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Offensichtlich hatte es funktioniert. Snowy hatte den Vorgang lebend und unbeschadet überstanden. Nach einer halben Stunde war er fast wieder der Alte.

Natürlich hatte er sich nach dem Auftauen auf einen Kampf eingestellt.

Offiziell stand diese Einheit unter dem Befehl von UNPRO-FOR, der Schutztruppe der Vereinten Nationen. Doch jeder wusste, dass das nur eine Tarnung war. Die Strategie war als ›Aussaat der Drachenzähne‹ bekannt geworden. Als nach Rabaul die Gefahr eines globalen Konflikts akut wurde, hatte man neue Formen der Abschreckung ersonnen. Der Grundgedanke war, dass jede Macht vor einer Invasion zurückschrecken würde, wenn sie wusste, dass der Boden mit Gruppen hervorragend ausgebildeter Soldaten durchsetzt war, die frisch, voll ausgerüstet und bereit waren, den Kampf aufzunehmen. Aus diesem zerstreuten Zähnen sollte der Drache auferstehen. Das war zumindest die Theorie.

Es gab natürlich Rückschläge. Der Kälteschlafprozess selbst umfaßte das Risiko von Verletzung oder Tod (aber ein geringes, nicht einmal fünfundsiebzig Prozent…). Und man wusste auch nie, wo man stationiert werden würde; das Einfrieren hatte nämlich in großen zentralen Depots stattgefunden, von wo die bewusstlosen Soldaten zu ausgewählten Standorten im ganzen Land und sogar ins Ausland verfrachtet wurden. Snowy hatte jedoch gewusst, dass seine Einheit aus Marinefliegern zusammenbleiben würde, was überaus tröstlich war.

Zumal es schlimmere Aufträge gab. Der Einsatz war auf zwei Jahre befristet. Er war jedenfalls ungefährlicher, als auf einem Flugzeugträger in einem der Brennpunkte der Welt stationiert zu werden, in der Adria, in der Ostsee oder im südchinesischen Meer. Alles in allem war es zwar seltsam, aber auch nur ein Auftrag wie jeder andere.

Snowy hatte ihn gern angenommen, auch wenn es bedeutete, dass er von seiner Frau getrennt wurde. Er hatte erwartet, gesund und glücklich aus der ganzen Sache hervorzugehen und obendrein noch als reicher Mann wegen des angesammelten Solds, den er in dieser Zeit nicht auszugeben vermochte. Es bestand natürlich auch die Möglichkeit, dass er nach dem Aufwachen hätte kämpfen müssen. Aber dafür war er schließlich ausgebildet worden. Und selbst dann hätte er erwartet, in einem Hightech-Krieg aufzutauchen, eine Befehlskette und intakte Strukturen vorzufinden und ein Flugzeug. Aus diesem Grund hatte man die Piloten überhaupt erst eingepökelt. Er hatte aber nicht erwartet, dass sie nach dem Öffnen der Tür von jeder Befehlskette abgeschnitten wären und von den Bedingungen draußen gar nichts wussten – nicht einmal, wo sie waren. Doch genau das war nun die Lage.

Snowy übernahm die Führung und trat durch die Luke.

Jenseits der Luke war eine Treppe in den Beton gefräst. Die Treppe führte zu einem Rechteck aus hellgrünem Licht hinauf: Laub und Ausschnitte eines blauweißen Himmels darüber. Ein Wald?

Der Beton der Treppe war – sofern er noch freilag – an den Stellen braun gefärbt, wo das Geländer verrostet und abgebrochen war. Und als Snowy das Gewicht zu nah an die Kante einer Stufe verlagerte, zerbröselte der Beton. Die Stufen selbst waren unter einem Gewirr aus Moos, Laub und Schutt aller Art kaum zu sehen. Snowy wollte das Zeug zuerst beseitigen und stellte dann fest, dass es aus einer Mulchschicht auf dem Beton wuchs.

Also ignorierte er das Gewirr und ging unverdrossen die Treppe hinauf.

Schließlich stand er auf dem laubbedeckten Erdboden. Er schnaufte angestrengt. Offenbar hatte der Kälteschlaf ihn doch stärker ausgezehrt, als er erwartet hätte. Die anderen folgten ihm der Reihe nach und klopften sich Laub, Moos und Mulch von der Kombination.

Der Wald bestand aus hohen Bäumen, deren tief hängende Äste dicht mit Blättern besetzt waren. Eichen vielleicht. Es ging ein Wind, der Snowy warme Luft ins Gesicht fächelte. Es schien später Frühling oder Frühsommer zu sein. Die Luft roch frisch, nach nichts anderem als Wald und Natur pur.

Die Grube war in den Boden versenkt und halb durch einen großen Betondeckel verborgen. Doch der Deckel war nun schräg angehoben, gesprungen und Pflanzen wuchsen aus der Oberfläche.

Ahmed trug einen kleinen schwarzen Tornister. Es war ein Funkgerät, das wie die Pistolen in Öl gelagert gewesen war. Nun schaltete er es ein, zog die Antenne aus und ging auf der Lichtung umher.

Moon und Bonner wirkten sehr jung und ängstlich, verloren im grünen Zwielicht.

Sidewise kam zu Snowy. Verdrießlich trat er gegen den Betonpanzer. »Es ist erstaunlich, dass die Stromversorgung nach dieser Zeit noch funktioniert.«

»Als ob wir gerade aus Tschernobyl gekrochen wären«, sagte Snowy.

»Ich glaube nicht, dass Tschernobyl überhaupt noch ein Problem ist.«

»Was?«

»Snow, was glaubst du, wie lang wir in diesem Loch gesteckt haben?«

»Mehr als fünfzig Jahre?«, riet Snowy.

Sidewise grunzte. »Schau dich doch mal um, Kumpel. Diese Bäume sind Eichen. Und schau dir das an.« Er führte Snowy zu einem umgestürzten Baum. Der Baum war vielleicht einen Meter überm Boden abgebrochen. Der umgestürzte Baumstamm war fast auf ganzer Länge mit Grün überwuchert, und dicke tellerartige Pilze klebten wie ins Holz gerammte Scheiben an der Oberseite. »Snow«, sagte Sidewise, »du bist von einem alten Wald umgeben. Das sind alte Bäume. Dieser hier ist aus Altersschwäche umgestürzt und nicht gefällt worden. Komm schon, Snow. Du erinnerst dich doch noch an die Ökologiekurse während der Ausbildung? Was passiert, wenn eine Waldlichtung sich selbst überlassen wird?«

Die Gräser und Kräuter wären die ersten, die den leeren Raum kolonisierten. Nach etwa einem Jahr würden Kiefern- und Birkenschösslinge und andere Laubbäume aus den im Boden verbliebenen Samen und aus Baumstümpfen sprießen. Und wenn es erst einmal einen gewissen Frostschutz gab, würden Fichten und Walnussbäume Fuß fassen. In dem Maß, wie die Bedingungen sich änderten, würden verschiedene Arten um Licht und Raum konkurrieren. Nach vielleicht fünfzig Jahren, wenn der sich erholende Wald dunkler wurde, würden die Gräser am Boden Nachtschattengewächsen wie Himbeeren und Moosen weichen. Und dann erst würden die Eichen zurückkehren.

Snowy hatte sich in der Schule, während der Ausbildung und auch später, nur wenig für diese Materie interessiert. Dieser Ökokram war nämlich so deprimierend, nichts als Verlustlisten von Tierarten. Aber – wie lange?

Sidewise stocherte auf dem am Boden liegen Baumstamm herum. »Schau dir diese Bryophyten an – die Moose und das Lebermoos – und die Flechten, Pilze und Insektenlöcher… in unsrer Zeit war der Anblick eines toten Baumstamms so selten wie ein Wolf, musst du wissen.«

»In unsrer Zeit?«

Ahmed hatte seine Wanderung über die Lichtung beendet. »Nichts«, sagte er. »Keinen Piep auf irgendeiner Frequenz. Nicht einmal GPS.«

»Vielleicht ist das Gerät ausgeschaltet«, sagte Moon.

Ahmed drückte einen grünen Knopf am Gerät. »Der Selbsttest war erfolgreich.«

»Was sollen wir nun tun?«, fragte Bonner.

Ahmed straffte sich. »Wie sichern unser Überleben. Wir verlassen diesen verdammten Wald. Und suchen jemanden, dem wir Meldung machen.«

Snowy nickte. »Welche Richtung?«

»Die Karten«, sagte Bonner plötzlich.

Sie besannen sich wieder auf ihre Ausbildung und eilten zur Grube zurück.

Die Gruben waren draußen mit Landkarten-Depots versehen worden, für den Fall, dass ein Trupp wieder belebt wurde, ohne von außen Anweisungen und Orientierungshilfen zu erhalten. Die Karten hätten sich wettergeschützt in Kästen an der Außenseite der Grube befinden müssen. Außerdem hatten den Karten spezifische Anweisungen beigelegen. Snowy wusste, dass sie sich alle gleich viel wohler fühlen würden, wenn sie eine Handreichung bekamen und vielleicht sogar einen Hinweis auf die aktuelle Lage.