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Doch so gründlich sie auch suchten, sie fanden nicht einmal eine Spur der Kartenbehälter. Da war nichts außer einer mürben, zerbröselnden Betonwand, die von Moosen und Gräsern überwuchert wurde.

Sidewise half bei der Suche, doch Snowy sah, dass er nicht bei der Sache war. Er hatte gewusst, dass die Karten nicht mehr da sein würden. Snowy begann sich vor Sidewise zu fürchten, weil er einen so großen Vorsprung im Spiel hatte; und er wollte auch gar nicht wissen, was Sidewise bereits wusste.

Sie gaben die Suche nach den Karten auf. Dennoch versuchte Ahmed, die Disziplin aufrechtzuerhalten und Entscheidungen zu treffen, und Snowy bewunderte ihn dafür. Ahmed sog prüfend die Luft ein, ließ den Blick schweifen und streckte dann den Arm aus. »Das Land steigt in dieser Richtung an. Also werden wir diese Richtung einschlagen. Wenn wir Glück haben, werden wir aus diesem Wald herauskommen. Einverstanden?«

Die Antwort war ein allgemeines Achselzucken und Kopfnicken.

II

Es gab nicht viel aus der Grube mitzunehmen außer dem, was sie bei den Toten fanden: Sie suchten alle Waffen und die ganze Munition zusammen, überschüssige Kleidung und Rationspäckchen. Dann funktionierten sie die nicht benötigten Fliegerkombis zu Rucksäcken um und verluden die Ausrüstung.

Sie marschierten in die Richtung los, die Ahmed bestimmt hatte. Die Sonne schien unterzugehen, und das bedeutete nach Snowys Dafürhalten, dass sie sich in grob nördlicher Richtung bewegten. Falls sich nicht auch die Himmelsrichtungen in all den Jahren verändert hatten, in denen sie in der Grube eingeschlossen waren.

Der Wald wurde von den mächtigen Eichen beherrscht, dazwischen wuchsen andere Arten wie Platanen, Ahorn und Koniferen. Snowy hatte den Eindruck, dass es viele Vögel gab, vor allem Stare, und dann sah er ein Gestöber aus grünen und gelben Schwingen an der Sonne vorbeiziehen. Gelegentlich sahen sie auch andere Tiere – Kaninchen, Eichhörnchen, kleine scheue Rehe und sogar etwas, das wie ein Wolf aussah –, wobei sie jedes Mal nervös zur Waffe griffen.

Nach vielleicht einer Stunde kamen sie zu einem runden Loch in der Erde. Es war voll Schutt, doch offensichtlich von Menschen ausgehoben. Diese Spur menschlichen Wirkens erregte sofort ihre Aufmerksamkeit. Sie versammelten sich um das Loch und tranken Wasser aus den kleinen Flaschen, die sie bei sich hatten.

»Hast du diese grünen Vögel gesehen?«, wandte Snowy sich an Sidewise. »Sie sahen aus wie…«

»Wellensittiche. Die Nachkommen entflogener Haustiere. Wieso nicht? Es gibt wahrscheinlich auch Wellensittiche und Papageien. Ein paar von diesen hirschartigen Tieren schienen Muntjaks zu sein. Vielleicht aus Zoos. Sogar die Bäume sehen zum Teil wie Importe aus, zum Beispiel wie diese türkische Eiche hier. Wie hieß es doch noch: Wenn man das Gleichgewicht der Natur erst einmal stört und fremde Arten einführt, ist dies nicht mehr rückgängig zu machen.«

»Ich habe einen Wolf gesehen«, sagte Snowy.

»Bist du auch sicher, dass es ein Wolf war?«, fragte Sidewise. »War es für einen Wolf nicht zu klein und zu schnell?«

Im Nachhinein betrachtet mußte er Sidewise Recht geben. Es war doch kleiner gewesen, eher wie ein Nagetier.

»In Ordnung, ihr beiden Intelligenzbestien«, sagte Bonner, »was ist nun mit diesem Loch im Boden? Hier wurde ein Baum ausgerissen, und zwar vorsätzlich.«

»Vielleicht«, sagte Sidewise kalt. »Löcher im Boden halten sich aber für eine lange Zeit. Man findet heute noch Löcher, die Jäger und Sammler vor zehntausend Jahren gegraben haben. Nun wissen wir zumindest, dass noch keine neue Eiszeit stattgefunden hat.«

Ahmed schaute ihn finster an. »Du hebst nicht gerade die Moral, Sidewise.«

»Und was ist mit meiner Moral?«, gab Sidewise zurück. »Es hat doch keinen Sinn, etwas zu ignorieren, das so offensichtlich wie nur irgendetwas ist.«

Es trat ein Moment angespannter Stille ein. Plötzlich warf Snowy einen streiflichtartigen Blick in Sidewise’s Vergangenheit, eine Vergangenheit, über die er nie sprach: Das hochintelligente Schulkind, das die anderen düpierte und von seinen Klassenkameraden doch immer wieder auf ihr Niveau heruntergezogen wurde.

»Gehen wir weiter«, sagte Bonner verdrießlich. Ahmed nickte und übernahm wieder die Führung.

Bald kamen sie zu etwas, das wie eine Spur aussah. Es war nur ein gewundenes Band auf der Erde, das kaum als solches wahrzunehmen war. Doch war die Vegetation hier etwas lichter, und Snowy spürte, dass er anders als bisher nicht mehr mit den Füßen in den Boden einsank. Also ein Pfad – und sicher eine menschliche und keine tierische Spur, wenn der Boden so verdichtet war.

Sie sagten nichts. Niemand wollte, dass Sidewise diesen Hoffnungsschimmer durch eine weitere Bemerkung zunichte machte. Dann folgten sie im Gänsemarsch der Spur und gingen zügig die flache Anhöhe hinauf.

Snowy fühlte sich jetzt schon erschöpft und ausgelaugt.

Er wurde sich bewusst, dass er gar nicht mehr an seine Frau dachte, an seine Freunde zuhause und an das Leben, das für immer verschwunden zu sein schien. Dazu war die Situation viel zu fremdartig. Und er sehnte sich ironischerweise wieder nach der heimeligen Sicherheit des Kälteschlafbetts mit dem schützenden Panzer und den summenden Maschinen. Hier draußen fühlte er sich wie auf dem Präsentierteller. Die PPK bot ihm auch nicht allzu viel Schutz, und als die Dunkelheit sich über diesen seltsamen, umgemodelten Ort legte, wurde er sich erst richtig bewusst, in welcher Gefahr sie vielleicht schwebten.

Wir müssen unbedingt ein paar Antworten finden, sagte er sich.

Nach vielleicht einer weiteren Stunde dünnten die Bäume sich aus, und erleichtert stellte Snowy fest, dass er sich auf offenem Feld bewegte. Aber er sah trotzdem noch nicht viel. Er stand am Fuß einer breiten, flachen Erhebung, deren Gipfel hinter dem nahen Horizont verschwand. Er sah, dass der Erdboden aus Kalksandstein bestand und mit einer dünnen, stark erodierten Humusschicht bedeckt war. Außer Heidekraut wuchs hier nichts, und kahle Felsbrocken ragten aus dem Boden.

Der klare Himmel wurde nur von hohen Federwolken getrübt. Die untergehende Sonne warf lange Schatten. Sie stand so tief, dass Snowy eigentlich erwartet hätte, schon das durch die Asche von Rabaul verursachte Lichtspiel des Sonnenuntergangs zu sehen. Aber der westliche Himmel war nicht gerötet; die Sonne schien noch immer hell und weiß. Hatte die Asche sich schon verflüchtigt?

»Spuren! Fahrzeugspuren!«, rief Moon, wies nach rechts unten und machte Freudensprünge.

Sie rannten auf die Spur zu, wobei die improvisierten Rucksäcke auf dem Rücken auf und nieder hopsten.

Sie hatte Recht. Die Spuren waren unübersehbar. Sie stammten von einer Art Geländefahrzeug und zogen sich im rechten Winkel zu ihnen die Anhöhe hinunter.

Plötzlich herrschte Hochstimmung. »Dann ist also jemand in der Nähe«, sagte Bonner grinsend. »Gott sei Dank.«

»In Ordnung«, sagte Ahmed. »Wir haben nun die Wahclass="underline" Wir gehen weiter bergauf und suchen nach einem Aussichtspunkt. Oder wir folgen den Spuren bergab, bis wir auf eine Straße stoßen.«

Ersteres wäre wahrscheinlich die klügere Wahl gewesen, sagte Snowy sich. Doch unter diesen Umständen wollten sie die Spuren menschlicher Aktivität nicht wieder verlieren. Also marschierten sie bergab und folgten der doppelten Spur.

Sidewise gesellte sich zu Snowy. »Das ist doch Unfug«, murmelte er.

»Side…«

»Sieh doch hin. Das sind Fahrzeugspuren, na schön. Aber sie haben sich in Rinnen verwandelt. Schau dort drüben – da haben sie bis aufs Urgestein eingeschnitten. Snow, in einem solchen Gelände, oberhalb der Baumgrenze, dauert es unter Umständen Jahrhunderte, bis die Humusschicht und die Vegetation sich wieder regeneriert haben, wenn sie erst einmal beschädigt wurden. Jahrhunderte.«