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Er war mit größter Wahrscheinlichkeit ein Verbrecher, sagte Athalarich sich. Von diesen Zeiten der zerfallenden Ordnung profitierten zwielichtige Figuren und kochten ihr Süppchen mit Habgier, Elend und Furcht.

Er unterbrach Papaks gefälligen Redefluss. »Verzeiht meine schlechten Manieren«, sagte er listig. »Wenn meine Kenntnisse der persischen Geschichte mich nicht trügen, war Papak ein Bandit, der dem Herrscher, dem er die Treue geschworen hatte, die Krone stahl.«

Papak wandte sich ihm zu. »Kein Bandit«, sagte er ungerührt. »Sondern ein aufständischer Priester. Und ein Mann mit Prinzipien. Papak hatte kein einfaches Leben; er musste schwierige Entscheidungen treffen und führte einen ehrenwerten Lebenswandel. Dies ist ein ehrenvoller Name, den zu tragen ich stolz bin. Möchtet Ihr den Adel unsrer Geschlechter wägen? Eure germanischen Vorväter jagten noch Schweine in den nördlichen Wäldern.«

»Meine Herren«, sagte Honorius, »vielleicht sollten wir zur Sache kommen.«

»Ja«, blaffte Athalarich. »Die Knochen, mein Herr. Wir wollten uns hier mit Eurem Skythen treffen und uns seine Gebeine von Helden anschauen.«

Honorius legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm. Athalarich spürte jedoch die Ungeduld, mit der er Papaks Antwort erwartete.

Wie Athalarich fast schon erwartet hatte, seufzte der Perser und breitete die Hände aus. »Ich habe versprochen, dass mein Skythe sich hier in Rom mit Euch treffen würde. Aber der Skythe ist ein Mann der östlichen Wüste. Weshalb die Zusammenarbeit mit ihm sich etwas schwierig gestaltet… Andererseits hat der Skythe keine Wurzeln und ist daher so nützlich.« Papak rieb sich bedauernd die fleischige Nase. »In diesen schlimmen Zeiten ist die Reise aus dem Osten nicht mehr so sicher, wie sie einmal war. Und der Skythe ist vorsichtig…«

Zu Athalarichs Ärger funktionierte der Trick.

»So ist das immer schon gewesen«, sagte Honorius verständnisvoll. »Es war immer schon leichter, mit Bauern Geschäfte zu machen. Krieg vermag man nämlich nur gegen Landbesitzer zu führen; wenn ein Geschäft abgeschlossen wird, verstehen alle die Bedeutung des Vorgangs. Nomaden stellen jedoch eine viel größere Herausforderung dar. Wie soll man auch einen Mann besiegen, der nicht einmal die Bedeutung dieses Worts kennt?«

»Wir hatten eine Abmachung«, sagte Athalarich schroff. »Wir haben einen ausführlichen Schriftwechsel mit Euch geführt, nachdem wir Euren Kuriositäten-Katalog erhalten hatten. Wir sind durch ganz Europa gereist, um diesen Mann zu treffen und haben dabei hohe Ausgaben gehabt und uns nicht unbeträchtlichen Gefahren ausgesetzt. Und ich darf Euch daran erinnern, dass wir Euch bereits die Hälfte der vereinbarten Löhnung gezahlt haben. Und nun lasst Ihr uns hängen.«

Wider Willen war Athalarich durch den verletzten Stolz beeindruckt, den Papak zur Schau stellte – die bebenden Nasenflügel, die leichte Rötung der Wangen. »Mein Ruf eilt mir auf dem ganzen Kontinent voraus. Selbst in diesen schwierigen Zeiten gibt es viele Liebhaber der Gebeine der Bestien und Helden der Vergangenheit – so wie Ihr, werter Honorius. Dies hat im alten Reich eine tausendjährige Tradition. Wenn man mich nun des Betrugs überführte…«

Honorius stieß ein beschwichtigendes Schnaufen aus. »Athalarich, bitte. Ich bin sicher, unser neuer Freund wollte uns nicht betrügen.«

»Es nimmt mich nur wunder«, sagte Athalarich schwer, »dass Eure Zusagen sich wie Frühtau verflüchtigen, kaum dass wir uns begegnet sind.«

»Diesen Eindruck müsst Ihr wohl bekommen«, sagte Papak großmütig. »Der Skythe ist… ein schwieriger Mensch. Ich vermag ihn nicht einfach wie eine Amphore Wein zu liefern, so sehr ich das auch bedaure.«

»Aber?«, knurrte Athalarich.

»Ich möchte einen Kompromiss vorschlagen.«

»Siehst du, Athalarich«, sagte Honorius hoffnungsfroh. »Ich wusste doch, dass wir mit Geduld und gutem Willen zu einer Einigung kommen würden.«

»Ich befürchte, hierfür werdet Ihr noch eine Reise auf Euch nehmen müssen«, seufzte Papak.

»Und die Spesen?«, fragte Athalarich argwöhnisch.

»Der Skythe wird Euch in einer ziemlich weit entfernten Stadt treffen: Im alten Petra.«

»Aha«, sagte Honorius, und sein Lebenslicht wurde wieder etwas schwächer.

Athalarich wusste, dass Petra in Jordanien lag, einem Land, das noch immer unter dem Schutz von Kaiser Zeno in Konstantinopel stand. In Zeiten wie diesen war Petra Welten entfernt. Athalarich fasste Honorius am Arm. »Das genügt, Herr. Er arbeitet mit Händler-Tricks. Er versucht nur, uns noch tiefer in…«

»Als ich ein Kind war«, murmelte Honorius, »betrieb mein Vater ein Geschäft vor unserer Villa. Wir verkauften Käse, Eier und andere Erzeugnisse von den Bauernhöfen, und wir kauften und verkauften Kuriositäten aus dem ganzen Imperium und darüber hinaus. Damals entwickelte ich meine Vorliebe für Antiquitäten – und meine Nase fürs Geschäft. Ich bin wohl alt, aber noch kein Narr, Athalarich! Ich bin mir sicher, dass Papak sich selbst einen Gewinn bei dieser Sache verspricht, aber ich glaube trotzdem, dass er im Kern die Wahrheit sagt.«

Athalarich verlor die Geduld. »Zuhause wartet viel Arbeit auf uns. Und nur wegen einer Hand voll vermoderter alter Knochen übers Meer zu fahren…«

Doch Honorius hatte sich schon an Papak gewandt. »Petra«, sagte er. »Ein Name, der fast so berühmt ist wie der von Rom selbst! Ich werde meinen Enkeln viele spannende Geschichten zu erzählen haben, nachdem ich nach Burdigala zurückgekehrt bin. Mein Herr, ich glaube, dass wir nun die Einzelheiten der Reise besprechen müssen.«

Ein breites Lächeln erschien in Papaks Gesicht. Athalarich schaute ihm in die Augen und versuchte seine Wahrhaftigkeit einzuschätzen.

Honorius und Athalarich brauchten viele Wochen, um nach Jordanien zu gelangen, wobei sie viel Zeit durch die Formalitäten verloren, die im östlichen Imperium erledigt werden mussten. Jeder Offizielle, dem sie über den Weg liefen, brachte ›Ausländern‹ aus den Resten des westlichen Imperiums ein großes Misstrauen entgegen – sogar Honorius, einem Mann, dessen Vater immerhin ein römischer Senator gewesen war.

Es war Athalarichs selbst auferlegte Pflicht, Honorius zu beschützen.

Der alte Mann hatte einen Sohn gehabt, der in Kindertagen ein Freund Athalarichs gewesen war. Irgendwann war Honorius mit seiner Familie und Athalarich zu einer religiösen Feier nach Tolosa im Süden Galliens gereist. Die Gruppe war von Räubern überfallen worden. Athalarich hatte nie das Gefühl der Hilflosigkeit vergessen, als er – selbst noch ein Junge – mit angesehen hatte, wie die Räuber Honorius geschlagen, seine Töchter vergewaltigt und den tapferen kleinen Jungen kaltblütig getötet hatten, als er seinen Schwestern zu Hilfe eilen wollte. Ein schöner römischer Bürger! Wo sind eure Legionen nun? Wo sind eure Adler, ihr Imperatoren?

Irgendetwas war an jenem Tag in Honorius zerbrochen. Es war, als ob er beschlossen hätte, sich von einer Welt zu verabschieden, in der die Söhne von Senatoren des Schutzes durch gotische Edle bedurften und in der Räuber das Innere eines Gebiets unsicher machten, das einmal eine römische Provinz gewesen war. Obwohl er seine staatsbürgerlichen und familiären Pflichten nie vernachlässigt hatte, hatte Honorius sich zunehmend in sein Studium der Relikte der Vergangenheit vertieft: die geheimnisvollen Knochen und Artefakte, die von einer verschwundenen Welt kündeten, bevölkert von Riesen und Ungeheuern.

Im Laufe der Zeit hatte Athalarich eine tiefe Loyalität gegenüber dem alten Honorius entwickelt. Es war, als ob er den Platz seines verlorenen Sohns eingenommen hätte, und er war erfreut, aber nicht überrascht gewesen, als sein Vater ihn als Student der Rechte in Honorius’ Obhut gegeben hatte.