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Seine Leute zogen nun auch die Kapuzen herunter. Sie alle hatten sich ostentativ den Kopf kahl geschoren. Es waren vier Männer, einschließlich des Anführers, und drei Frauen.

»Sind Sie Pickersgill?«, fragte Joan.

Der Anführer lachte. »Pickersgill existiert gar nicht. Der globale Polizeistaat jagt eine Schimäre. Pickersgill ist ein ebenso witziges wie nützliches Phantom.« Er hatte den Akzent des amerikanischen mittleren Westens, jedoch mit einem leicht exotischen Einschlag; das amerikanische Englisch hatte inzwischen eine weltweite Dominanz erlangt, sodass dieser Mann von überall hätte stammen können.

»Wer sind Sie dann?«

»Ich bin Elisha.«

»Elisha, sagen Sie mir, was Sie wollen«, sagte Joan vorsichtig.

»Sie bestimmen die Agenda jetzt nicht mehr«, sagte er. »Ich will Ihnen aber sagen, was wir getan haben. Doktor Joan Useb, wir haben die Krankheit freigesetzt.«

Joan bekam eine Gänsehaut.

»Sie sind alle infiziert. Wir sind infiziert. Ohne Behandlung werden die meisten von uns in ein paar Tagen sterben. Falls diese Lage jedoch zu unserer Zufriedenheit gelöst wird, werden wir vielleicht alle überleben. Aber wir sind auch bereit, dafür zu sterben, woran wir glauben. Sind Sie das auch?«

»Wollen Sie auf den Tisch?«, fragte Joan nach kurzer Überlegung.

Er ging vorm Kaffeetisch auf und ab und ließ sich das Angebot durch den Kopf gehen. Der absurde kleine Tisch war das Zentrum der Macht in diesem Raum: Natürlich wollte er auf den Tisch. »Ja. Kommen Sie runter!«

Alyce half ihr vom Tisch herunter. Elisha sprang mit einem geschmeidigen Satz auf Joans improvisiertes Podium und erteilte seinen Kameraden mit bellender Stimme Befehle in einer Sprache, die wie Schwedisch klang.

»Klassisches Primaten-Verhalten«, murmelte Alyce. »Männliche Dominanzhierarchien. Paranoia. Xenophobie an der Grenze zur Schizophrenie. Das verbirgt sich unter dem Deckmantel des Freiheitskampfes.«

»Aber wir müssen uns mit diesen Freiheitskämpfern arrangieren, wenn wir hier unbeschadet raus wollen…«

Der Rest des Satzes ging in einem lauten Flappen unter, als ob ein Flugsaurier zum Landeanflug auf dem Dach des Hotels ansetzte. Es war ein Hubschrauber, der über dem Hotel schwebte. Und dann dröhnte eine megaphonverstärkte Stimme durch die Wände und gab sich als Polizei zu erkennen.

Die Terroristen feuerten mit ihren Waffen durchs Dach, worauf noch mehr Stücke von der Decke herunterkamen. Die Konferenzteilnehmer duckten sich schreiend und verstärken somit noch das Tohuwabohu, das die Angreifer erzeugen wollten, sagte Joan sich und presste sich die Hände auf die Ohren. Als die Polizei die Durchsage abbrach, wurde das Feuer eingestellt.

Joan stand vorsichtig auf und klopfte sich den Staub ab. Sie hatte seltsamerweise keine Angst. Sie schaute zu Elisha auf, der mit rotem Kopf und schwer atmend auf dem Kaffeetisch-Podium stand; die Waffe hatte er sich über die Schulter gelegt. »Sie haben keine Chance, das zu bekommen, was Sie wollen – was auch immer es ist –, wenn Sie nicht mit ihnen sprechen.«

»Aber ich muss doch gar nicht mit der Polizei sprechen oder mit ihren Psychologen, die einem immer nur das Wort im Mund umdrehen. Nicht, wenn ich Sie hier habe – Sie, die selbsternannte Führerin der neuen Globalisierung, dieses holon.«

Alyce seufzte. »Wieso habe ich nur das Gefühl, dass ein so harmloses Wort plötzlich zum Namen eines neuen Dämons wird?«

»Wir haben Ihrer grandiosen Rede unterm Dach gelauscht, im Schutz der Dunkelheit – wie überaus passend!«

»Sie verstehen wirklich…«, sagte Joan. Sie verstehen wirklich gar nichts. Die falschen Worte, Joan. »Bitte. Sagen Sie mir Ihr Anliegen.«

Er musterte sie. Dann stieg er vom Tisch herunter. »Hören Sie mir zu«, sagte er leise. »Ich habe gehört, was Sie über den Globalorganismus gesagt haben, zu dem wir uns bald vereinigen müssen. Klingt gut. Aber jeder Organismus braucht auch eine Grenze. Was ist mit denjenigen jenseits der Grenze? Dr. Joan Useb, wissen Sie eigentlich, dass die dreihundert reichsten Leute des Planeten mehr besitzen wie die ärmsten drei Milliarden ihrer Mitmenschen? Hinter der Bastion der Elite sind ein paar Regionen praktisch versklavt, und die Arbeitskraft und die Körper dieser Menschen werden ausgebeutet – beziehungsweise Teile ihres Körpers. Wie soll Ihr globales Nervensystem auf ihr Elend reagieren?«

Ihre Gedanken jagten sich. Alles, was er sagte, klang auswendig gelernt. Natürlich war es das: Dies war sein Moment, die Wegscheide seines Lebens; bei allem, was sie nun tat, musste sie das berücksichtigen. War er vielleicht ein Student? Wenn er eine Art kultureller Kolonial-Typ der letzten Tage auf einem Schuld-Trip war, dann vermochte sie vielleicht irgendwelche Schwachstellen bei ihm zu finden und dort anzusetzen.

Aber er war auch ein Mörder, wie sie sich erinnerte. Er hatte eiskalt getötet, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie fragte sich, welche Drogen er wohl nahm.

»Entschuldigen Sie mich«, sagte jemand. Dieser Jemand erwies sich als Alison Scott. Sie stand vor Elisha und hatte ihre beiden verängstigten Töchter an ihrer Seite; ihr blaugrünes Haar leuchtete im flackernden Schein der Wände.

Joan verspürte plötzlich einen Schmerz im Unterleib, der so heftig war, dass ihr die Luft wegblieb. Sie hatte das Gefühl, dass die Dinge außer Kontrolle gerieten.

Bex starrte sie anklagend an.

»Bex, bist du in Ordnung?«

»Sie hatten doch gesagt, dass vom Rabaul keine Gefahr ausginge. Sie sagten, es sei ganz unwahrscheinlich, dass er gerade dann ausbrechen würde, wenn wir hier sind. Sie sagten, hier seien wir sicher.«

»Es tut mir Leid. Wirklich… Alison, bitte setzen Sie sich. Es gibt nichts, was Sie tun können.«

Scott beachtete sie überhaupt nicht. »Schauen Sie, wer auch immer Sie sind, was auch immer Sie wollen, uns ist heiß, wir sind müde, durstig und haben gesundheitliche Beschwerden.«

»Das ist doch lächerlich«, sagte Elisha ungerührt. »Das ist nur psychosomatisch. Sie sind neurotisch.«

»Sie sind nicht mein Psychoanalytiker«, knurrte Scott. »Ich verlange…«

»Sie verlangen immer nur, jammern und kriegen den Hals nicht voll.« Er ging auf Scott zu. Sie blieb unbeirrt stehen und schlang die Arme fest um ihre Mädchen. Elisha hob Bex’ aquamarinfarbenes Haar an, zupfte es sanft und zwirbelte es zwischen den Fingern. »Genmodelliert«, sagte er.

»Lassen Sie sie in Ruhe«, zischte Scott.

»Wie schön sie sind – wie Spielzeug.« Er strich mit der Hand über Bex’ Haar, streichelte ihr die Schulter und drückte dann ihre kleine Brust.

Bex schrie auf, und Scott zog sie von ihm weg. »Sie ist vierzehn Jahre alt…«

»Dr. Joan Useb, wissen Sie eigentlich, was sie tun, diese Gen-Ingenieure? Sie pfropfen ihren Kindern ein zusätzliches Chromosom auf, ein Extra-Chromosom mit Genen, mit denen sie nach ihrem Wunsch geformt werden. Und wissen Sie auch, was dieses Extra-Chromosom außer schönem Haar und Zähnen noch bewirkt? Es hält diese vollkommenen Kinder davon ab, sich mit uns altmodischen Homo sapiens zu paaren. Nun etablieren die Reichen sich schon als eine separate Spezies!« Scheinbar abwesend, als ob er eine Frucht vom Baum pflückte, entzog er Bex ihrer Mutter. Ein weiblicher Terrorist hielt Scott fest. Elisha riss dem Mädchen die Bluse auf, sodass ihr Spitzenbüstenhalter zu sehen war. Bex schloss die Augen – sie summte etwas wie ein Lied oder einen Reim.

»Elisha, bitte…« Joan verspürt erneut einen stechenden Schmerz im Bauch, eine jähe Aufwallung. Sie krümmte sich vor Schmerz. O Gott, nicht jetzt, sagte sie sich. Nicht jetzt.