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»Der Fluss ist wahrscheinlich sauber«, sagte Snowy. »Die Fabriken müssen schon vor Jahrhunderten den Betrieb eingestellt haben.«

Ahmed nickte ihm dankbar zu. »Gut. Wenigstens haben wir eine Lebensgrundlage. Wir können fischen, und wir können jagen; wir werden gleich morgen damit anfangen. Sidewise, wieso benutzt du deinen Kopf nicht einmal für etwas Nützliches und machst dir Gedanken übers Fischen? Ich erwarte Vorschläge, wie wir Angelleinen, Netze und weiß der Geier was improvisieren. Snowy, du hast den gleichen Auftrag für die Jagd. Und dann werden wir uns einen Ort zum Leben suchen müssen. Vielleicht einen Bauernhof. Macht euch Gedanken darüber, wie wir den Boden roden und Weizen aussäen.« Er schaute zum Himmel hinauf. »Was glaubt ihr, welche Jahreszeit wir haben? Frühsommer? Um dieses Jahr noch eine Ernte einzufahren, sind wir zu spät dran. Aber im nächsten Frühling…«

»Wo willst du denn hier noch Weizen finden?«, fragte Sidewise schroff. »Weißt du, was passiert, wenn man ein Kornfeld sich selbst überlässt? Die Ähren fallen ab und verrotten. Kultivierter Weizen hatte uns gebraucht, um zu überleben. Und wenn man Kühe ein paar Tage lang nicht melkt, dann gehen sie ein, weil die Euter platzen…«

»Ganz ruhig«, sagte Snowy.

»Ich will damit nur sagen, dass ihr, wenn ihr eine Farm bewirtschaften wollt, ganz von vorn anfangen müsst. Ihr müsst euch um den ganzen verdammten Kram kümmern, den ein landwirtschaftlicher Betrieb so mit sich bringt.«

Ahmed nickte. »Wir, Side. Nicht ihr. Wir. Wir sitzen nämlich alle im selben Boot. In Ordnung. Wir wissen nun, was wir zu tun haben. Und in der Zwischenzeit betätigten wir uns als Jäger und Sammler. Wir leben vom Land, wie es unsere Vorfahren getan haben.«

Moon befingerte ihre Kleidung. »Die Klamotten werden aber auch nicht ewig halten. Wir werden neue Kleidung anfertigen müssen. Und die Waffen werden uns auch nicht mehr viel nützen, wenn die Munition verbraucht ist.«

»Vielleicht können wir Munition nachfertigen«, sagte Bonner.

Sidewise lachte. »Da fallen mir jetzt aber nur Steinäxte ein.«

»Ich weiß gar nicht, wie man eine abgefuckte Steinaxt anfertigt«, knurrte Bonner.

»Ich auch nicht, wo du es sagst«, sagte Sidewise nachdenklich. »Und wisst ihr was? Ich wette, dass es auch keine diesbezüglichen Lehrbücher mehr gibt. Das gesammelte Wissen, das mühsam zusammengetragen wurde, seit wir nackig als Homo erectus in Afrika umher gerannt sind, ist futsch.«

»Dann werden wir noch mal von vorn anfangen müssen«, sagte Ahmed bestimmt.

Bonner musterte ihn. »Und wieso?«

Ahmed schaute zum Himmel empor. »Wir schulden es unseren Kindern.«

»Vier Adams und eine Eva«, sagte Sidewise.

Es trat ein längeres Schweigen ein. Moon stand da wie eine Statue. Sie hatte einen harten Blick. Snowy fiel auf, dass ihre Hand über der PPK schwebte.

Ahmed stand auf. »In die Zukunft können wir aber immer noch schauen. Nun geht es erstmal darum, dass wir etwas in den Bauch bekommen.« Er klatschte in die Hände. »Packen wir’s an!«

Sie zerstreuten sich. Die Mondsichel ging schon auf. Sie hing wie ein Knochensplitter am blauen Himmel.

»Na«, sagte Sidewise zu Snowy, als sie aufbrachen, »wie findest du denn das Leben der Zukunft?«

»Wie im Urlaub«, sagte Snowy bitter. »Als ob ich Urlaub machen würde.«

III

Etwa fünf Kilometer vom Basislager entfernt versuchte Snowy ein Feuer zu machen.

Er war in einem Gelände, das einmal ein Feld gewesen sein musste. Es waren noch immer Überreste einer mürben Steinmauer zu sehen, die ein breites Rechteck eingrenzte. Doch nach tausend Jahren fügte das Feld sich wieder fast nahtlos in die Landschaft ein und wurde von ganzjährigen Kräutern, Gräsern, Sträuchern und Laubbaum-Schösslingen überwuchert.

Er hatte ein Holzbrett von der Länge seines Unterarms angefertigt und ein Loch in die flache Seite gebohrt. Er hatte ein Rundholz, einen Stock mit einem angespitzten Ende; einen Schlagstein, der genau in die Hand passte und einen Bogen, den er aus einem Ast und einem Schnürsenkel angefertigt hatte. Ein Stück Rinde unter der Kerbe sollte die Glut auffangen, die er entfachen wollte. In der Nähe hatte er ein kleines Nest aus trockener Rinde, Blättern und Gras gebaut, das als Nahrung für die Flammen dienen sollte. Er kniete sich aufs rechte Knie und stellte den linken Fuß aufs Holzbrett. Dann spannte er die Sehne und setzte das Rundholz ein. Er schmierte das Loch mit etwas Ohrenschmalz und setzte das stumpfe Ende des Rundholzes in die Vertiefung des Holzbretts; das spitze Ende steckte er ins steinerne Widerlager. Dann drückte er leicht auf den Stein und schob zugleich den Bogen hin und her, sodass sich das Rundholz mit zunehmendem Druck und Geschwindigkeit drehte. Er warte darauf, dass Rauch aufstieg und ein Feuer in Gang gesetzt wurde.

Snowy wusste, dass er älter aussah, als er war. Er trug das Haar nun lang und hatte es mit einem Stück Draht zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihm wuchs auch ein Bart, obwohl er ihn alle paar Tage mit einem Messer stutzte. Seine Haut war zäh wie Leder, und er hatte Falten um Augen und Mund. Ich bin schließlich auch älter geworden, sagte er sich. Ganze tausend Jahre älter. Dann sollte ich auch so aussehen.

Es war kaum zu glauben, dass sie erst vor einem Monat aus der Grube gestiegen waren.

Sie hätten aber noch nicht auf diese primitive Art und Weise Feuer machen müssen. Sie hatten immer noch genug wasserdichte Streichholzschachteln und einen Vorrat von Trioxan-Päckchen, einer leichten chemischen Wärmequelle, die vorzugsweise vom Militär genutzt wurde. Doch Snowy dachte schon an den Tag, wenn die Ausrüstung, die sie aus der Grube mitgenommen hatten, verschlissen und verbraucht war. Er ›schummelte‹ aber. Er hatte nämlich sein tausend Jahre altes Schweizer Messer benutzt, um den Bogen und das Holzbrett anzufertigen; später würde er es mit einem Steinmesser versuchen müssen. Doch alles zu seiner Zeit.

Dieses alte Feld befand sich in der Nähe eines Ausläufers des großen Eichenwaldes, der, so weit sie sie erkundet hatten, die Landschaft dieses nach-menschlichen Englands dominierte – vorausgesetzt, dass es überhaupt England war. Es zog sich über eine leichte Anhöhe hinweg. Im Westen, etwas tiefer gelegen, hatte sich ein See gebildet. Snowy sah Überreste von Mauern, die unter der Wasseroberfläche verschwanden. Der See war mit Schilf, Seerosen und Unkraut überwuchert, und auf der Oberfläche sah er den schleimigen graugrünen Schimmer von Algen. Eutrophie, sagte Sidewise sich: Noch immer sickerten künstliche Nährstoffe, vor allem Phosphor, aus dem Boden in den See, und überstimulierten die Ökologie. Snowy vermochte kaum zu glauben, dass die Gülle, die die längst toten Bauern in ihr Land gepumpt hatten, noch immer die Umwelt verseuchte, aber es schien wohl so zu sein.

Die Landschaft mutete verwunschen an. Stille umfing ihn. Er hörte nicht einmal Vogelstimmen.

Manche Tiere – Hasen, Kaninchen und Moorhühner – hatten das Land schnell zurückerobert, nachdem die Menschen die Jagd, Ungeziefervertilgung und Land- und Forstwirtschaft eingestellt hatten. Größere Säugetiere vermehrten sich aber so langsam, dass die Erholung länger gedauert haben musste. Es schien jedoch verschiedene Arten von Damwild zu geben, und Snowy hatte sogar Schweine in den Wäldern gesichtet. Große Räuber hatten sie indes nicht gesehen. Selbst Füchse schienen selten zu sein. Es gab auch keine Raubvögel mehr, außer ein paar angriffslustig wirkende Stare. Sidewise sagte, dass nach dem Zusammenbruch ihrer Nahrungskette die spezialisierten Räuber ausgestorben seien. In Afrika gab es wahrscheinlich keine Raubkatzen und Affen mehr, sagte er, selbst wenn sie sich durch Flucht dem Verzehr durch die letzten verbliebenen, verhungernden Menschen entzogen hatten.