und schaute mit einem Ausdruck des Ekels auf die Stadt. »Mein Kind ist auch nicht für diesen Ort bestimmt. Mein Kind soll in Cata Huuk leben.«
Keram schaute wieder auf Muti. Der zuckte die Achseln. Keram grinste. »Ich weiß nicht, ob du die Wahrheit sagst, Juna. Aber du bist etwas Besonderes, und deine Geschichte wird meinem Vater sicher gefallen.«
»Nein!« Cahl riss sich wieder los. Die Soldaten rückten vor. »Ihr könnt sie nicht mitnehmen!«
Keram beachtete ihn gar nicht und nickte Muti zu. »Veranlasse die Zahlung des Tributs. Hast du – Juna – hier irgendwelche Besitztümer? Irgendwelche Freunde, von denen du dich verabschieden willst?«
Sie schien über seine Worte zu rätseln, als ob sie nicht wüsste, was ›Besitztümer‹ überhaupt waren. »Nein. Und Freunde – nur Gwerei.«
Keram zuckte die Achseln; der Name sagte ihm nichts. »Triff deine Vorbereitungen. Wir werden bald aufbrechen.« Er klatschte in die Hände, und Muti und die Soldaten schickten sich an, seine Befehle auszuführen.
Cahl, der von einer Wache festgehalten wurde, bettelte und flehte ohne Unterlass. »Nehmt mich mit! Nehmt mich doch mit…!«
III
Sie brauchten drei Tage für die Reise zu Kerams geheimnisvoller Heimat, nach Cata Huuk.
Das Korn und Fleisch, das Keram ›Tribut‹ nannte, wurde schnell eingetrieben. Juna hatte keine Ahnung, wieso die Städter, denen es selbst nicht allzu gut ging, einen so großen Teil ihrer Vorräte diesen Fremden überließen. Zumal sie nicht einmal Bier dafür bekamen.
Aber es war nicht die Zeit, diesbezügliche Fragen zu stellen. Die Sprachkenntnisse, die sie sich im Lauf der Zeit angeeignet hatte, nachdem sie Keram zum ersten Mal gesehen hatte, hatten sich ausgezahlt. Nun musste sie schweigen und dorthin gehen, wohin man sie führte.
Die Gruppe formierte sich zu einer lockeren Linie. Keram und Muti übernahmen die Führung. Sie wurden von den vier stämmigen Soldaten gefolgt, von denen zwei die Hände frei hatten, um die Waffen zu führen und die anderen den Tribut trugen. Juna, die nichts anderes bei sich hatte als den Speer, mit dem sie gekommen war, näherte sich einem der Soldaten und erwartete, dass ein Teil der Last auf sie übertragen wurde.